Wie ich eine Schicht im "Schwarzen Kameel" überlebt habe
Die Gastronomie ist hart und findet schwer Personal. Wie ist es, hier zu arbeiten? Eine Selbsterfahrung in einem der wichtigsten Lokale der Hauptstadt.
Die Gäste sitzen dicht aneinander. Der Schanigarten im „Schwarzen Kameel“ im ersten Bezirk in Wien ist voll. Vorbeikommen scheint unmöglich. Auf Zehenspitzen zwänge ich mich seitwärts durch. Die Gläser auf dem Tablett rutschen. „Bringen’s uns noch zwei Spritzer“, wird gerufen. Ich nicke und weiche zeitgleich dem Kollegen aus, der im Eiltempo mundgerecht portionierte Schnitzel serviert.
Der Weg durchs Lokal – ein Spießrutenlauf. Der Regen hat viele Gäste hinein getrieben. Der Fliesenboden ist nass. Nicht ausrutschen, denke ich, als ich mit einem Fuß die Schwingtüre zur Küche aufstoße und das Tablett sicher abstelle. Ich bin erschöpft. Dabei hat der Dienst gerade erst begonnen.
Die unliebsame Branche
Vergangenen Winter belegte eine Studie der Arbeiterkammer Oberösterreich: „Arbeitskräftemangel in der Gastronomie und Tourismusbranche ist selbst verschuldet.“ Die Gründe? Prekäre Arbeitsverhältnisse und eine „nichtexistenzsichernde Entlohnung“, sagt AK-Präsident Andreas Stangl.
Mit über 160.000 Stellen ist die Gastronomie, laut Wirtschaftskammer, eine der größten Beschäftigungsmöglichkeiten in Österreich und erwirtschaftet rund 11,2 Milliarden Euro Umsatz
7.490offene Stellen waren im April 2023 beim AMS in der Gastronomie gemeldet. Das sind 21,3 Prozent weniger als im Vorjahr
Parallel stieg der Wert der als arbeitslos Gemeldeten in der Gastronomie. 21.507 Personen sind es im April 2023 – um 5,9 Prozent mehr als 2022
Zahlen der Statistik Austria erhärten den Vorwurf: 8.877 Euro ist hierzulande das mittlere Bruttojahreseinkommen von Kellnern – das niedrigste Einkommen von allen gelisteten Berufsgattungen.
Allerdings sei der Wert aufgrund von Saisonarbeit und geringfügigen Anstellungen alles andere als aussagekräftig, sagt der Spartenobmann des Gastronomie-Fachverbands Mario Pulker zum KURIER. Denn in der Praxis würde ein guter Vollzeit-Kellner mit mindestens 1.800 Euro netto aussteigen – Trinkgeld exklusive. Aber natürlich käme es auch immer auf den Betrieb an.
Jobwechsel: Redaktion gegen Service-Station
Warum trotzdem so wenige in der Gastronomie arbeiten wollen? „Ich kann mir das nicht ganz erklären“, rätselt Pablo Meier-Schomburg. Vor 40 Jahren hat er in der Gastronomie seine berufliche Heimstätte gefunden. Seit 15 Jahren ist er an der Traditionsadresse „Zum Schwarzen Kameel“, im ersten Bezirk in Wien, einer der ikonischen Oberkellner.
An seiner Seite verrichte ich am Freitagabend meinen Spätdienst und rufe mir in Erinnerung, wie herausfordernd der Alltag einer Servicekraft ist. Früher habe ich selbst gekellnert. Allerdings ist das Jahre her und der Ruf der Branche seitdem ein anderer.
