Aber zuerst zum Plan der Regierung. Wurde die kalte Progression sonst immer alle paar Jahre über Steuerreformen ausgeglichen, soll sie künftig folgendermaßen verhindert werden: Zwei Drittel dessen, was der Finanzminister durch die kalte Progression einnimmt, erhält der Steuerzahler automatisch zurück. Wie? Indem die Tarifstufen automatisch um zwei Drittel des Werts der Inflation an die Einkommen angepasst werden. Dabei spricht man von einem sogenannten "Tarif auf Rädern". Ein Drittel bleibt dem Finanzminister, um auch in Zukunft gezielte steuerliche Maßnahmen setzten zu können. Es soll vor allem Erwerbstätige und Pensionisten entlasten.
Nicht korrekt gerechnet?
Am Freitag endete das Begutachtungsverfahren zum Ministerialentwurf zur kalten Progression. Neben den Ländern, für die das Vorhaben einen enormen Einnahmenverlust bedeutet, übte auch der Rechnungshof Kritik. Er bemängelte, dass die Angaben zu den finanziellen Auswirkungen "nicht durchgehend nachvollziehbar hergeleitet bzw. ermittelt sind". Zudem fehle eine Wirkungsorientierte Folgenabschätzung (WFA) des Finanzministers.
Kritisch sehen das Modell der Regierung auch die Ökonomen Peter Brandner (Weis[s]e Wirtschaft) und Josef Baumgartner (Wifo) in einem Artikel für das renommierte Fachmagazin Steuer- und WirtschaftsKartei (SWK). Brandner schlug bereits Anfang Juni im KURIER vor, auf Basis der gesamtwirtschaftlichen Einkommens- und Lohnsteuerdaten das Ausmaß der kalten Progression des Vorjahres zu berechnen. "So ergibt sich das korrekte Kompensationsvolumen, um das entlastet werden sollte", sagt Brandner damals. Seine Kritik: Werde die kalte Progression nach einem Tarif auf Rädern auf Basis auf Basis der vollen Inflationsrate berechnet, bezahle der Staat mehr, als er eingenommen habe.
Das Maximum
Warum? Tatsächlich gibt und gab es auch in wissenschaftlichen Kreisen Diskussionen, wie genau die kalte Progression definiert werden muss. Die gängigste Variante: Die kalte Progression betrifft nur Personen, deren Einkommen im Jahresvergleich gestiegen ist. Wer nun etwa in Teilzeit oder Karenz wechselt, kann auch ein gleichbleibendes oder niedrigeres Jahreseinkommen haben als im Vorjahr.
Ergebnis: Die Steuerlast steigt nicht. Wird der Steuertarif nun per Automatismus aber pauschal für alle Personen angepasst, profitieren auch jene, die nichts durch die kalte Progression verloren haben. "So wird definitionsgemäß die maximal mögliche kalte Progression berechnet, nicht aber jene steuerlichen Mehreinnahmen, die tatsächlich als kalte Progression ins Budget fließen bzw. flossen", heißt es im Fachartikel.
14 Milliarden Euro zu viel?
Was das konkret im aktuellen Modell der Regierung bedeutet, haben Brandner und Baumgartner für den Zeitraum von 2023 bis 2026 abgeschätzt. Laut Ministerialentwurf kostet die Abschaffung der kalten Progression dem Finanzministerium (BMF) in diesem Zeitraum für die Lohn- und Einkommensteuer kumuliert 20,3 Milliarden Euro. Die Rechnung der Experten ergibt, dass die tatsächlichen Mehreinnahmen durch die kalte Progression von 2023 bis 2026 nur 6,1 Milliarden beträgt. Somit käme innerhalb von drei Jahren ein Budgetloch von satten 14,2 Milliarden Euro zustande. Fazit: "Mit dieser Vorgangsweise kann ein budgetäres Problem entstehen."
Wifo-Ökonom Simon Loretz bestätigte die systematische Überkompensation gegenüber der Wiener Zeitung. Zwar sei der Unterschied wohl nicht ganz so hoch, wie im Fachartikel von Brandner und Baumgartner geschildert, doch "klar" sei, dass der Plan der Regierung nicht nur inflationsbedingte Mehreinnahmen abgelte, sondern auch eine Steuerentlastung ohne Gegenfinanzierung darstelle. Die höheren staatlichen Einnahmen durch die Teuerung würden das Modell der Regierung "nicht vollständig kompensieren", meinte Loretz.
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