Warum viele Wirte zusperren, die Gastro aber trotzdem boomt
Die Ottakringer Straße ist die Meile der Cafés – eines neben dem anderen – und Lokale, die man eher abends besucht. Die Thaliastraße hat sich offensichtlich auf Kebab-Buden geeinigt – eine neben der anderen. Rund 20 solcher Esslokale zählen wir allein zwischen Ottakringer Brauerei und dem Gürtel.
Jedoch: „Die Geschäfte laufen nicht gut“, sagt uns ein Kebap-Verkäufer ernüchtert. An manchen Tagen sei der Umsatz nur einstellig, davon könne man keine Miete zahlen. „Zu viel Kebap nebeneinander“, weiß er. „Früher war ich im Türkis, da war mehr los“. Man habe ihn nun für einen anderen Kebab-Laden abgeworben, „aber hier ist zu viel Konkurrenz, das ist nicht normal“.
Was ist da los?
Was normal ist, ist eine nicht beantwortbare Frage. Dass sich in einer Straße viele Gastronomiebetriebe nebeneinander ansiedeln, ist jedoch nicht ungewöhnlich. „Clustering“ nennen das die Experten. „Die Gastronomie macht das gerne und Lokale siedeln sich eben gerne nebeneinander an“, erklärt Wolfgang Richter, Geschäftsführer von Regioplan. Wenn es dabei eine Vielfalt gibt, Abwechslung für die Gäste, dann funktioniere das auch für alle gut.
So wie in der Schleifmühlgasse, wo das Nebeneinander der Lokale schon seit Jahren gut geht. Das bekannte Anzengruber ist hier, das Otto e Mezzo, die Vollpension, der Breakfastclub oder das Point of Sale. Alle Lokale sind am Spätnachmittag unseres Besuchs lebendig und voll. Es ist ein Viertel für die Jungen, unweit der Technischen Universität. Auch der Naschmarkt mit seinen vielen Esslokalen ist ganz nah.
Das Servitenviertel hat sich durch den dörflichen Charakter und die Vielfalt einen Ruf geschaffen
Die Servitengasse im 9. Bezirk hat sich auch als Gastromeile etabliert – wenn auch mit anderer Klientel. Hier ist gehobenes Publikum unterwegs, älter und gut situiert. Die kleine Wohnstraße bietet ein Dutzend Lokale auf gerade mal 200 Meter. „Das ist toll, wir profitieren alle davon“, erklärt uns Gerald König vom gleichnamigen Delikatessengeschäft. Ein Lokal alleine würde hier untergehen, „aber das Servitenviertel hat sich durch den dörflichen Charakter und die Vielfalt einen Ruf geschaffen“.
Kürzlich zog die Bäckerei Joseph ein, der Servitenwirt sei ohnehin eine Institution. Nebenan La Pasteria und die Suppenwirtschaft, das Scala und die Porzellan Lounge, die traditionelle Konditorei Bürger oder die Freunderlwirtschaft. Es ist fast so wie in Paris oder in einer der vielen Straßen im New Yorker Little Italy oder Meat Packing District. Und tatsächlich ist es diese ganz spezielle Form der Genussgastronomie, die gerade einen Boom erlebt.
Handel schwächelt
Seit 2008 reduzieren sich die Handelsflächen um ein bis zwei Prozent pro Jahr. Eine unaufhaltsame Entwicklung. Der Onlinehandel ist hier der Treiber
Gastro boomt
Die Ausgaben für Gastronomie haben sich in zehn Jahren nahezu verdoppelt. Aktuell gibt jeder Österreicher 1.700 Euro pro Jahr fürs Essengehen aus
12 Milliarden Euro
Umsatz hatte die Gastronomie in Österreich zuletzt. Doch nur ein Teil der Branche boomt, nämlich die sogenannte Freizeit- und Genussgastronomie
Essen braucht mehr
„Wir sprechen hier von einer hippen Erlebnisgastronomie, von Kommunikationszonen und Treffpunkten für Freunde, wo man eine gute Zeit hat“, erklärt Regioplan-Experte Wolfgang Richter. Das gab es in gewisser Weise immer schon, etwa im Bermudadreieck oder am Spittelberg. Diese Lokale, die mehr bieten als die reine Versorgungsgastronomie („wo man hingeht, weil man Hunger hat“), würde sich gerne „clustern“, um so eine ganze Ausgehmeile zu bilden. „Wir sehen seit Jahren, dass diese Freizeit- und Genussgastronomie deutlich wächst“, sagt Richter.
