Die Geschichte der Zuflucht: Wer das Asyl erfunden hat

Begeben wir uns kurz zurück in die Antike. Genauer gesagt in das Hera-Heiligtum von Perachora nördlich von Korinth. Heute würden wir es ein Asylzentrum nennen – feste Quartiere und Brunnen waren hier für mehrere Hundert Flüchtlinge und ihr Vieh angelegt worden. „Akut Schutzbedürftige – Sklaven, geschlagene Ehefrauen, aber auch Kriegsflüchtlinge – fanden in den Hallen Unterschlupf“, erzählt der Archäologe Christoph Baier von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der sich mit den Wurzeln des Asyls beschäftigt.

Hikesie nannten die alten Griechen dieses Ritual, mit dem in einem Heiligtum um Schutz angesucht werden konnte. Baier: „Derjenige, der schutzbedürftig war, fiel – in der Hand einen Zweig oder ein Band – vor dem Götteraltar nieder“. Und der zuständige Priester befand über sein Schicksal.
Schon damals bekamen Flüchtlinge finanzielle Unterstützung. Magere zwei Obolen, die griechische Kleinwährung, betrug das Asylgeld. Schutzwürdig waren übrigens alle, sogar Mörder. Der Dichter Euripides thematisiert das Unbehagen, das manchen Bürger befallen haben mag, wenn Verbrecher Asyl suchten. „Trotzdem war es ein Frevel, Schutzbedürftige vom Altar wegzureißen“, erzählt Baier.
Kirchenasyl
In den darauf folgenden Jahrhunderten wurde die antike Form des modernen „Kirchenasyls“ im Imperium Romanum und im Christentum weiter geführt. Schutzbedürftige flohen fortan in Klöster oder Kirchen.
Bis das aktuelle internationale Flüchtlingsrecht entstand, sollten noch Jahrhunderte vergehen: „Erst mit der Französischen Revolution und verstärkt den Umstürzen im 20. Jahrhundert wird die Frage der politischen Verfolgung und des Asyls ein entscheidender Faktor“, analysiert der Historiker Hannes Leidinger. Der Völkermord an den Armeniern zwang Hunderttausende dazu, aus der Türkei zu fliehen. In Folge der russischen Oktoberrevolution flüchteten zwischen ein und zwei Millionen Menschen aus Russland.
Und dann waren da noch die vielen Menschen, die ihr Land verlassen haben, weil sie sich nach dem Ersten Weltkrieg in den unterschiedlichen Nachfolgestaaten der Habsburger-Monarchie nicht mehr zu Hause fühlten.
Historiker
Leidinger weiter: „Zu dieser Zeit gab es relativ viele Kommunisten, die aus unterschiedlichen Nachbarländern geflohen waren – aus Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien. Viele kamen nach Österreich. Es geht also um eine Ideologisierung des Asylproblems.“
Die Verbrechen der NS-Herrschaft und die Wirren des Zweiten Weltkriegs führten dann zur größten Flüchtlingskatastrophe der Geschichte. Nach Kriegsende galten etwa 30 Millionen Menschen als Flüchtlinge oder Vertriebene, darunter viele Soldaten, die wegen Grenzänderungen nicht in ihr Heimatland zurückkehren konnten. „Die Folge war eine Diskussion über den Flüchtlingsstatus und das politische Asyl. Und die Menschenrechtskonvention“, sagt Leidinger. Und weiter: „Bis 1955 mussten in Österreich, einem Sechs-Millionen-Staat, 2,6 Millionen Flüchtlinge abgewickelt werden. Die Zahlen waren gewaltig.“

Einen gravierenden Unterschied zu heute gab es aber: „Damals war die Entwurzelung ein Gemeinschaftserlebnis. Die Vertriebenen waren vielleicht Verwandte aus dem Sudetenland und keiner wusste, wann die eigenen Leute aus der Kriegsgefangenschaft heimkehren – alle waren irgendwie entwurzelt.“ Wobei es im Lauf der Geschichte auch eine Konstante gibt: „Viele der Flüchtlinge sind weiter gezogen oder zurückgegangen“, sagt Leidinger: „Bei vielen dieser Diskussionen fällt mir auf, dass die Gruppe der Asylanten bedeutend überschätzt wird.“
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