Top-Ökonom Feld: "Der Staat darf nicht Profiteur der Inflation sein"
Mit dem deutschen Wissenschafter sprach der KURIER auch über die Rezession bei einem Gas-Embargo und über Steuerzahler-Geld, das nur begrenzt zur Verfügung steht.
KURIER: Herr Professor, 1973 war es die Abhängigkeit vom arabischen Öl, 2022 sind wir vom russischen Gas abhängig. Haben wir in fast 50 Jahren nichts dazu gelernt?
Lars P. Feld: Das würde ich so nicht sagen. Wir haben ab den 1970er-Jahren schrittweise die Unabhängigkeit von einzelnen Staaten beim Öl erreicht. Nach dem Verbot von Kohle-Importen aus Russland wird der nächste Schritt ein Embargo von russischem Öl sein. Bei Gas ist die Abhängigkeit größer, aber es bestand die berechtigte Hoffnung, dass die Rivalitäten des Kalten Krieges vorbei seien. Jetzt führt Russland leider einen Angriffskrieg, der unmittelbar gegen die Ukraine, aber letztlich gegen den Westen gerichtet ist.
Ist die aktuelle Krise aus Krieg, Sanktionen, Inflation etc. schlimmer als Corona?
Den kräftigen Wirtschaftseinbruch durch Corona wird man durch den Ukraine-Krieg und die Sanktionen nicht unbedingt bekommen. Wir werden sicher ein schwächeres Wachstum im Jahresverlauf sehen. Wenn die Sanktionen noch schärfer werden müssen und wir zu einem Gas-Embargo kommen, dann werden einige Länder, darunter Deutschland und Österreich, die ja besonders betroffen sind, in eine Rezession schlittern. Diese wird aber vermutlich nicht so tief werden, wie wir das in der Pandemie oder der Finanzkrise erlebt haben.
Ist ein Gas-Embargo die einzige wirtschaftliche Waffe, die Putin stoppen kann?
Was heißt Putin stoppen? Den Krieg in der Ukraine, der sich jetzt mit massivem Militäreinsatz auf den Süden und Osten konzentrieren dürfte, stoppt man nicht ohne weiteres mit Wirtschaftssanktionen. Russland hat einen enormen Bestand an Waffen und hatte vor Ausbruch des Krieges 900.000 Mann unter Waffen.
Wir sind also chancenlos?
Nein, wir schaffen mit den Sanktionen schon eine Schwächung Russlands, auch eine militärische Schwächung. Aber Putin hat die Möglichkeit, auf seinen Bestand an Waffen und Soldaten zurück zu greifen und dabei seinen Staatshaushalt ganz prioritär auf das Militär auszurichten. Das heißt, die russische Bevölkerung wird noch viel, viel stärker leiden, wenn die Sanktionen schärfer werden. Und das heißt für uns, dass wir der Ukraine Waffen liefern müssen. Putin stoppen heißt sicherstellen, dass er nicht in einem späteren Schritt denkt, er könne ein NATO-Mitgliedsland etwa im Baltikum angreifen. Putin hat ja offenbar imperiale Wahnvorstellungen, aber die hatte Moskau wohl schon immer.
Was wäre vor dem Gas-Stopp die zweitstärkste Sanktion?
Ein Öl-Embargo und die Finanzierung dahinter. Die Tanker-Aktivitäten, beispielsweise von griechischen Tankern, wurden nicht nur unvermindert fortgesetzt, sondern sogar gesteigert. Sie liefern russisches Öl nach Westeuropa und in den Rest der Welt. Das kann man unterbinden, in dem man den Versicherungen untersagt, solche Tanker zu versichern - ein starker Hebel.
Rechnen Sie mit einer Pleite Russlands?
Ja, das kann sehr wohl passieren. Die Frage ist, wie es dann weitergeht. Russland hat ja momentan schon stark eingeschränkte Möglichkeiten, an Devisen heranzukommen und eingeschränkte Möglichkeiten, Rubel zu konvertieren, weil die Zentralbank sanktioniert ist. Ich glaube, das Pleite-Szenario würde für Russland daher wenig ändern. Im Westen gibt es hingegen eine Reihe von europäischen Banken, die in Russland engagiert sind, nicht zuletzt die österreichischen Banken. Diese sind am stärksten engagiert.
Zum Dauerproblem Inflation: Jetzt muss es schnell gehen mit der Energiewende und dem Verzicht auf Kohle, Öl und vielleicht auch auf Gas aus Russland. Das muss doch die Preise zwangsläufig weiter massiv anheizen ...
Ja, natürlich. Und wir sind ja bereits in einer Situation, aus Corona kommend, in der die Preise massiv nach oben gegangen sind. Der Grund dafür ist einfach: Das gesamtwirtschaftliche Angebot ist niedriger als die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Das Angebot zu steigern, ist angesichts des Ukraine-Kriegs und der Energie-Problematik schwierig. Und wir sehen jetzt schon Reaktionen auf dem Arbeitsmarkt. Die Sorge ist groß, dass die Löhne kräftig anziehen und sich Preise und Löhne gegenseitig aufschaukeln.
