Generationsforscher: "Wir sollten uns nicht für jüngere Leute verbiegen"
Simon ist 25 Jahre alt, als er sich für ein Dreimonatspraktikum beim Institut für Generationsforschung bewirbt. Beim Erstgespräch wirkte er vielversprechend, doch das ändert sich: Er kommt nur selten pünktlich in die Arbeit (seine Eltern hätten den Verkehr unterschätzt), verbringt viel Zeit am Handy, nascht ungefragt Süßigkeiten, die nicht seine sind, hat Probleme mit Rechtschreibung, Grammatik und logischem Denken, will (selbstverständlich) ins Homeoffice, obwohl das für Praktika nicht vorgesehen ist, und erklärt ständig, wie man die Arbeit im Büro besser machen könnte.
Diese Erfahrung mit dem Nachwuchs war für Rüdiger Maas, Gründer des Instituts für Generationsforschung, irritierend. Denn Simon ist keine Karikatur der Generation Z (geboren zwischen 1996-2010), sondern tatsächlich sein ehemaliger Praktikant (der Name wurde anonymisiert). Maas beschreibt in seinem neuen Buch „Generation arbeitsunfähig“ diesen ganz besonderen Fall und verdeutlicht, dass eine Zusammenarbeit mit den jungen Persönlichkeiten eine Herausforderung darstellt, die es zu meistern gilt. Aber wie?
KURIER: Sie beschreiben in Ihrem Buch den Praktikanten „Simon“, der sie öfters sprachlos zurückgelassen hat. Ist er ein typischer Vertreter der GenZ?
Rüdiger Maas: Nein, das wäre ja ein Wahnsinn. Simon repräsentiert seine Generation nicht, ganz im Gegenteil. Es gibt auch richtig tolle Leute in der GenZ, aber die gehen dann auch zu richtig tollen Unternehmen. Wobei man fairerweise sagen muss, dass es immer mehr Extremfälle wie Simon gibt. Das war früher nicht so auffällig.
Wie wird man zu einem Extremfall wie Simon?
Durch den aktuellen Arbeitsmarkt kann man seinen Arbeitsplatz freier aussuchen und infolge seine Persönlichkeit mehr ausleben. Früher musste man seine Eigenart runterschlucken und sich der neuen Umgebung anpassen. Außerdem nehmen Eltern ihren Kindern mehr ab und junge Nachwuchskräfte fordern diese Unterstützung auch in der Arbeit ein. Charaktere wie Simon werden dadurch viel sichtbarer.
Die GenZ ist also von allen Seiten verhätschelt?
Man beschäftigt sich viel mehr mit Kindern als früher. Vor hundert Jahren hat man sich als Vater für die Erziehung nur eine Minute pro Tag Zeit genommen, heute sind es eineinhalb Stunden. Eltern wollen es so gut wie möglich machen und vielleicht auch Versäumtes kompensieren. Also nehmen sie ihren Kindern viel ab. Hinzu kommen soziale Medien, die den Druck erhöhen. All das wirkt auf die Jungen ein.
Wie groß ist die Rolle der Eltern im Leben der GenZ?
In unserer Studie hatten wir keinen Befragten, bei dem die Eltern nicht mitentschieden haben, Ratgeber waren oder gefragt wurden, was man studieren oder arbeiten soll. Bei der Arbeitsplatzsuche sind Eltern die erste Anlaufstelle. Auch bei Kündigungen sehen Kinder ihre Eltern als erste Ansprechpartner. Das ist für viele Unternehmen ein Problem, weil sie nur die Kündigung vorgelegt bekommen, aber den Grund dafür nur erahnen können.
Werden Eltern heute in allen Lebensbereichen zu Rate gezogen?
Nicht überall. Nur dort, wo es keine Bewertungsportale gibt und das Internet oder Freunde nicht weiterhelfen können. Wenn man so will: Die analoge Welt. Das liegt daran, dass Eltern und Kind mittlerweile einen sehr ähnlichen Wertekodex haben. Ich bin da ein gutes Gegenbeispiel. Als ich Psychologie studieren wollte, meinten meine Eltern, dass es eine brotlose Kunst ist. Ihre Meinung war mir damals aber ziemlich egal. Ich habe es trotzdem durchgezogen. Solche Kämpfe gibt es heute in den Familien häufig nicht mehr.
