Abstand halten: Warum ein Meter beim Joggen nicht ausreichen könnte
Ein bisschen Bewegung an der frischen Luft: In Zeiten der Coronavirus-Pandemie ist das für viele das Highlight der Woche. Dabei gilt es – wie auch in allen anderen Bereichen des alltäglichen Lebens – den gebotenen Sicherheitsabstand von einem Meter einzuhalten.
Das könnte jedoch möglicherweise nicht ausreichen, um eine Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus zu verhindern, berichten nun Forscher der belgischen Katholieke Universiteit Leuven und der niederländischen Technischen Universität Eindhoven. Sie berufen sich dabei auf eine von ihnen durchgeführte Studie, die sie jetzt in ersten Auszügen veröffentlicht haben.
Der Hauptübertragungsweg von SARS-Cov-2 ist die sogenannte Tröpfcheninfektion: Dabei werden Krankheitserreger über feinste Speichel- oder Schleimtröpfchen beim Sprechen, Husten und Niesen übertragen.
Kein wirksamer Schutz
Laut den belgischen und niederländischen Wissenschaftern biete der weltweit empfohlene Mindestabstand von ein bis zwei Metern im Freien womöglich nicht den gewünschten Schutz vor einer Infektion. Denn: Wenn jemand in Bewegung atme, niese oder huste – trockener Husten ist eines der Leitsymptome von Covid-19 – würden infektiöse Partikel in großer Zahl in der Luft zurückbleiben. Der nachfolgende Jogger oder Radler kreuze infolge direkt durch diese Tröpfchenwolke.
Die Forscher folgerten diese Annahme aus Computer-Simulationen: Sie bildeten die Verteilung von Speichelpartikeln beim Gehen und Laufen sowie aus verschiedenen Positionen (nebeneinander, diagonal hintereinander und direkt hintereinander) ab. Derartige Modellierungen werden in der Regel verwendet, um das Leistungsniveau von Spitzenathleten zu verbessern, da es Luftströme im Windschatten genau abbilden kann.
Viruswolke
"Menschen, die niesen oder husten, verbreiten Tröpfchen mit größerer Kraft, aber auch Menschen, die nur atmen, hinterlassen Partikel", schreibt Bert Blocken, Physiker, Experte für Sport-Aerodynamik und Mitautor der Erhebung, über die Ergebnisse. Größere Tröpfchen mit höherer Viruslast würden in der Luft zwar schneller absinken: "Aber, wenn man durch diese Wolke rennt, können sie immer noch auf der Kleidung landen."
Aus den Simulationen geht zudem hervor, dass das Risiko, die Tröpfchen des Vorläufers aufzufangen am höchsten ist, wenn man direkt im Windschatten hinter diesem läuft. Befindet man sich diagonal dahinter oder direkt daneben, ist das Risiko geringer.
Auf Basis der Ergebnisse empfehlen die Wissenschafter, dass draußen beim Spazieren ein Mindestabstand von vier bis fünf Metern eingehalten werden sollte, beim Laufen und langsamen Radfahren zehn Meter und beim Radfahren mindestens 20 Meter.
Heimischer Experte: Eingeschränkte Aussagekraft
Was sagen österreichische Experten dazu? Virologe Norbert Nowotny von der Vetmeduni Vienna hält die vorgeschlagenen Abstände für "übertrieben": "Grundsätzlich war ich von Beginn der Pandemie an überzeugt, dass ein Sicherheitsabstand von zwei Metern jedenfalls sinnvoll ist, um eine Ansteckung zu verhindern. Das lässt sich aus Studien zu anderen respiratorischen Viren, etwa von Grippeviren, gut ableiten."
Auf die Frage, ob Strömungsanalysen per Simulation überhaupt aussagekräftig seien, sagt der Experte: "Simulationsstudien werden immer häufiger angewandt und haben absolut ihre Berechtigung. Die Frage ist nur, ob auch alle relevanten Parameter in die Studie aufgenommen wurden. Ein wesentlicher Parameter wäre zum Beispiel, wie viele Viruspartikel ein Mensch aufnehmen muss, damit eine Infektion überhaupt angeht – aber das wissen wir einfach noch nicht."
Das verschweigen auch die Studienautoren nicht: Um das tatsächliche Ansteckungsrisiko bestimmen zu können, brauche es auf das neuartige Coronavirus spezialisierte virologische Untersuchungen. Zudem müsse die Studie noch eine "Peer Review" durchlaufen.
Dabei handelt es sich um ein Instrument zur wissenschaftlichen Qualitätssicherung. Wissenschaftliche Arbeiten oder Projekte werden durch unabhängige Gutachter aus dem gleichen Fachgebiet kontrolliert. Aufgrund der Dringlichkeit der Situation und der weltweiten Krise habe man sich "ausnahmsweise" dazu entschieden, mit den Ergebnissen verfrüht an die Öffentlichkeit zu gehen, heißt es vonseiten der belgischen und niederländischen Experten.
"Angesichts der Situation haben wir beschlossen, dass es unethisch wäre, die Ergebnisse vertraulich zu behandeln und die Öffentlichkeit Monate warten zu lassen, bis der Peer-Review-Prozess abgeschlossen ist."
Virus liebt Feuchtigkeit
Die grundsätzlich erfreuliche Information lautet jedenfalls: Das Virus liebt Feuchtigkeit; in der Luft trocknet es rasch aus. Im künstlichen Laborsetting (nicht 1:1 auf reale Bedingungen umlegbar) ließen sich ausgeatmete beziehungsweise ausgehustete Coronaviren in Studien allerdings noch nach drei Stunden in minimaler Dosis nachweisen.
Nowotny bemerkt angesichts der Lage ohnehin eine verstärkte Sensibilisierung fürs Abstandhalten in der Bevölkerung: "Die Menschen weichen jetzt vermehrt aus – und wenn jemand vor mir beim Joggen hustet, gehe ich davon aus, dass der Großteil sich intuitiv von der Person wegbewegt."
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