Der Preis der Freizeit: Wie sich Teilzeitarbeit finanziell und organisatorisch ausgeht
Viele wollen weniger arbeiten, das hat seinen Preis. Teilzeitarbeit muss man sich leisten können - die Menschen finanziell, die Firmen organisatorisch. Ein Dossier zur neuen Freizeit-Orientierung der Gesellschaft.
Der Wunsch, weniger zu arbeiten, ist groß – in die Realität aber oft schwer umzusetzen. Das Mehr an Freizeit ist zumeist nur mit einem Startvorteil oder durch Verzicht möglich. Und was sagen eigentlich die Unternehmen dazu?
Der Teilzeit-Boom: Ein Dossier zur neuen Freizeit-Orientierung in der Gesellschaft:
* Mit Menschen, die erzählen, wie sich der Teilzeitjob finanziell für sie ausgeht.
* Mit Unternehmen, die erklären, wie sie sich neu orientieren.
* Mit Grafiken zur Teilzeitarbeit in Österreich.
* Mit einem Interview mit zwei Personalberaterinnen, deren Modell es ist, zwei Teilzeit-Mitarbeiter für eine Vollzeitstelle zu vermitteln.
* Mit einem Kommentar: Unser Steuersystem bevorzugt die, die weniger arbeiten
Was es braucht, um weniger arbeiten zu können
Roman Hedl ist eine Rarität. Der 46-jährige Software-Entwickler leitet ein Team von 30 Personen bei Bosch – in Teilzeit. Damit ist Hedl in Österreich einer von nur 5800 Männern, die einer Führungstätigkeit in Teilzeit nachgehen (Quelle: Statistik Austria). Seit Jänner arbeitet Hedl 30 Stunden. Der Grund: bessere Vereinbarkeit mit der Familie. „Meine Frau arbeitet in der Bankbranche und hat im Zuge eines Arbeitswechsels nach einem Teilzeitjob gesucht, um am Nachmittag für unsere Tochter da zu sein. Sie hat aber keinen passenden Teilzeitjob gefunden.
Dann kam die Idee, dass ich in Teilzeit gehe“, sagt Hedl. Im Unternehmen war das nach einem internen Gespräch, wie es funktionieren kann, kein Problem. „Anfangs war es eine Umgewöhnung für mein Team, da ich nur noch bis 14 bzw. 15 Uhr arbeite. Aber ich habe angeboten, dass mich meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch am Nachmittag anrufen können und nach einem Monat hat sich alles eingependelt.“ Er selbst hat diesen Schritt nie bereut: „Ich bin jetzt produktiver im Büro und ausgeglichener im Alltag.“
„Teilzeit in einer leitenden Funktion war anfangs eine Umgewöhnung für mein Team, jetzt funktioniert es sehr gut.“
von Roman Hedl, Gruppenleiter in einer der Software-Entwicklungsabteilungen bei Bosch
Der Wunsch, weniger zu arbeiten ist groß
Wie auch der Österreichische Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer Oberösterreich von Juni 2022 zeigt: Die Arbeitszufriedenheit ist auf einem Tiefpunkt und mehr als die Hälfte der Vollzeitarbeitskräfte sagt, dass sie lieber weniger als die derzeit vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden leisten würden. Eine, die sich diesen Wunsch erfüllt hat, ist Franziska Pfaffelmaier.
Die 42-Jährige hat ihr Leben lang immer in Vollzeit gearbeitet. „Ich war aber nicht glücklich. Ich war den ganzen Tag im Büro, machte Überstunden und hatte wenig vom Leben.“ Sie entschied, auf 32 Stunden die Woche zu reduzieren. „Ich habe jetzt Zeit für meine Leidenschaft, dem Designen von Taschen, und einfach mehr vom Tag.“ Wie sie sich das leisten kann? Pfaffelmaier lebt alleine, hat keine Kinder und eine günstige Wohnung in Niederösterreich.
Die Gründe, warum viele Österreicher weniger arbeiten wollen:
Es geht um Betreuungspflichten (in erster Linie Kinder, in zweiter Linie ältere Angehörige), Vereinbarkeit mit Weiterbildung, Hobbys oder beruflichen Projekten, die parallel oft in eine Selbstständigkeit führen. Es geht um die viel zitierte Work-Life-Balance und darum, das Leben nach eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu gestalten. Es geht auch um den Wunsch nach einem Leben im eigenen Tempo.
„Sich abzuarbeiten zahlt sich nicht mehr aus und ich will am Ende meines Lebens nicht zurückblicken und mir denken: Ich hab’ so viel gearbeitet.“
von Elena, Studentin
Mag der Wunsch noch so groß sein, die Realität sieht anders aus
Angefangen bei den Jugendlichen, weiß die wissenschaftliche Leiterin am Institut für Jugendkulturforschung Beate Großegger: „Die Pandemie und die aktuellen Krisen haben Unsicherheiten bei den jungen Leuten geschaffen. Derzeit wollen sie vor allem voll und ganz ins Berufsleben finden und dort ankommen. Das ist vorrangig. Je bildungsferner sie sind, desto größer die Unsicherheit, ob sie das überhaupt schaffen. Der Wunsch, weniger zu arbeiten ist da eher zweitrangig.“ Generell lässt sich sagen: „Die 16- bis 29-Jährigen wollen einen sicheren Arbeitsplatz, eine gute Bezahlung, ein angenehmes Betriebsklima und ausreichend Freizeit neben dem Beruf. Sie wollen keine 60-80 Stunden arbeiten. Sie wollen einfach ein geregeltes Leben haben“, so Großegger.