Sie schreiben in ihrem Buch, dass GenZ viel Freiheit aber auch Strukturen braucht. Wie meinen Sie das?
Die jüngeren Arbeitskräfte sind viel mehr in der digitalen Welt unterwegs als irgendeine Generation davor. Während der Pandemie haben sie wöchentlich bis zu 70 Stunden auf sozialen Plattformen verbracht. Der Umgang mit anderen Menschen im echten Leben kommt da zu kurz und ist entsprechend untrainiert. Wenn man neu in einem Unternehmen ist, wirkt einiges fremd und es braucht Transparenz, um zu wissen, was auf einen zukommt. Mit Anfang 20 ist man als Anfänger deshalb sehr dankbar für Strukturen. Sie können die Unsicherheiten nehmen.
Strukturen durchzusetzen, sollte bei der jungen Generation kein Problem darstellen. Sie beschreiben sie auch als brav und vorgabentreu.
Man erkennt das an den „Fridays for Future“-Protesten. Sie gehen da sehr vorgabentreu vor. Jeden Freitag treffen sie sich, machen nichts Freches, bleiben nur kurz und werden dann von der Mama heimgefahren. Es gab auch nie eine Ausweitung wie zum Beispiel "Monday for Future", was bei Vorgängergenerationen sehr wahrscheinlich der Fall gewesen wäre.
Welche Konsequenzen trägt eine Generation, die nicht gegen den Strom schwimmen will?
Die GenZ bewegt sich gerne im sozialerwünschten Kontext oder bessergesagt im für GenZ sozialerwünschten Kontext. Die Konsequenz können wir jetzt beobachten: geringe Frustrationstoleranz. Man hat immer das Gefühl, dass es etwas Besseres gibt, und ist unglücklich. Wenn es unangenehm wird, wechselt man den Job. Auch Leistung wird dadurch abgewertet.
Inwiefern?
Leistung ist bei der GenZ mittlerweile negativer behaftet. Boomer sehen Leistung als etwas Tolles an. Früher haben sich mindestens 30 Personen für eine Stelle beworben. Wenn man den Platz bekommen hat, war man natürlich unfassbar stolz. Mit Fleiß konnte man Karriere machen und das unabhängig vom Schulabschluss. Heute ist es umgekehrt. Die Unternehmen bewerben sich bei den Arbeitssuchenden. Viele Jungen denkt jetzt, dass Menschen, die sich über Leistung definieren, keinen anderen Lebenssinn haben und es ihnen eigentlich nur um Macht geht. Das führt zu einem Unverständnis zwischen den Mitarbeiter-Generationen.
Was bedeutet das für die Arbeitswelt?
Die Arbeit an sich wird entwertet. GenZ identifiziert sich nicht mehr mit ihrem Job, so wie es Boomer gemacht haben. Ich würde mich beispielsweise als Psychologe beschreiben. Das bin auch am Wochenende, das bin ich immer. Wenn man einen GenZler am Wochenende fragt, wer er ist, wird er mit „Max Mustermann“ antworten.
Ist das ein spezielles Merkmal der GenZ oder einfach, wie man als junge Person denkt?
Die Welt hat sich weiterentwickelt. Junge Leute passen sich der Umgebung an, die sie vorfinden. Egal, in welchem Jahrtausend. Jetzt treffen völlig verschiedene Konzepte aufeinander. Senior Chefs haben früher den Juniors alles erklärt. Heute langweilen sich die Jungen überspitzt gesagt und haben andere Ideen. Erfahrung wird entwertet, weil sie nicht mehr auf aktuelle Situationen übertragbar ist. Die GenZ sagt: „Ich kann nicht einordnen, was du gemacht hast, aber ich bewundere es nicht.“
Ist das etwas Schlechtes?
