Nach 50 Jahren: Endlich mehr netto im Geldbörserl
Vor 50 Jahren gab es die ersten Debatten, nun ist es so weit: Die türkis-grüne Bundesregierung hat das Ende der kalten Progression beschlossen. Darunter versteht man eine schleichende Steuererhöhung, die entsteht, wenn Löhne steigen, die Steuertarifstufen aber nicht an die Inflation angepasst werden. Dadurch kam beim Steuerzahler netto bisher nie die ganz Bruttolohnerhöhung an – und der Finanzminister kassierte ein Körberlgeld. Ein Fehler im System, mit dem ab 2023 Schluss ist.
Kaum eine Regierung hat sich in der Vergangenheit nicht das Ziel gesetzt, die kalte Progression abzuschaffen. „Es ist wahrscheinlich für alle eine große Überraschung, dass eine Koalition aus einer Mitte-Rechts-Partei und aus einer linksalternativen Partei diese Strukturreform umgesetzt hat“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch beim Ministerrat.
Zwei-Drittel-Modell
Was bedeutet die Abschaffung konkret? Schon im ersten Jahr beträgt die Entlastungswirkung laut Finanzministerium (BMF) 1,85 Milliarden Euro. Die Gesamtentlastung bis 2026 soll bei rund 20 Milliarden Euro liegen. Dazu werden ab kommendem Jahr die Sozialleistungen, etliche Absetzbeträge und allen voran die Tarifstufen angepasst. Heißt: Um die kalte Progression abzuschaffen, werden die untersten beiden Tarifgrenzen im kommenden Jahr um 6,3 Prozent angehoben. Bei höheren Jahreseinkommen steigen die Tarifstufen um 3,47 Prozent. Warum kommen hier unterschiedliche Anpassungswerte zur Anwendung?
Das Wifo hat von Juli 2021 bis Juni 2022 eine Inflationsrate von 5,2 Prozent errechnet. Zwei Drittel dieses Wertes – also zwei Drittel der kalten Progression für alle Tarifstufen, außer der höchsten – fließen automatisch an die Steuerzahler zurück. Das sind 1,23 Mrd. Euro im Jahr 2023. Für diesen Teil der Entlastung gilt eine Anhebung der Tarifgrenzen um 3,47 Prozent.
Doch auch das verbleibende Drittel muss der Finanzminister rückverteilen. Und hier hat er Handlungsspielraum. 2023 soll der Betrag speziell kleineren Einkommen zugute kommen, daher wird ein höherer Anpassungsfaktor verwendet: Die ersten beiden Tarifstufen werden um die beschriebenen 6,3 Prozent angehoben.
Das sieht dann folgendermaßen aus: Die erste Tarifgrenze (auch Steuerfreigrenze genannt) steigt von bisher 11.000 Euro auf 11.693 Euro. Bis zu diesem Wert zahlt man keine Lohn- und Einkommenssteuer.
Die zweite Tarifgrenze wird von 18.000 auf 19.134 Euro angehoben. Bis zu diesem Jahreseinkommen beträgt der Steuersatz 20 Prozent.
Die vier weiteren Tarifgrenzen werden um besagte 3,47 Prozent angehoben, also:
- von 31.000 auf 32.075 Euro (Steuersatz 30 Prozent)
- von 60.000 auf 62.080 Euro (Steuersatz 41 Prozent)
- von 90.000 auf 93.120 Euro (Steuersatz 48 Prozent)
- ab 90.000 künftig ab 93.120 Euro (Steuersatz 50 Prozent)
Der Verkehrsabsetzbetrag wird um 5,2 Prozent erhöht, also von 400 Euro auf 421 Euro. Der erhöhte Verkehrsabsetzbetrag steigt von 690 Euro auf 726 Euro.
Was durchaus passieren kann: Dass die nächste Regierung Modell wieder abschafft. Die Abschaffung der kalten Progression wurde nicht in den Verfassungsrang gehoben. Für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit hätte es längere Verhandlungen gebraucht, meinte Nehammer.
Drei Beispiel-Rechnungen:
Das Finanzministerium hat dazu drei Beispiele für die gesamte Entlastungswirkung berechnet. Dabei zeigt sich:
Beim Medianeinkommen für Unselbstständige in Vollzeitbeschäftigung von aktuell 3.171 brutto beträgt die Entlastung im Jahr 2023 391 Euro und steigt auf bis zu 1.544 Euro im Jahr 2026.
Beim Medianeinkommen von 2.161 Euro aller Unselbstständigen (Teilzeit und Vollzeit) beträgt die Entlastung im kommenden Jahr 371 Euro und steigt auf bis zu 1.276 Euro (2026)
Und schließlich profitieren Pensionisten (Durchschnittspension 1.582 Euro) ebenfalls mit 371 Euro. Dort steigt die Entlastungswirkung bis 2026 auf 1.404 Euro.
Kritik von der Opposition
Während die SPÖ – auch sie plädierte in der Vergangenheit meist für die Abschaffung – die Maßnahme nun kritisierte, sprachen sich Neos und FPÖ prinzipiell dafür aus. Sie kritisieren aber neben anderem, dass nicht die volle Inflationsrate automatisch rückverteilt wird. Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker sprach von einer "Mogelpackung".
Experten: Lob und Tadel
Wie beurteilen Experten das Zwei-Drittel-Modell?
„Das ist besser als die alte Lösung, als man sich alle paar Jahre für eine Steuerreform feiern ließ, obwohl nur die kalte Progression zurückbezahlt wurde. Denn ohne Maßnahmen wachsen die Mehreinnahmen für den Fiskus automatisch“, sagt Dénes Kucsera, Ökonom beim wirtschaftsliberalen Think Tank Agenda Austria, zum KURIER. „Angesichts der horrenden Teuerung wäre es natürlich überlegenswert, den Steuerzahlern alles zurückzugeben“, so Kucsera. Zudem könne die außertourliche Besserstellung der untersten Tarifstufen dazu führen, dass noch mehr Menschen in Teilzeit arbeiten.
Generell gegen die Abschaffung sprach sich Fiskalrat-Vorsitzender Christoph Badelt aus. Zahlungen an einkommensschwache Haushalte seien aktuell zielführender. Zudem steht die Gegenfinanzierung zu Debatte. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel für das Fachmagazin SWK warnen Ökonomen zudem vor einem Budgetloch von rund 14 Milliarden Euro bis 2026. Begründung: Das aktuelle Berechnungsmodell würde den Steuerzahler für die kalte Progression überkompensieren. Diese Befürchtung teilt der Fiskalrat wiederum nicht.
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