Wasserstofftechnologie endlich verständlich: Was wann kommt
Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Von Mobilität, Industrie und Heizen bis zum Energiespeicher. Dem Gas kommt also eine Schlüsselrolle zu, weil er eine er „Plattformfunktion“ bietet, erklärte Felix Matthes vom Berliner Öko-Institut anlässlich einer Fachtagung der Aufsichtsbehörde E-Control.
Das bedeutet, dass es nicht nur mehrere Möglichkeiten gibt, das Gas zu produzieren (siehe Infobox unten), sondern auch, dass es dafür viele verschiedene Verwendungszwecke gibt. Die Hoffnung liegt auf sogenanntem „grünen“ Wasserstoff, der unter Einsatz von Ökostrom durch Elektrolyse hergestellt wird. Noch sind die jeweiligen Technologien nicht konkurrenzfähig, wie schnell sich das ändert, liegt neben der Forschung auch an den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen.
Industrie
In energieintensiven Industrien wie Stahl und Chemie hat Wasserstoff das Potenzial, Erdgas, Kohle und Öl abzulösen. „Wir sehen das Aufkommen von Projekten im Giga-Maßstab in vielen Ländern, mit verschiedenen neuen Akteuren, die in den Markt eintreten, und etablierten Akteuren, die sich vergrößern“, sagte Thomas Gellermann, Risikoberater bei AGCS, der Industrieversicherungstochter der Allianz.
Die Voest betreibt zusammen mit Partnerunternehmen seit 2019 eine Pilotanlage, um die Wasserstoff-Eigenproduktion zur industriellen Anwendung zu testen. Bis 2030 soll eine teilweise Elektrifizierung den CO2-Ausstoß des Unternehmens um ein Drittel senken. Das Ziel einer emissionsfreien Stahlproduktion soll bis 2050 erreicht werden. Dafür könnte die Voest in den nächsten zehn Jahren insgesamt 500 bis 700 Mio. Euro an Fördermitteln von der EU und der Republik Österreich bekommen.
Die nach Plänen größte Elektrolyseanlage Österreichs soll 2023 in der OMV-Raffinerie Schwechat in Betrieb genommen werden. Der dort gewonnene grüne Wasserstoff soll zur Senkung des CO2-Ausstoßes der Industrie und der Betankung von Lkw genutzt werden.
Autos
Einige große Hersteller, darunter auch die VW-Tochter MAN, Toyota und Hyundai, arbeiten an Lkw mit Brennstoffzellen, die Wasserstoff in elektrische Energie umwandeln. Noch sind diese aber teuer, ein weiteres Problem ist, dass es keine Tankstelleninfrastruktur gibt. In Deutschland will eine Allianz von 62 Unternehmen, unter anderem Daimler, Volvo und Iveco bis 2030 100.000 Wasserstoff-Lkw auf die Straße bringen und 1.500 Tankstellen bauen.
Weniger aufwendig und daher schneller umzusetzen ist der lokale Einsatz, etwa im Personennahverkehr. Die Wiener Wasserstoff GmbH, eine Tochter der Wiener Stadtwerke, hat bereits letztes Jahr einen Personenbus getestet. Der Spatenstich für die erste Wasserstofftankstelle für die Wiener Linien soll noch diesen Herbst erfolgen, der Aufbau eigener Elektrolyseanlagen ist in den kommenden Jahren geplant. Auch die Tiroler Einzelhandelskette MPreis baut derzeit an einer Elektrolyseanlage, um ihre Bäckerei sowie die Flotte von 50 Lkw damit zu betreiben.
Dass Pkw mit Brennstoffzelle massentauglich werden, ist derzeit nicht absehbar. Für kleinere Nutzfahrzeuge könnte sich eine Mischlösung rentieren: Die Autobauer Renault und Stellantis wollen ihre elektrisch angetriebene Transporter noch heuer als um Wasserstofftanks und Brennstoffzelle erweiterte Plug-in-Hybride anbieten.
Züge
Wie Autos können auch elektrische Züge mit Brennstoffzellen angetrieben werden. Der Vorteil ist, dass diese keine Oberleitungen brauchen und daher Diesel-Loks ersetzen können. Die erste reguläre Wasserstoff-Zugverbindung Europas soll im März 2022 in Norddeutschland ihren Betrieb aufnehmen.
In Österreich hat die ÖBB vergangenes Jahr einen Zug des französischen Alstom-Konzerns für drei Monate getestet. Ob sie in Zukunft auf Wasserstoffantriebe setzen wird, ist noch nicht entschieden. Es seien „neben den technischen Herausforderungen des Betriebs auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu klären“, heißt es auf Anfrage des KURIER.
