Um die Steuerzahler zu entlasten, stellt die Regierung die Abschaffung der kalten Progression in Aussicht. Worum es geht und welche Modelle diskutiert werden.
Die kalte Progression gilt als unfair, ihre Abschaffung wurde in vielen Wahlkämpfen – oft von allen Parteien – gefordert und nie beschlossen. Prinzipiell: Was beschreibt dieser Begriff überhaupt?
Die Ausgangslage: Auf Jahreseinkommen bis 11.000 Euro fallen in Österreich überhaupt keine Steuern an. Ab dann gelten sechs Tarifstufen, auf denen die Einkommen zunehmend höher besteuert werden – das nennt man Progression. Einkommen bis 18.000 Euro werden mit 20, bis 31.000 mit 32,5 und bis 60.000 mit 42 Prozent besteuert.
Bei der kalten Progression passiert mit Ihrem Einkommen Folgendes: Ihr Lohn wird – wie jedes Jahr – an die Inflation, also die höheren Preise im Alltagsleben, angepasst. Sie verdienen jetzt zwar brutto mehr, zahlen aber für Ihr insgesamt höheres Einkommen anteilsmäßig auch mehr Steuern als zuvor.
Inflation: Wegen des Ukraine-Krieges droht eine Gasknappheit. Ergebnis: Die Gaspreise steigen. Die Inflationsrate gibt in Prozent an, wie stark die Preise von Waren oder Gütern in einem Zeitraum gestiegen sind
Deflation: Das Gegenteil: Es gibt mehr Güter und Waren als Käufer. Die Preise sinken. Könnte passieren, wenn zum Beispiel die Zentralbank die Geldmenge zu stark reduziert
Stagflation: Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, die Arbeitslosenzahlen steigen, aber gleichzeitig eine hohe Inflation herrscht. Gab es zuletzt beim Ölpreisschock in den 1970ern
Sechs Tarifstufen: Jahreseinkommen bis 11.000 Euro ist steuerfrei.
Ab dann gelten
bis 18.000 Euro: 20 % Steuern.
18.000–31.000: 32,5 %.
31.000–60.000: 42 %.
60.000–90.000: 48 %.
90.000–1.000.000: 50 %.
Ab dann: 55 %
Obwohl Ihr Lohn um die Inflation erhöht wurde, bleibt Ihnen netto, also nach Steuern, nicht die ganze Inflationsabgeltung übrig. Sie haben also trotz Lohnerhöhung an Kaufkraft verloren.
Konnten Sie erfolgreich einen Abschluss über der Inflationsrate erzielen, haben Sie einen Reallohnzuwachs. Die daraus folgende höhere Steuerbelastung ist die „reale Progression“. Sie ist im System vorgesehen, die kalte Progression nicht. Wegen der heuer massiven Inflation steht diese nun tatsächlich vor dem Aus.
Regierung, Sozialpartner und Experten haben im Rahmen einer Expertenkommission Modelle zur Abschaffung debattiert. Was auf dem Tisch lag – und was jetzt passieren dürfte: der KURIER gibt einen Überblick.
Anpassung aller Tarife
Wie etwa in der Schweiz, Schweden oder Belgien werden die Lohn- und Einkommenssteuertarife in diesem Modell automatisch an die Teuerung angepasst. Bei einer Jahresinflation von rund 6 Prozent würde das heuer zirka 1,5 Milliarden Euro kosten. Das Modell hat den Vorteil, dass sämtliche Steuerzahler, deren Gehalt gestiegen ist, in vollem Umfang für die Inflation entschädigt würden. Die Nachteile: Die Entlastungen wären sozial nicht treffsicher. Die zwei Zehntel mit dem höchsten Einkommen würden 40 Prozent des Entlastungsvolumens erhalten, die unteren beiden Zehntel nur fünf Prozent. Der budgetäre Spielraum des Finanzministers für andere Steuerreformen oder außertourliche Investitionen in Bereiche wie den Klimaschutz würde sinken. Und: Dieser Automatismus kostet den Finanzminister sogar mehr Geld, als er durch die kalte Progression in Summe eingenommen hat. Warum?
Die kalte Progression betrifft nur Personen, deren Einkommen im Jahresvergleich gestiegen ist. Wer nun etwa in Teilzeit oder Karenz wechselt, kann auch ein gleichbleibendes oder niedrigeres Jahreseinkommen haben als im Vorjahr. Ergebnis: Die Steuerlast steigt nicht. Wird der Steuertarif nun per Automatismus aber pauschal für alle Personen angepasst, profitieren auch jene, die nichts durch die kalte Progression verloren haben.
Das Brandner-Modell
Der Ökonom Peter Brandner von der Initiative „Weis[s]e Wirtschaft“ schlägt vor, auf Basis der gesamtwirtschaftlichen Einkommens- und Lohnsteuerdaten das Ausmaß der kalten Progression des Vorjahres zu berechnen. „So ergibt sich das korrekte Kompensationsvolumen, um das entlastet werden sollte“, sagt Brandner. Heißt: Der Finanzminister würde nur so viel automatisch zurückgeben, wie er im Vorjahr durch die kalte Progression eingenommen hat.
Die Anpassung des Tarifs erfolgt in diesem Modell dann nicht mit der Inflationsrate, sondern um einen Faktor, der eine Steuerentlastung um das Kompensationsvolumen sicherstellt. Wer betroffen war, bekommt etwas zurück – allerdings nicht in vollem Umfang. Da der neue Tarif für alle gilt, profitiert auch anteilig, wer gar nicht betroffen war. Obwohl das Finanzministerium (BMF) die kalte Progression so in Summe voll ersetzen würde, hätte es durch die Mehreinnahmen aus der realen Progression Spielraum für weitere Reformen.
Hinauslaufen dürfte der türkis-grüne Kompromiss auf folgendes Modell: Das BMF zahlt drei Viertel dessen, was es durch die kalte Progression einnimmt, über automatische Tarifsenkungen an die Steuerzahler zurück. Ein Viertel hebt sich der Finanzminister als budgetären Spielraum auf. Wie genau in diesem Modell die Mehreinnahmen berechnet werden, bleibt abzuwarten.
Teil-Abschaffung
In einem anderen Modell, das ebenfalls diskutiert wurde, werden nur die beiden unteren Tarifstufen an die Inflation angepasst. Das bietet ähnliche Vor- und Nachteile wie die Abschaffung für alle Tarifstufen. Es würde nur weniger kosten.
Einmaliger Ausgleich
Auch eine einmalige Anpassung aller Tarifstufen an die Inflation war im Gespräch. Dieses Modell beinhaltet keinen Automatismus und wäre somit nichts anderes als eine anlassbezogene Steuerreform.
Generelle Nachteile
Gewisse Nachteile sieht die Expertenkommission bei allen Modellen. Erstens: Durch eine Abschaffung oder Abfederung der kalten Progression steigen die Einkommen, was wiederum die Nachfrage erhöhen, somit preistreibend wirken und die Inflation noch stärker anheizen kann. Zweitens: Während hohe Einkommen in absoluten Beträgen stark entlastet werden, hilft die Beseitigung der kalten Progression den niedrigsten Einkommen, die ohnehin kaum oder keine Steuern zahlen, wenig. Drittens: Dem Finanzminister fehlt dadurch budgetärer Spielraum für weitere Entlastungen.
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