Top-Ökonom: "Eurobonds wären eine Giftpille"

Thomas Mayer, chief economist of Deutsche Bank AG, talks during the Alpbacher financial market symposium in Alpbach September 1, 2011. REUTERS/Dominic Ebenbichler (AUSTRIA - Tags: POLITICS BUSINESS)
Wissenschafter Thomas Mayer über nötige Euro-Reformen und Sparerbeteiligung bei Bankpleiten.

KURIER: „Europas unvollendete Währung“ heißt Ihr neuestes Buch. Hat die Währungsunion aus Ihrer Sicht überhaupt eine Überlebenschance?

Thomas Mayer: Ja, aber nur, wenn wir sie richtig vollenden. Wir brauchen eine absolut unpolitische Europäische Zentralbank. Außerdem müssen Staaten in die Insolvenz gehen können. Auch ein Euro-Austritt muss möglich sein. Insolvenz und Austritt sollten nicht tabuisiert werden. Und wir müssen zu den Maastricht-Kriterien zurückkehren.

Aber sind die Maastricht-Kriterien mit höchstens drei Prozent Defizit und sechzig Prozent Verschuldung nicht vollkommen willkürlich?

Ja, aber das ist so wie bei einem Tempolimit. Wenn ich mich an ein Limit von 80 Stundenkilometer halte, heißt das ja nicht, dass ich keinen Unfall baue. Aber wenn ich das Limit überschreite, ist die Unfallgefahr viel höher.

Halten Sie die Kredithilfen, die Krisenländer bekommen, für gerechtfertigt?

Ja, aber es sollte vorweg geklärt werden, dass es die Hilfe nicht ewig gibt. Nach drei, vier Jahren muss die Hilfe aufhören. Die Länder tun zu wenig, um ihre Wirtschaftsstrukturen zu ändern und die Verharzungen der Wirtschaftssysteme aufzubrechen. Vielleicht auch wegen der Hilfen.

In welchen Bereichen machen die Länder zu wenig?

Italien hat den Arbeitsmarkt immer noch nicht reformiert. In Spanien ist man weit davon entfernt, einen flexiblen Arbeitsmarkt zu haben. Bei einem flexibleren Arbeitsmarkt hätten es die Jüngeren leichter, Jobs zu finden. Es stellt sich ja schon die Frage, warum die Nordländer die Südländer finanzieren sollen und die sagen: Ich rücke nicht von meinen Privilegien wie einem Kündigungsschutz ab. Die Solidarität, die diese Länder wollen, leisten sie selber nicht, wenn es etwa um Jobs für Jüngere geht.

Wären Eurobonds, also die gemeinsame Aufnahme von Schulden, ein Weg aus der Krise?

Eurobonds wären eine Giftpille für den Euro. Hätten wir Eurobonds, würden in den Nordländern starke politische Bewegungen Richtung Euro-Austritt entstehen. Eurobonds wären ja wie eine Bürgschaft für einen Nachbarn, den man gar nicht so gut kennt.

Die nationalen Finanzierungen müssen also erhalten bleiben?

Unbedingt. Und es muss in den einzelnen Ländern viel mehr Eigenverantwortung geben. Es darf, wie gesagt, keine unendlichen Hilfen geben. Das führt nur zu einer Transferunion, das wollen die Wähler nicht.

Einen strikten Sparkurs wollen die Wähler aber auch nicht, siehe Italien ...

Die Wähler wehren sich, weil hinter ihrem Rücken ein Schattenstaat entstanden ist, mit dem Europäischen Rat als Schattenregierung und der Eurogruppe als Schattenexekutive und einem Netz an Verträgen. An Italien und Portugal sehen wir, dass sich immer mehr Länder gegen den Schattenstaat auflehnen. Das zeigt auch Griechenland. Die versprechen viel, halten aber wenig.

Was ist die Alternative?

Die Rückkehr zu Maastricht. Und eine unpolitische Europäische Zentralbank, die keine Staaten finanziert. Sonst besteht die Gefahr, dass die Währungsunion in Richtung Rubelzone abrutscht.

Warum Rubelzone?

Das war die Währungsunion ehemaliger Sowjetrepubliken nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Die Staaten verwendeten die Zentralbank als Selbstbedienungsladen, es entwickelte sich eine enorme Inflation. Die baltischen Staaten hatten bald genug von der hohen Inflation und stiegen aus.

Mittlerweile wird über einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland geredet. Hat Griechenland eine Chance, im Euro zu bleiben?

Top-Ökonom: "Eurobonds wären eine Giftpille"
Ja, immer noch. Die Frage ist, ob sie sie nützen. In südlichen Ländern ist das Gefühl der Eigenverantwortung unterentwickelt.

Wie wird die Eurozone in zehn Jahren ausschauen?

Ob dann noch alle jetzigen Mitglieder dabei sind, ist schwer zu sagen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es dann mehr Mitglieder geben wird. Polen und baltische Staaten zum Beispiel.

Ist es aus Ihrer Sicht in Ordnung, wenn Sparer bei Bankpleiten „geschoren“ werden, wie es gerade in Zypern passiert?

Die Sparer-Beteiligung ist im Prinzip der richtige Weg. Den Leuten muss klar werden, dass Einlagen bis zur Höhe von 100.000 Euro praktisch versichert sind. Dafür kann ich keine Zinsen erwarten, dafür muss ich vielleicht sogar eine kleine Gebühr zahlen. Beträge darüber sind eben nicht versichert. Bei Bankpleiten wird zuerst auf die Aktionäre, dann auf die Anleihenbesitzer und schließlich auf die unversicherten Einlagen zugegriffen.

Die Zinsen sind ohnehin minimal. Sie meinen, dass kleine Sparer gar keine Zinsen bekommen sollten?

Ja, deshalb sollten auch alle Interesse daran haben, dass die Teuerungsrate niedrig ist. Vielleicht sollte man die Banken auch dazu bringen, die versicherten Einlagen bei der Zentralbank zu halten.

Dann könnten Banken dieses Geld aber nicht mehr in Form von Krediten vergeben ...

Kredite sind nicht sicher, da kann es Ausfälle geben. Einlagen bis 100.000 Euro sind sicher. Das geht ohnehin nicht zusammen.

Würde nicht eine enorme Kreditklemme auf uns zukommen, wenn Banken sichere Einlagen bei der Zentralbank parken müssen?

Ja, aber wir haben ohnehin viel zu viele Kredite.

Thomas Mayer: Zur Person
Karriereweg Thomas Mayer (59) startete beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel. 1983 bis 1990 war er in verschiedenen Funktionen beim Internationalen Währungsfonds in Washington tätig. Dann folgten Engagements bei Salomon Brothers und Goldman Sachs.
Deutsche Bank 2002 bis 2009 war Mayer Chief European Economist der Deutschen Bank in London. 2010 bis Juni 2012 war er Chefvolkswirt der Deutsche- Bank-Gruppe. Jetzt ist er Senior Fellow (leitender Wissenschafter) am Center for Financial Studies der Goethe Universität Frankfurt.

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