Flugzeuge und Schiffe
Flugzeuge und Schiffe dürften nach Schätzung des Öko-Instituts erst in den 2040ern in relevantem Ausmaß mit Wasserstoff betrieben werden. Hoffnungsträger sind dabei sogenannte E-Fuels, also synthetisch Treibstoffe, die mittels Strom aus Wasser und Kohlendioxid produziert werden. Diese flüssigen Kraftstoffe können in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden.
Heizen
Ob Wasserstoff für Gebäudewärme eingesetzt werden soll, ist umstritten. Kritiker verweisen darauf, dass weniger energieintensive Technologien wie etwa Wärmepumpen dafür ausreichen und der verfügbare Wasserstoff dort eingesetzt werden sollte, wo es diese Alternativen nicht gibt.
Andererseits argumentieren Netzbetreiber damit, dass die bestehende Infrastruktur mit relativ niedrigen Kosten wasserstofftauglich gemacht werden könnte. Das betrifft einerseits Fernwärmeanlagen, andererseits auch die Gas-Verteilernetze. Möglich wäre auch eine prozentuelle Beimischung.
Stromspeicher
Die Dekarbonisierung der E-Wirtschaft führt zu einem ambitionierten Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung. Da diese Anlagen im Sommerhalbjahr effektiver sind als in den energieintensiveren Wintermonaten, ergibt sich eine Notwendigkeit der saisonalen Übertragung. Die Überkapazitäten des Sommers könnten von den Netzbetreibern also zur Produktion von grünem Wasserstoff genützt werden. Dieser kann verlustfrei gelagert werden.
Technisch steht diese Möglichkeit auch Haushalten und Gewerbetreibenden zur Verfügung. Das österreichische Unternehmen Cleen Energy will noch heuer eine kompakte Lösung anbieten. Allerdings soll der private Wasserstoffspeicher (330 kWh) etwa 50.000 Euro kosten.
Mengen und Bedarf
Die EU verbraucht jährlich 340 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff, hauptsächlich in der Raffinerie und der chemischen Industrie. Der Anteil Österreichs beträgt mit 5 TWh etwa 1,5 Prozent davon. Experten gehen davon aus, dass sich der Bedarf bis 2040 etwa verdoppeln und bis 2050 vervierfachen wird.
Die meisten EU-Länder werden ihren Eigenbedarf allerdings nicht selbst produzieren können. Ein Großteil des Wasserstoffs muss deswegen aus Regionen mit guten Erzeugungsbedingungen für Ökostrom importiert werden.
Für den Transport könnten Erdgaspipelines adaptiert werden. Eine andere Möglichkeit ist die Nutzung von Wasserwegen. Österreichs größter Stromkonzern Verbund arbeitet zusammen mit internationalen Partnern an dem IPCEI-Projekt („Important Projects of Common European Interest“) „Green Hydrogen @ Blue Danube“. Dabei soll entlang der Donau Wasserstoff aus Wind- und Solarenergie gewonnen und ab 2024 auf dem Fluss zu den Abnehmern transportiert werden.
Kosten
Das Öko-Institut geht davon aus, dass die Kosten für eine Megawattstunde grünen Wasserstoff bis zum Jahr 2030 auf maximal 60 bis 80 Euro gedrückt werden können. Verglichen mit Gas ist das nach aktueller Lage das Drei- bis Vierfache. Damit sich die neue Technologie etablieren kann, fordern Experten und Unternehmen staatliche Förderungen. Matthes schätzt, dass außerdem eine Bepreisung von 150 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2 nötig ist, damit die klimaneutrale Alternative konkurrenzfähig ist.
Neben dem favorisierten „grünen“ Wasserstoff aus erneuerbarer Energie, kann das Gas mit der Formel H2 auch aus anderen Energieträgern gewonnen werden. Aktuell wird der größte Teil des weltweit verbrauchten Wasserstoffs aus fossilen Energien gewonnen. Man spricht hier von „grauem“ Wasserstoff.
Wenn das abgeschiedene Kohlendioxid dabei aufgefangen und gespeichert wird (engl. Carbon Capture and Storage, CCS), heißt er „blau“. Wasserstoff aus Biomasse kann ebenfalls „blau“ sein, der Vorteil ist aber, dass die Pflanzen beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre gebunden haben.
Das Farblabel „türkis“ hat Wasserstoff, der durch die thermische Spaltung von Methan gewonnen wird. Dabei entsteht statt CO2 fester Kohlenstoff. „Pink“ bezeichnet Wasserstoff, der mit Strom aus Kernkraft erzeugt wird.
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