Gewalt im Kreißsaal: "Es braucht wenig, um einer Frau die Würde zu nehmen"

Gewalt im Kreißsaal: "Es braucht wenig, um einer Frau die Würde zu nehmen"
Übergriffiges Verhalten, fehlendes Mitspracherecht, Körperverletzung: Zwei Frauen erzählen offen vom Trauma ihrer Geburt.

„Es hat von Anfang an nicht gepasst“, beschreibt es die Tirolerin Laura im KURIER-Gespräch. Dabei war sie an jenem Oktobertag 2021 anlässlich ihrer Entbindung noch mit einem guten Gefühl ins Spital gegangen. Es sollte anders kommen – sie erlebte die Geburt als traumatisch, physisch und psychisch gewaltvoll und übergriffig. So auch, als ihr nach über 24 Stunden Wehen, ohne Vorwarnung, ohne Aufklärung, von der Hebamme die Fruchtblase aufgestochen wurde. Ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte einer Geburt, die von fehlendem Respekt und Empathielosigkeit geprägt war.

Damit ist Laura nicht alleine. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält in einer Erklärung aus dem Jahr 2015 fest, dass „viele Frauen in aller Welt in geburtshilflichen Einrichtungen eine missbräuchliche und vernachlässigende Behandlung erfahren“. Genauere Angaben zu machen ist schwer, erklärt auch Marianne Mayer, Leiterin des Wiener Hebammengremiums: „Es gibt zu diesem Thema keine offizielle Zahl an Betroffenen in Österreich, da Frauen mit ihren Erfahrungen selten an die Öffentlichkeit gehen. Außerdem gibt es keine allgemeine Definition des Begriffs ,Gewalt im Kreißsaal’. Die einen nehmen schon ein schroffes Wort als Gewalt wahr, für andere ist es etwa die Saugglocke.“

Die Wienerin Marlene musste bei ihrer Geburt im Oktober 2020 beides erleben. Beim Vorbereitungskurs im öffentlichen Krankenhaus, in dem sie sich angemeldet hatte, hatte sie sich noch bestens aufgehoben gefühlt. Die Bedenken der anwesenden Frauen, die die Geburt ohne Wahlhebamme bestreiten mussten, wurden zerstreut, eine Eins-zu-eins-Betreuung quasi garantiert. Angesichts aktueller Zahlen ein vollmundiges Versprechen: In Wien kommen auf knapp 550 Hebammen im Jahresschnitt 20.000 Neugeborene. „Hebammen versuchen nach bestem Wissen und Gewissen, werdende Mütter zu unterstützen. Wenn aber eine Hebamme zwei oder drei Frauen gleichzeitig betreut, hat sie keine Zeit, sich wirklich auf die Patientinnen einzulassen“, sagt Mayer.

Körperverletzung

Was Marlene im Rahmen ihrer Geburt erleben musste, verfolgte sie noch lange.

Nach mehreren Stunden starker Wehen, in denen sie die meiste Zeit sich selbst überlassen war, ging, wie sie sagt, der richtige Horror erst los: „Die Presswehen haben begonnen. Ich war dazu in den unterschiedlichsten Positionen, bis sie mich dann schließlich doch wie einen Käfer auf den Rücken gedreht haben. Die Ärztinnen haben gemeint (Babysprache): ,Wir werden jetzt ein bissi mithelfen, gell?’ Eine hat sich hinter mich gestellt und hat mit voller Wucht auf meinen Bauch gedrückt, zwei Hebammen haben meine Beine festgehalten.“ Als die andere Ärztin mit der Saugglocke nachhalf, kam Marlenes Tochter schließlich zur Welt.

„Meine erste Reaktion war nur, endlich ist sie da und es ist alles gut. Ich habe nicht wirklich mitgekriegt, wie sie mich genäht haben. Ich habe nur gehört (Babysprache): ,Scheidenriss, Dammriss, eh nicht so schlimm.’“ Das war es dann aber leider doch. Nicht nur war die Naht, wie sich herausstellte, schief, ihr war auch der Scheideneingang ein Stück zugenäht worden. An einer Operation, nur wenige Monate nach der Geburt, führte kein Weg vorbei. Als Retraumatisierung bezeichnet Marlene das heute. „Ich hatte so schlimme Panikattacken und Angstzustände wie noch nie zuvor.“ Später wurde ihr eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert.

