„Das hätte ich mir vor zwanzig Jahren gewünscht“, sagt Danijela Srboljevic. Sie arbeitet als Heimhilfe beim Wiener Hilfswerk und ist eine von vielen Besuchern, die sich im Tageszentrum für Senioren im zweiten Wiener Bezirk ein neues Angebot des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) genauer ansehen wollen. Auf einem Tisch stehen schon mehrere Tablets bereit. Warum? Der ÖIF hat gemeinsam mit dem Hilfswerk ein Online-Sprachportal speziell für Pflegekräfte geschaffen, das beim Deutsch-Lernen unterstützen soll. Videos, spielerische Aufgaben und Vokabeltrainer inklusive.
„Rund 70.000 Pflegekräfte in Österreich haben ihre Wurzeln im Ausland und somit Deutsch als Zweitsprache“, heißt es während der Präsentation. Sprache sei vor allem in dieser Branche oberste Priorität, betont Srboljevic im KURIER-Gespräch: „Die halbe Arbeit ist Kommunikation mit Kunden und Angehörigen. Es ist notwendig, dass man sie versteht und nicht erst 15 Minuten lang die einfachsten Dinge erklären muss“, sagt sie. Ganz zu schweigen von den persönlichen Beziehungen, die man nur durch Gespräche aufbauen kann. Dinge, die die Arbeit umso schöner machen, findet Srboljevic.
Um genau das zu fördern, wurde jetzt ein kostenloses Lernportal entwickelt. Pflegekräfte mit Deutschförderbedarf können via Smartphone oder Tablet ihre Sprachkenntnisse auffrischen. Besonders im Pflegebereich ist das flexible Lernen das Um und Auf, erklärt Birgit Kofler, Leiterin der ÖIF-Abteilung für Spracherwerb. „Nicht immer passen herkömmliche Kurszeiten in den Tagesplan und die besprochenen Inhalte decken nicht zwingend den persönlichen Bedarf ab.“ Auf der Plattform können sogar tatsächliche Gesprächssituationen, wie sie im Berufsalltag vorkommen, geübt werden. Etwa über Videoanrufe. Danijela Srboljevic begrüßt das, weil man so auch in Kontakt mit dem österreichischen Dialekt käme. Eine Hürde, die sie aus ihrem eigenen Berufsleben nur zu gut kennt.
Nora Wöhrer ist Qualitätsmanagerin bei der Senecura-Pflegegruppe. Unter dem Pseudonym „Mia Mittwoch“ ist sie das Gesicht der neuen Lernplattform. Sie weiß, warum es eine gute Sprachkenntnis in diesem Berufsfeld braucht: Nämlich um selbstbewusst auftreten zu können. Dafür müsse man sich auch entsprechend artikulieren. „Wir sehen das in unserer täglichen Arbeit. Wenn Sprache mit Unsicherheit verbunden ist, entstehen automatisch Konflikte“, sagt sie.
Informationen könnten dadurch verloren gehen oder missverstanden werden. Insbesondere beim Dokumentieren sei das eine große Problematik, sagt die Qualitätsmanagerin. Die Sorge, dass Gesagtes nicht richtig ankommt oder verstanden wird, sorge dafür, dass viele sich gar nicht erst trauen, Infos aufzuschreiben und weiterzusagen, erklärt sie.
Dass es gute Sprachkenntnisse nicht nur in Sozialberufen braucht, liegt auf der Hand. „Es ist grundsätzlich ein wichtiges Thema“, weiß Martin Erhard-Kainz, Abteilungsleiter beim AMS Wien. Er unterscheidet dabei aber zwischen Branchen und Tätigkeiten. So beobachtet er, dass man in „High-Level“-Jobs – etwa der IT-Branche – auch mit Englisch sehr gut durchkommt. Ähnlich sieht er es im Dienstleistungssektor und nennt hier die Baubranche, Reinigung und Hilfstätigkeiten im Gastgewerbe.
Interessant werde Sprache aber bei den „dazwischenliegenden Branchen“: „Pflege, Elementar-Pädagogik oder überall dort, wo man aktuell händeringend nach Arbeitskräften sucht. In diesen Bereichen tut man sich natürlich wesentlich leichter, wenn man Deutsch versteht“, so Erhard-Kainz.
In Wien haben rund 70 Prozent der Arbeitssuchenden einen Migrationshintergrund. Österreichweit sind es etwa 50 Prozent. Ein Drittel versteht Deutsch auf einem Sprachlevel der Stufe A (also das absolute Minimum). „Sieben bis acht Prozent haben gar keine Deutschkenntnisse und müssten meist auch erst alphabetisiert werden“, erklärt Erhard-Kainz weiter. Auf dem Arbeitsmarkt brauche man jedoch zumindest ein B1-Level: „Mit Sprachkursen versuchen wir, alle auf ein Niveau von A2 bis B1 zu heben. Damit sie bessere Chancen im Beruf haben.“
Für all jene, die keinen Zugang zu Lernportalen haben und auch nicht zu Sprachkursen, hat aber Danijela Srboljevic einen Tipp, der sich für sie persönlich bewährt hat: Kinderbücher. „Gewisse Sätze habe ich einfach auswendig gelernt und konnte nach einer Weile problemlos Gespräche führen“, lacht sie.
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