Was also tun?
Es ist notwendig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu reduzieren. Das geht vor allem über die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Sie muss zu einer restriktiveren Geldpolitik mit steigenden Zinsen kommen. Die Fed in den USA ist bereit, entschiedene Schritte gegen die Inflation zu unternehmen. Und die EZB wird das auch tun müssen.
Was werden die hoch verschuldeten Euro-Länder zu höheren Zinsen sagen?
Für manche Länder, allen voran Italien, heißt das auf den ersten Blick nichts Gutes. Italien steht ja schon wieder am Rande einer Rezession. Aber Italien hat die zehnjährige Niedrigzins-Phase genutzt, um sich langfristiger zu finanzieren. Das heißt: Bis Italien von den Zinsausgaben her wirklich in die Bredouille kommt, dauert das ziemlich lange. Die Hauptsorge ist momentan eher politischer Natur. Dass nämlich bei den Wahlen im kommenden Jahr in Rom wieder eine populistische Partei an die Macht kommt.
Sehen Sie die Gefahr, dass die Immobilienblase platzt, wenn sich der kleine Kreditnehmer oder Häuselbauer bei steigenden Zinsen seinen Kredit nicht mehr leisten kann?
Ich sehe diese Gefahr, aber nicht so sehr im Hinblick auf die kleinen Kreditnehmer. Wir haben ja nicht die Situation wie in den USA, wo der Staat in Deutschland oder Österreich massiv dafür gesorgt hätte, dass Leute Immobilien erwerben, die sich das eigentlich nicht leisten können. Trotzdem haben wir die Preisübertreibung an den Immobilienmärkten, wir haben eine zunehmende Entkopplung von Preis und Mietentwicklung. Das ist besorgniserregend, weil es durchaus sein kann, dass wir eine Immobilienblase haben, und wenn sie platzt, wird es Schwierigkeiten für die Banken geben, die ja auch große Projekte finanzieren. Auf die kommt es gesamtwirtschaftlich gesehen eher an. Daher ist es richtig, dass die Banken höhere Puffer bilden müssen.
Teilen Sie die Ansicht, dass die Inflation für den Staat gut ist, weil auch seine Schulden entwertet werden? Die Teuerung also bewusst in Kauf genommen wird ...
Nein. Bei einem bestimmten Bestand an Staatsschulden und einer Inflation von zehn Prozent sind diese Schulden in zehn Jahren zwar weniger wert. Aber der Staat muss seine Schulden nominal zurückzahlen und er muss davon ausgehen, dass bei der Refinanzierung von den Gläubigern höhere Nominalzinsen verlangt werden, die später bei Normalisierung der Inflationsentwicklung stärker schmerzen. Zudem: Die Ausgaben des Staates wie etwa Pensionserhöhungen aber auch alle Investitionsausgaben, etwa beim Bau, steigen genauso mit höherer Inflation. Der einzige Vorteil, den der Staat eindeutig von der Inflation hat, sind höhere Einnahmen bei der Lohn- und Einkommenssteuer wegen der kalten Progression.
Die zumindest in Österreich nie abgeschafft wurde ...
In Deutschland wird sie alle zwei Jahre ein Stück weit abgegolten – abhängig von der Gesamtsituation und manchmal mit einer sozialen Komponente. In Österreich leider nicht. Und es wäre dringend erforderlich, das zu tun, damit der Staat nicht Profiteur der Inflationsentwicklung wird.
Das Wachstum bricht ein, die Preise bleiben hoch, kommt jetzt also die berüchtigte Stagflation?
Ob das Wachstum wirklich einbricht, steht noch nicht fest. Wir müssen erst einmal von der hohen Erwartungen runter, die wir hatten. Aber das Stagnationsszenario ist deutlich wahrscheinlicher geworden. Bei gleichzeitig hohen Preisen, kann man das nur mit einer Reduktion der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bekämpfen und kann es kaum mit einer expansiven Fiskalpolitik begleiten. Das würde die Inflation eher wieder anheizen.
Seit Corona heißt es, koste es, was es wolle. Kann man eine Stagflation also nicht mit Steuerzahlergeld abfedern, kompensieren?
Nein, das können sie auf Dauer nicht kompensieren. Höhere Preise machen die Menschen ärmer. Was derzeit geschieht, ist meist teure Symbolpolitik. Ein Anti-Teuerungspaket ändert ja nichts an den Ölpreisen. In dieser Zeitenwende, die wir erleben, kann man nicht alle Menschen vor den Auswirkungen des neuen Wirtschaftsgeschehens schützen. Wir können nur bei den Bedürftigen über die Transfersysteme abfedern. Aber allen alles ersetzen, geht auf keinen Fall.
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