Dass diese Form der Gastronomie einen solchen Aufstieg erlebt, hat auch mit der Verschiebung der Ausgaben zu tun. Seit mehr als zehn Jahren steigen die Konsumausgaben der privaten Haushalte für die Gastronomie deutlich stärker als die Kaufkraft insgesamt. Mit der Corona-Pandemie wurde dieser Trend zwar schlagartig durchbrochen, seit 2022 ist die Gastronomie aber insgesamt auf einen Wachstumspfad zurückgekehrt – sie zeigt sich stärker als je zuvor.
Doch es gehe eben nicht der gesamten Branche gut: während die Nachtgastronomie und 08/15-Gasthäuser oft große Probleme haben (Stichwort: „Wirtshaussterben“), boomt die Genuss- und Freizeitgastronomie, vor allem in urbanen Bereichen. Ein Strukturwandel ist zu erkennen: gesund, regional, bio, nachhaltig, trendy und außergewöhnlich muss es sein, mit einem stimmigen Rundherum. Und das darf dann auch etwas kosten.
Ausgaben verdoppelt
Die Zahlen von Regioplan zeigen die Erhöhung der Ausgaben der Österreicher für Essen und Trinken. Aktuell gibt der Österreicher im Schnitt jährlich 1.700 Euro dafür aus. Damit haben sich die Ausgaben für Gastronomie in zehn Jahren nahezu verdoppelt. Zum Vergleich: Die Ausgaben im Einzelhandel sind in den vergangenen zehn Jahren nur um etwa 30 Prozent gestiegen. Zählt man die wieder erstarkten Ausgaben der Touristen dazu, ergibt sich aktuell ein Umsatz von knapp zwölf Milliarden Euro.
Dies unterstreicht die wachsende Bedeutung des Gastronomiesektors, da die Lokale – insbesondere für die jüngere Zielgruppe – zu wichtigen sozialen Treffpunkten avancieren, die weit über die reine Nahrungsaufnahme hinausgehen. Sie fördern soziale Interaktion, kulturellen Austausch, die Gemeinschaft.
Im groben Wandel
Dem Strukturwandel unterliegt aber nicht nur der Gastronomiesektor, sondern die Einkaufsstraßen und sogenannten Erdgeschoßzonen insgesamt. „Die vereinzelten Jubelmeldungen aus dem Einzelhandel sind falsch“, sagt Wolfgang Richter von Regioplan. „Verkaufsflächen lohnen sich im Handel leider oft nicht mehr“, muss er bilanzieren. Der große Gamechanger ist dabei der Onlinehandel – viele bestellen ihre Kleidung, Schuhe, sämtliche Waren, ja sogar ihr Mittagessen online“. Was zu einer Reduktion der Handelsflächen von ein bis zwei Prozent pro Jahr führe – eine Entwicklung, die es seit 2008 gibt und die sich auch nicht stoppen ließe.
Einen generellen Wandel von Einkaufsstraßen zu Gastromeilen sieht Richter indes nicht. „Die Gastronomie wird die freien Handelsflächen nicht im großen Stil übernehmen können. In klassischen Einkaufszonen gibt es einen Bedarf an Gastronomie von rund acht Prozent der Fläche. Alles darüber hinaus würde ein nicht mehr funktionierendes Übergewicht sein“.
Eine gute Straße lebt von der Vielfalt, von einer Balance aus Geschäften und Gastronomie
Dass es Einkaufsstraßen schwer haben, erkennt auch Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak. Wobei sie ein Paradoxon sieht. „Viele würden ein Idealbild einer Einkaufstraße vor sich haben – eine Straße mit Dorfcharakter, mit Kulinarik, Shopping, Nahversorgung. Aber Hingehen ist dann wieder etwas anderes – weil die Verlockungen des Internets oft gewinnen.“
Für die Zukunft müssten sich Einkaufsstraßen gute Strategien überlegen. „Wenn sich der Handel zurückzieht, braucht es einen Plan, damit eine Einkaufsstraße nicht ausstirbt“, sagt Ehmayer-Rosinak. Diese Balance sei wiederum nur schwer zu erreichen, weil man sie nur bedingt steuern kann – weil etwa die Vermietungen in den Erdgeschoßzonen Sache der Hauseigentümer sind. „Eine gute wienerische Straße lebt von der Vielfalt, von einer Balance aus Geschäften und Gastronomie, egal aus welchem Land. Wenn das nur eine Sorte ist, ist das zu einfältig“, so die Expertin.
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