Dienstantritt 15.30 Uhr
Pablo und ich übernehmen die Mittelstation im Schanigarten. Hier sitzt die Stammklientel, die Pablo mit Küsschen begrüßt. „Bei uns gibt es keine Kellner“, erklärt er. „Die Gäste kommen nicht zum Herrn Ober und bestellen ihre Spritzer. Sie kommen zum Herrn Martin, zum Herrn Holger oder eben zum Herrn Pablo.“
Insgesamt sind acht Kellner für diese Schicht eingeteilt. Vier draußen, vier drinnen. Nehmen Gäste Platz, muss es zügig gehen. Das erste Getränk besänftigt die Ungeduld, die erste Zigarette eröffnet den Feierabend. Arbeiten während andere Entspannen – eine Begleiterscheinung, die man in der Gastronomie in Kauf nehmen muss, weiß Kameel-Inhaber Peter Friese: „Es gibt immer die Problematik des Abenddienstes.“ Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei schwierig „aber es gibt auch jene, die es genießen, unter der Woche frei zu haben.“
Ein Knochenjob
Um 17.30 Uhr machen sich die ersten Schmerzen bemerkbar. Mein Rücken tut weh, das Handgelenk sticht. Und dann marschiert Herr Gensbichler vorbei. Ein Maître, der mit 71 Jahren noch immer seinen Dienst verrichtet. „Er ist kein Einzelfall“, sagt Pablo. „Es gibt mehrere im Schwarzen Kameel, die als Lehrling begonnen haben und hier auch in Pension gegangen sind.“
Wie das geht? Man hält als Team zusammen. „Jeder kennt die Stärken und Schwächen des anderen“, erklärt Pablo. „Das macht das Arbeiten sehr schön.“ Dennoch spielt der Verdienst eine große Rolle, sagt Kameel-Chef Friese. „Es gibt bei uns eine Überzahlung von Kollektivgehältern je nach Dienstalter und Zusatzaufgaben.“
JOB Testet: Die Gastro
Viel wichtiger als Geld sei aber die körperliche und psychische Gesundheit, um Mitarbeiter zu halten: „Man muss schauen, dass man sie nicht auspresst“, sagt Friese. Kellner würden dazu neigen, Stationen allein bedienen zu wollen, um sich mehr Trinkgeld zu sichern. Langfristig sei das aber nicht ratsam, so Friese: „Sie müssen Luft, aber trotzdem kontinuierlich zu tun haben.“ Nur dann sei gutes Service und in Folge auch gutes Trinkgeld möglich. Wie viel Trinkgeld man so macht? Darüber spricht man nur ungern, aber es sei „überdurchschnittlich hoch“, verrät ein Kellner, der deshalb vor zwei Jahren ins Kameel gewechselt hat.
16.000 Schritte
Als der Regen immer stärker wird, rücken auch die Gäste im Schanigarten enger zusammen. Eine Kollegin weist freundlich darauf hin, den Weg für die Kellner freizuhalten. Aber man hört sie nicht – oder will sie nicht hören. „Das ist noch gar nichts“, ruft uns ein Kollege von der Nebenstation zu. „Ich bin den ganzen Tag auf Zehenspitzen unterwegs. Eine Arschbacke ist immer angespannt.“
Küchenchefin Sevgi Hartl präsentiert den Kameel-Topseller: Das Wiener Schnitzel
Bei Dienstende um 22 Uhr zeigt mein Schrittzähler 10.980 Schritte an. Die Kollegin ist noch mehr gelaufen. Sie ist bei 16.000 Schritten. Eigentlich studiert sie Publizistik und könnte in der Medienbranche arbeiten. Aber noch ist sie nicht bereit. Die Gastronomie macht ihr Spaß, auch wenn sie fordernd ist – man zwischenzeitlich kaum Zeit hat, auf die Toilette zu gehen oder gar zu essen.
Auch mir fiel es vor zehn Jahren schwer, diesem Beruf den Rücken zu kehren. Das gemeinschaftliche Gefühl in einem Gastro-Betrieb erlebt man selten woanders. Aber körperlich und auch psychisch weiß ich, dass ich es wohl nicht geschafft hätte, im Service in die Pension zu gehen. Umso beeindruckender, dass es Menschen gibt, denen das gelingt – oder die sogar noch weiter dabei bleiben. So wie Herr Gensbichler.
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