Streptokokken: Bereits 15 Kinder in Großbritannien gestorben
Bereits 15 Kinder und Jugendliche im Alter unter 18 Jahren sind in Großbritannien an den Folgen einer invasiven Infektion mit Streptokokken der Gruppe A gestorben - 13 davon in England, je eines in Nordirland und Wales. Doch welche Gründe stecken hinter diesen Todesfällen - und könnte es in anderen europäischen Ländern zu einer ähnlichen Häufung kommen? Das wird derzeit unter Expertinnen und Experten heftig diskutiert.
Hintergrund ist ein ungewöhnlich starker und früher Anstieg von durch A-Streptokokken ausgelösten Scharlach-Fällen. Während diese normalerweise erst jeweils nach dem Jahreswechsel ihren stärksten Anstieg zeigen, gab es heuer einen ungewöhnlich hohen Anstieg bereits in den vergangenen Wochen, heißt es im jüngstem Bericht der britischen Gesundheitsbehörde UKHSA.
So wurden zwischen 12. September und 4. Dezember 6.601 Fälle von Scharlach registriert. In der letzten vergleichbaren Saison (2017/2018) waren es 2.538 Erkrankungen.
Die meisten Infektionen verlaufen mild. Problematisch sind die invasiven Erkrankungen, bei denen die A-Streptokokken in die Blutbahn gelangen. Auch diese Fälle sind etwas höher als üblicherweise. Bisher wurden in Großbritannien 85 invasive A-Streptokokken-Erkrankungen in Kindern zwischen einem und vier Jahren registriert, in der gesamten Saison 2017/2018 waren es 194. In der Altersgruppe der fünf- bis neunjährigen Kinder waren es heuer bisher 60 im Vergleich zu 117 in der gesamten Saison 2017/2018.
Laut britischer Gesundheitsbehörde gab es heuer - über alle Altersgruppen - bereits 60 Todesfälle in England, darunter die 13 Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren. In der gesamten Saison 2017/2018 waren es laut dem Bericht 355 Todesfälle, darunter 27 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Auch das war eine starke A-Streptokokken-Saison.
Zahlreiche Medien berichteten ausführlich über ein fünfjähriges Mädchen Stella-Lily aus Belfast, die an den Folgen einer A-Streptokokken-Infektion verstorben ist. Das besonders Tragische: Ihr Vater wurde zwei Mal vom Spital mit seiner Tochter wieder nach Hause geschickt, weil sie nur einen simplen viralen Infekt hätte. Erst beim dritten Aufsuchen der Notfallaufnahme wurde das Kind auf die Intensivstation aufgenommen - zu spät, wie sich herausstellte.
Als Ursachen für die Todesfälle werden mehrere Gründe diskutiert:
- Alle drei bis vier Jahre gibt es Saisonen mit vielen A-Streptokokken-Fällen. "Die Social-Distancing-Maßnahmen (z. B. Abstand, Masken, Lockdowns, Anm.) könnten diesen Zyklus unterbrochen haben und den gegenwärtigen Anstieg erklären." Experten betonen, dass die Kinder keine geschwächten Immunsysteme dadurch haben, es aber einen gewissen Nachzieheffekt an Infektionen gibt, zumal alle Schutzmaßnahmen weitgehend aufgehoben wurden. Infektionen, die in den vergangenen Jahren nicht stattgefunden haben, würden somit jetzt nachgeholt werden.
"Das Immunsystem bekämpft täglich hunderte Erreger, es ist nicht geschwächt", schrieb kürzlich der Arzt und Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) auf Twitter. "Vielmehr sehen wir einen Kohorteneffekt: Es erleben nun mehrere Altersjahrgänge zeitgleich Erstinfektionen. Bei den Kindern fällt das am stärksten auf, weil für sie tatsächlich viele Erreger neu sind und zu stärkerer Krankheit führen. Wieder gilt, die Wellen flacher zu halten."
