Wie Öl-Giganten unter dem Radar der Öffentlichkeit Milliardenumsätze machen

Beim Handel mit Öl und Treibstoffen sind die Anforderungen an Logistik und Finanzierung groß. Die Händler arbeiten mit spezialisierten Banken zusammen.
Einige der größten Ölkonzerne der Welt sind der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Während staatsnahe Unternehmen wie Saudi Aramco oder "Big Oil"-Unternehmen wie Shell oft in die Kritik geraten, machen diese Firmen lukrative Geschäfte, ungestört von der öffentlichen Wahrnehmung.
Denn ein Gutteil der Rohstoffe, die die Weltwirtschaft braucht - darunter auch Öl - wird weltweit von unabhängigen Händlern gehandelt. Die größten sitzen in der Schweiz und haben Jahresumsätze von teils mehreren Hundert Milliarden Dollar – vergleichbar mit der Wirtschaftsleistung eines Industriestaates. Die Umsätze dieser privaten Händler sind mit dem Anstieg der Ölpreise im Jahr 2022 regelrecht in die Höhe geschossen, die hohen Preisschwankungen am Energiemarkt ermöglichten den Konzernen enorme Margen.
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Dass es diesen Firmen weitgehend gelingt, in der Öffentlichkeit unbekannt zu bleiben, liegt zum einen daran, dass sie kein Endkundengeschäft haben, sondern nur mit anderen Firmen handeln. Zweitens ist mit Glencore nur eine der fünf größten börsennotiert. Typischerweise gehören die Rohstoff-Handelsfirmen ihren Gründern und anteilig dem Management, ähnlich wie etwa bei Anwaltskanzleien, sagt Oliver Classen von der Schweizer NGO Public Eye, die den Sektor schon seit Jahren beobachtet. Ein aggressives Bonussystem und tiefe Margen produzieren dabei Wettbewerbsdruck und einen hohen Risikoappetit, so Classen zum KURIER.
Gründung: 1966 Firmensitz: Genf, Rotterdam Haupt-Geschäftsfelder: Erdöl- und Erdölprodukte, Gas, Kohle
Eigentümer: Etwa 400 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Im Jahr 2022 verbuchte Vitol einen Umsatz von 505 Mrd. Dollar (470 Mrd. Euro). Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Österreich (448 Mrd. Euro). Der Gewinn lag bei 15 Milliarden Dollar (14 Mrd. Euro) und hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht. Der älteste und dem Umsatz nach größte Konzern verfügt angeblich über eine Flotte von etwa 250 Tankschiffen und verschiebt täglich etwa 7,6 Millionen Fass (159 Liter) Öl, also etwa acht Prozent des weltweiten Verbrauchs. Vitol war im Laufe der Jahre in mehrere Skandale verwickelt. Unter anderem in Marktmanipulation in Frankreich, Bestechung in Brasilien, Ecuador und Mexiko sowie die Umgehung von UN-Programmen und Sanktionen gegen den Irak und den Iran.
Vom Bohrloch zum Tank
Doch wo schalten sich diese Händler in der Wertschöpfungskette ein? Es handelt sich um „eine der globalisiertesten Branchen“ überhaupt, sagt Classen. Die dominanten Unternehmen haben Standorte auf der ganzen Welt, um Möglichkeiten rechtzeitig wahrzunehmen – also etwa, wenn es darum geht, billig einzukaufen.
Gründung: 1974 als Marc Rich & Co. AG Firmensitz: Baar Haupt-Geschäftsfelder: Erdöl und Erdölprodukte, Gas, Kohle, Metalle, Mineralien
Eigentümer: Aktiengesellschaft, die größten Anteilseigentümer sind der ehemalige Geschäftsführer Ivan Glasenberg mit knapp 10 Prozent und der Staatsfond von Qatar mit etwa 8 Prozent.
Der Umsatz betrug 2022 256 Mrd. Dollar (238 Mrd. Euro), beim Gewinn führte Glencore die Gruppe mit 17 Mrd. Dollar (15,8 Mrd. Euro) an. Unternehmensgründer Marc Rich galt als „King of Oil“ und als Inbegriff des skrupellosen Rohstoffhändlers. Glencore hat auch insofern eine Sonderstellung, als es etwa die Hälfte seines Geschäfts mit Bergbau macht. Regelmäßig gibt es Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Minen des Unternehmens. Im Mai 2022 einigte sich Glencore wegen Korruptionsvorwürfen in mehreren Ländern auf Vergleichszahlungen von insgesamt 1,5 Milliarden Dollar.
Insbesondere in Staaten, in denen es keine großen staatlichen Energiekonzerne gibt, tun sich hier Möglichkeiten auf, etwa in Westafrika, Südostasien oder auch Südamerika.
Die Intransparenz ist dabei ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells: Es geht bei dem Handel um einen Kommunikationsvorsprung und auch darum, sich Zugang zu Rohstoffen zu verschaffen. Dabei wurde Korruption bislang oftmals als normaler Vorgang eingepreist, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in Kauf genommen, wie mehrere bekannt gewordene Fälle veranschaulichen.
Gründung: 1993 Firmensitz: Genf, Singapur Haupt-Geschäftsfelder: Erdöl und Erdölprodukte, Gas, Kohle, Metalle, Mineralien
Eigentümer: Aktuelle und mutmaßlich auch ehemalige Mitarbeiter.