Um es von der Metaebene zu betrachten: Dass es Österreich heute so gut geht, liegt an der Arbeit und den Fleiß der Babyboomer. Diese Lorbeeren mehr oder weniger zu ernten und dafür selbst nichts zu machen, darf gesamtgesellschaftlich kritisiert werden. Auf der anderen Seite haben wir aber auch kräftig dafür gesorgt, dass die Jungen die Welt so wahrnehmen.
Wie kann man diese Lücke in der Arbeitswelt schließen?
Wir müssen Arbeit wieder interessanter und anspruchsvoller machen – und das nicht nur peripher. Vier-Tage-Woche, Goodies, Workation braucht es dafür nicht. Arbeit sollte herausfordern, damit man stolz auf die Leistung sein kann. Das bedeutet aber auch, dass es manchmal unangenehm sein darf. Alles andere wäre Utopie. Wir sollten uns nicht für jüngere Leute, die noch nie gearbeitet haben, verbiegen und uns dann wundern, warum es nicht klappt. Man hat kein erfolgreiches Unternehmen auf die Beine gestellt, weil man so gehandelt hat wie die 16-Jährigen von heute. Wir müssen die Welt so aufbauen, dass die Jungen weitermachen können und ihnen nicht alles hinterhertragen, sodass sie sich übersättigt hinsetzen.
Und wenn die GenZ nicht mitziehen will?
Wer von Anfang an nicht mitziehen will, würde ohnehin nicht im Unternehmen bleiben. Wenn man nur die zehn Besten aufnimmt, freuen sich Bewerber, die es geschafft haben umso mehr und bleiben auch. Und genau das will die GenZ. Sie will ernster genommen werden und keine Obstkörbe oder Sportschuhe im Büro. Man macht diese Generation oft zu etwas, was sie eigentlich gar nicht ist. Das versuche ich im Buch zu verdeutlichen. Am Ende sollen die Leser sich fragen, ob mit „arbeitsunfähig“ die Älteren oder die Jüngeren gemeint sind.
Wie man mit einem „Simon“ umgeht
und was die Generation Z im Job braucht
Ein ernstes Wort. Simon ist Rüdiger Maas ehemaliger Praktikant. Er ist unpünktlich, auffallend naiv und stellt fragwürdige Forderungen. Ganz nach dem Motto: „Das Wichtigste im Leben ist chillen. Ich werde nie an Burn-out erkranken wie all die Boomer, die sich kaputtgearbeitet haben. Und wofür haben sie das überhaupt gemacht? Für einen verdreckten Planeten?“, wie Maas in seinem Buch „Generation arbeitsunfähig“ schreibt.
Wie man mit einem Simon im Team am besten umgeht? „Indem man ihn ernst nimmt“, ist Maas überzeugt. Dafür brauche es jedoch viel Geduld und Zeit.
„Aus falscher Kritikscheu verzichtet man bei Jungen oft auf ehrliches Feedback“, meint Rüdiger Maas. Dabei sei das nicht nötig. Durch ehrliches Feedback findet man nämlich die richtigen Mitarbeiter, deswegen: „Wenn man Bewerbungen mit zwei Rechtschreibfehlern erhält, wird man die Person nicht einstellen.“ So eine Transparenz und das richtige Feedback brauche es aber von Anfang an.
Die Personen, die man aber im Unternehmen aufnimmt, sollte man geduldig abholen und fördern. „Manche sind weiter, andere nicht. Man muss schauen, wo der Mitarbeiter aktuell steht und die Wertung komplett rausnehmen“, so der Experte. Auch wenn man ihnen in den ersten zwei Wochen erst das Kopieren und Telefonieren beibringen muss. Ruhige erste Wochen bedeuten jedoch nicht, dass man es den Jungen im Team besonders leicht machen sollte: „Man kann etwas mehr fordern und wird sich wundern, wie schnell sie lernen können.“
Fördern und fordern, ist also die Devise. Heißt: „Nicht mit alten Sprüchen abspeisen, sondern dafür sorgen, dass sie gut eingearbeitet werden. Im Gegenzug müssen sie aber auch etwas leisten“, sagt der Psychologe. Wobei er auch eingesteht, dass man die Muße wohl nur für jemanden aufbringt, von dem man auch überzeugt ist: „Einen Simon wird man eher nicht fördern wollen.“
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