Kalte Progression? Könnten wir eigentlich gut gebrauchen

Sie war in den vergangenen Jahren – oder Jahrzehnten – dafür verantwortlich, dass unser Einkommen an Wert verloren hat: die kalte Progression. Und zwar selbst dann, wenn unser Lohn gestiegen ist. Diesen Fehler im System hat die Regierung nun beseitigt. Die kalte Progression ist ab 2023 de facto abgeschafft. Das Modell ist streitbar, aber fest steht: Der Staat muss alles zurückgeben, was er uns sonst zu Unrecht weggenommen hätte.
Eine gute Idee, wenn sich bald zweistellige Inflationsraten in unseren Alltag drängen?
Auf den ersten Blick schon. Wenn Geld, das wir aufgrund der Teuerung verlieren, teils automatisch refundiert wird, heißt das auch: Unübersichtliche Einmalzahlungen, die zu Neiddebatten in der Gesellschaft und Rücktritten von Generalsekretärinnen führen, kann die Regierung getrost einstampfen.
Gleichzeitig geht dadurch gerade jetzt wertvoller Spielraum für Reformen verloren. Der Finanzminister gibt mindestens zurück, was er einnimmt. Beim aktuellen Modell vielleicht sogar zu viel, wie Wirtschaftsexperten monieren.
Das ist höchstproblematisch. Schon Teile der Corona- und Anti-Teuerungspakete gehen auf Kosten neuer Staatsschulden. Und wer soll die Nachrüstung des Bundesheers und den Ausbau erneuerbarer Energien bezahlen? Wer die Ausbildung von Ärzten, Lehrerinnen und Pflegekräften? Wer die traditionell zu hohen Pensionserhöhungen? Die Antwort: Wenn es das Wirtschaftswachstum nicht schafft, gelingt das nur über neue Staatsschulden – also auf Kosten der Enkel und Urenkel.
Menschen mit höherem Einkommen kommen offensichtlich nicht infrage. Auf Vermögens- und Erbschaftssteuern verzichtet Österreich bekanntlich weitestgehend. Auch durch die Abschaffung der kalten Progression werden sämtliche Einkommensgruppen etwa gleichermaßen entlastet. Das ist verteilungspolitisch fair, ein Fehler im System wurde endlich abgeschafft. Aber der Zeitpunkt dafür ist leider ungünstig. Eine weitere gezielte Steuerreform hätte es vorerst auch getan und Spielraum gespart.
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