Der Umsatz des Unternehmens betrug 2022 319 Mrd. Dollar (297 Mrd. Euro), der Gewinn hat sich dabei auf 7 Mrd. mehr als verdoppelt. Die Gründer Claude Dauphin und Éric de Turckheim haben das Geschäft als Händler bei Marc Rich gelernt. Wie Glencore gehört auch Trafigura zu den größten privaten Öl- und Metallhändlern der Welt und war über die Jahre in mehrere Skandale verwickelt. Anders als Glencore erwirtschaftet das Unternehmen seine Umsätze aber vorrangig mit dem Handel und nicht den Betrieb eigener Minen.
Nachdem ein Trafigura-Schiff 2006 an der Elfenbeinküste illegal Giftmüll verklappte, erlitten 100.000 Menschen gesundheitliche Schäden, es kam in Folge auch zu Todesfällen.
„Die Umsätze dieser Unternehmen sind teilweise größer als die Bruttoinlandsprodukte der Staaten, in denen sie operieren“, beschreibt Classen die Machtfülle der Konzerne. Später wird dann beispielsweise das Rohöl an einen Konzern verkauft, der daraus Konsumgüter wie Treibstoffe raffiniert.
Drehscheibe Schweiz
Neben Information braucht das Geschäft vor allem Zugang zu großen Geldmengen und zu Infrastruktur. Die Unternehmen betreiben etwa über Tochterfirmen Tankerflotten, Lager und Hafeninfrastruktur. „Die Margen sind bei Rohstoffen relativ klein, dafür sind die Volumina riesig“, beschreibt Classen. Der gute Zugang zu spezialisierten Banken ist für den Experten auch einer der Gründe für die Popularität des Standorts Schweiz.
Gründung: 2004 Firmensitz: Genf Haupt-Geschäftsfelder: Erdöl und Erdölprodukte, Gas
Eigentümer: Gründer Marco Dunand und Daniel Jaeggi sowie Management.
Mit 174 Mrd. Dollar (162 Mrd. Euro) war der Umsatz des jüngsten der hier besprochenen Firmen in etwa so groß wie das BIP von Ungarn (169 Mrd. Euro). Der Gewinn betrug 2,98 Mrd. Dollar (2,77 Mrd. Euro). Das Unternehmen ist laut eigener Angabe in 50 Ländern tätig. Medienberichten zufolge investiert Mercuria zunehmend in Metalle, die für die Energiewende strategisch wichtig sind, etwa in Lithium. Auf der Website betont das Unternehmens seine „grünen“ Investitionen, etwa in Windparks und Biomasse. Neben der Energiewende gibt es auch Bekenntnisse zu sicheren Arbeitsbedingungen und Standards der Unternehmensführung. Mercuria gibt sogar an, im Eigenbetrieb (nicht aber bei den gehandelten Produkten) klimaneutral zu sein.
Dazu kämen noch die Handelstradition, das internationale Umfeld und das ausgesprochen „milde Regulierungsklima“. Auch Steuern sparen ließe sich dort mit entsprechenden Firmenkonstrukten optimal. Physisch in die Schweiz importiert werden die Rohstoffe deswegen nicht, man spricht von Transithandel.
Gründung: 1997 Firmensitz: Genf Haupt-Geschäftsfelder: Erdöl und Erdölprodukte, Gas
Eigentümer: Co-Gründer und Geschäftsführer Torbjörn Törnqvist hält mehr als 85 Prozent des Unternehmens, die restlichen Anteile halten Mitarbeiter.
Im Jahr 2022 verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz von 150 Milliarden Dollar (140 Mrd. Euro), der Gewinn betrug 2,4 Mrd. Dollar (2,2 Mrd. Euro). Gunvor hat gute Kontakte nach Russland, Co-Gründer ist Gennadi Timtschenko, der 2014 international sanktioniert wurde und seine Firmenanteile abgab. Da der Oligarch als langjähriger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin gilt, wurde immer wieder angenommen, dass Putin zumindest indirekt bei dem Unternehmen mitgemischt habe. Auch soll Gunvor jahrelang den Marktpreis für russisches Öl (Ural) manipuliert haben. Das Unternehmen hält nach wie vor 26 Prozent des russischen Ölhafens Ust-Lugar bei Sankt Petersburg.
Vor dem Ukraine-Krieg war die Schweiz auch die weltweit wichtigste Umschlagstelle für russisches Öl, Schätzungen zu Folge wurde mehr als die Hälfte der Exporte über das kleine Land gehandelt. Mit der Übernahme des EU-Sanktionsregimes durch die Schweiz sei der auf Russland spezialisierte Teil der Szene sehr schnell unübersichtlich geworden, sagt Classen. Kleine, neue Firmen tauchten auf und übernahmen einen Teil der Geschäfte. Das ist insofern beachtlich, als die Ansprüche an Logistik und Finanzierung in der Branche hoch sind.
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Ob via Schweiz auch illegale Geschäfte mit Russland abgewickelt werden, müsste eigentlich von den Behörden kontrolliert werden. Denen fehlen dafür aber die Instrumente und Ressourcen, kritisiert Classen. „Das eigentliche Problem ist aber, dass der politische Wille in Bern fehlt, dieser Hochrisikobranche auf die Finger zu schauen“. Public Eye fordert schon seit Jahren die Schaffung einer „Rohstoffmarktaufsicht“, analog zur Finanzmarktaufsicht.
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