Es sollte nicht der einzige Schock bleiben. Starke Steißbeinschmerzen, vom Spital als „normal“ abgetan, hatten ihr bereits unmittelbar nach der Geburt zu schaffen gemacht. Nachdem sie auch daheim nicht aufhörten, brachte schließlich ein MRT (Magnetresonanztomografie) Gewissheit: Gebrochenes Kreuzbein. Geschehen beim von Marlene eindrücklich beschriebenen „Kristeller-Handgriff“, bei dem starker Druck auf den Bauch der Gebärenden ausgeübt wird: Eine Intervention, von der die WHO ausdrücklich abrät, da „es dabei ernste Bedenken bezüglich des Gefahrenpotenzials für Mutter und Kind“ gebe.

Respektvoll

Definitiv gehört sie nicht zu der von der WHO eingeforderten „Respektvollen Entbindungspflege“. Zu deren Forderungen zählt auch das Mitspracherecht der Frau bei der Behandlung: Etwas, das Laura großteils vorenthalten wurde. Nicht nur wurde ihr Lachgas verabreicht, als sie dachte, Sauerstoff zu bekommen, die Fruchtblase einfach aufgestochen und der Wehentropf gegen ihren Willen voll aufgedreht. Auch beim Kaiserschnitt, der letztendlich ungeplant durchgeführt wurde, nahm man ihr die Entscheidung einfach ab: „Die Hebamme hat aufs CTG geschaut und gefragt, ob ich jetzt doch einen Kaiserschnitt will. Ich habe kurz überlegt. Und da hat sie schon gesagt: ,So, dann entscheide ich das jetzt. Wir machen einen.’“

Tabus brechen

Nach der Geburt, zurück auf der Mutter-Kind-Station, ging die psychische Gewalt weiter: „Die Nachtschwester ist gekommen und hat gesagt: ,Du kannst dich eh nicht um dein Kind kümmern, ich nehme es jetzt mit.’ Man ist ja überschwemmt von Hormonen, ich habe dann geweint und geschluchzt: ,Ich will aber mein Baby!' Da hat sie mich nur eiskalt angeschaut und gesagt: ,Jetzt hören Sie sofort auf zu weinen, sonst reißt die Narbe und wir können Sie notoperieren.’ Das war für mich die schlimmste Nacht meines Lebens.“ Ähnlich empfand auch Marlene die Tage nach der Geburt: „Ich wollte nur noch heim. Mich hat dort keiner angeschaut, keiner gewaschen, die haben sich null interessiert - auch psychisch, obwohl ich dort wirklich nur am Weinen war und die Schmerzen auch nicht weniger geworden sind.“

Beide sagen heute, dass eine adäquate Geburtsvorbereitung ihnen sehr geholfen hätte – sowohl, was den physiologischen Vorgang der Geburt, als auch die eigenen Rechte als Patientin betrifft: „Es braucht einen einheitlichen Standard für die Kurse und eine viel bessere Aufklärung über mögliche Interventionen, etwa einen ungeplanten Kaiserschnitt“, sagt Laura. Generell, sind sie sich einig, wird viel zu wenig über das Thema gesprochen, es scheint auch heute noch ein Tabuthema zu sein. Frage man aber bei anderen Müttern nach, hätten viele ähnliche Geburtsgeschichten zu erzählen, sagt Marlene.

Eines möchte sie betroffenen Frauen unbedingt mitgeben: „Selbst wenn man so etwas Schreckliches erlebt, wenn man wirklich gute Hilfe bekommt, kann man die Geschichte gut ins Leben integrieren. Das ist jetzt einfach meine Geschichte. Ja, es ist ein schwerer Start ins Leben mit Kind – aber man ist nicht für immer davon gezeichnet.“ 

Die vollständigen Gesprächsprotokolle der beiden Frauen können Sie hier nachlesen. Anmerkung: Es folgen ungeschönte Erzählungen der Entbindungen und ihrer körperlichen Auswirkungen.

Kommentare