- Der starke Anstieg von Atemwegsinfektionen bei Kindern durch RSV, Grippe und Covid-19 hat zu einer enormen Belastung der Gesundheitssysteme vieler Länder auf der Nordhalbkugel der Erde geführt. "Dieser Anstieg an Erkrankungen hat es ohne Zweifel schwieriger für Eltern und Ärzte gemacht zu erkennen, dass ein Kind eine lebensbedrohliche bakterielle Infektion hat", schreibt etwa der Economist. Die britische Gesundheitsbehörde UKHSA ruft Eltern und Kinderärzte auf, verstärkt auf Symptome zu achten und Fälle rasch zu melden.
- Ein Mangel vor allem an der flüssigen Form von Penicillin in Großbritannien, welche für die Therapie bei Kindern eingesetzt wird.
- Keine Hinweise gibt es darauf, dass es einen neuen, gefährlicheren Bakterienstamm gibt oder die Resistenz von Antibiotika gegen A-Streptokokken zugenommen hat.
- Nicht ausgeschlossen wird, dass es noch weitere, bisher nicht bekannte Ursachen gibt, schreibt die britische Gesundheitsbehörde. Untersuchungen dazu werden durchgeführt. Der Evolutionsbiologe Ryan Gregory etwa schrieb auf Twitter, die Situation sei "nicht normal" und könne nicht einfach damit erklärt werden, dass die Immunsysteme in den vergangenen Jahren weniger Kontakt zu Erregern hatten.
Nicht auszuschließen ist, dass auch in anderen Ländern mehr A-Streptokokken-Fälle auftreten werden. So erklärte etwa kürzlich der Wiener Kinderarzt Peter Voitl, dass er auch in Österreich mit mehr Erkrankungsfällen rechne.
Die Medizin-Plattform DocCheck schreibt, dass es in Deutschland bisher noch keine Anzeichen für eine aufkommende Scharlach-Welle gebe, allerdings sei die Datenlage dazu aber auch schlecht. Mehrere von DocCheck befragte Kinderärzte sehen bisher keinen Grund zur Sorge: „Ich sehe gerade insgesamt sehr viele Tonsillitiden (Mandelentzündungen, Anm.), meist durch RSV und Influenza ausgelöst“, erklärt ein Kölner Kinderarzt auf Anfrage. Da könne natürlich auch einmal Streptokokkus-A dabei sein, aber „bisher ist mir nicht bekannt, dass wir in Deutschland auffällig viele schwere Verläufe oder Todesfälle wegen Streptokokkus-A hatten."
Welche Symptome können bei Scharlach auftreten?
Scharlach beginnt meist mit Schüttelfrost, hohem Fieber, geröteten Wangen, Halsschmerzen und Schluckproblemen, heißt es auf dem öffentlichen Gesundheitsportal gesundheit.gv.at. Vor allem bei Kindern sind auch Erbrechen und Bauchschmerzen möglich. Rachen- und Gaumenschleimhaut sind gerötet, die Mandeln sind entzündet. Später kommen meist eitrige Beläge dazu. Die Lymphknoten am Hals sind geschwollen.
Nach ein bis zwei Tagen bildet sich der typische blassrote bis hochrote, nicht juckende Hautausschlag. Er beginnt in den Beugefalten der Achsel und Leisten und breitet sich über den gesamten Körper aus. Nur das Mund-Kinn-Dreieck bleibt ausgespart, d.h., die oder der Erkrankte hat hochrote Wangen und ist um den Mund herum blass. Die Haut fühlt sich sandpapier- oder samtartig an. Die Zunge ist anfangs weißlich belegt, ab dem dritten bis vierten Krankheitstag stark gerötet mit kleinen Knötchen. Dies wird oft als Himbeerzunge bezeichnet.
Der Hautausschlag verblasst nach ein bis drei Wochen. Die Haut schält sich ab, insbesondere an den Handinnenflächen und den Fußsohlen.
Behandelt wird Scharlach mit Antibiotika, zumeist Penicillin.
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