So haben Studien der Jugendkulturforschung auch gezeigt: „Bei der Frage Zeit oder Geld für besonderen Arbeitseinsatz und gute Leistung sehen wir, dass der Trend dahingeht, dass sich Jugendliche eher für mehr Urlaubstage entscheiden als finanzielle Prämien.“ Elena ist 26 Jahre alt, schreibt derzeit ihre Masterarbeit und auf sie trifft diese Beschreibung gut zu. „Sich abzuarbeiten zahlt sich nicht mehr aus und ich will am Ende meines Lebens nicht zurückblicken und mir denken: Ich hab’ so viel gearbeitet.“ Freizeit ist ihr wichtig, Freunde treffen, Kultur genießen. „Dazu brauche ich aber keine Unsummen und Eigentum wie ein Haus oder eine Wohnung sind nur Belastungen.“ Aber auch ein solider Job ist ihr wichtig und finanzielle Sicherheit. Wie sich das ausgeht? „Ich bin sehr sparsam und für meine Altersvorsorge investiere ich in ETFs. Außerdem habe ich ein gutes Grundvertrauen, dass ich das schaffen werde.“
„Ich habe auf 32 Stunden reduziert und so mehr an Lebensqualität gewonnen. Mit meiner günstigen Wohnung kann ich mir das leisten.“
von Franziska Pfaffelmaier, Angestellte in einem Produktionsunternehmen
Und wie schaffen es die anderen?
Bei den Recherchen hat sich gezeigt, dass die Umsetzung des Wunsches nach weniger Arbeit aktuell nur dann möglich ist, wenn man in einem Lebensbereich einen Vorteil hat. Sei es, dass die Wohnung günstig ist, der Partner sehr gut verdient oder man selbst so ein hohes Gehalt hat, dass sich Teilzeit ausgeht. Andere versuchen sich durch passives Einkommen (an der Börse oder durch ein Onlinebusiness) mehr Lebenszeit zu verschaffen.
Wiederum andere versuchen, durch den Wechsel in eine Selbstständigkeit mehr Freiheit zu gewinnen. Verzicht ist auch eine Möglichkeit. Man verzichtet auf den Extraurlaub, ein Auto oder schränkt sich generell mehr ein. Und selbst, wenn all das gelingen sollte, hat die Entscheidung, weniger zu arbeiten einen Preis. Eine Karriere nach dem Bilderbuch ist meistens nicht drinnen. Und bereits eine zweijährige Teilzeiterwerbstätigkeit senkt laut einer Studie des WIFO die Durchschnittspension um 1,7 bis 2,1 Prozent.
Wobei auch feststeht: „Die Entscheidung zu fällen, weniger arbeiten zu wollen, ist erst ab einem gewissen Einkommen möglich“, sagt Ulrike Huemer, Ökonomin am WIFO. Die Frage nach mehr Geld oder mehr Freizeit stellt sich für viele gar nicht, weil sie sich diese Frage schlicht nicht leisten können.
„Teilzeit muss sich ausgehen. Es liegt so viel Kompetenz am Arbeitsmarkt brach, weil Unternehmen zu wenig bereit sind, Mitarbeiter in Teilzeit zu integrieren.“
von Gabriele Mair, HR-Chefin bei neoom
Wie stehen Unternehmen zu Teilzeit?
Es gibt Firmen, die dem Wunsch nach Teilzeit sehr offen gegenüberstehen. Einerseits weil sie auf Teilzeitkräfte angewiesen sind, um Spitzenzeiten in einem Betrieb gut abdecken zu können, andererseits weil sie schon seit Jahren die Kultur von Teilzeit pflegen. Man denke hier nur an den Einzelhandel. Oder weil Unternehmen groß genug und damit flexibler sind. Auf Nachfrage bei den ÖBB oder der Rewe Group beispielsweise zeigt sich, dass auch hier sowohl bei den Bewerbern als auch bei bestehenden Mitarbeitern ein verstärkter Wunsch nach weniger Arbeit bemerkbar ist.
Und beide Unternehmen mit flexibler Arbeitszeitgestaltung und Angeboten in der Work-Life-Balance (z. B. betriebsinterner Kindergarten) den Mitarbeitern entgegenkommen. In der Rewe Group ist außerdem ein Pilotprojekt mit einer 4-Tage-Woche geplant und man arbeitet an einem Konzept zu „Führen in Teilzeit“. Es gibt aber auch Unternehmer, die sich dem Wunsch, weniger arbeiten zu wollen, in den Weg stellen. Warum, weiß der Unternehmens- und Personalberater Armin Steger: „Man muss die Unternehmer auch verstehen. Es fehlen überall Arbeitskräfte. Unternehmer haben aktuell das Problem, überhaupt jemanden zu finden. Wollen jetzt viele noch weniger arbeiten, müssen sie noch mehr Leute suchen.“
Eine Vollzeitstelle mit zwei Teilzeitstellen besetzen? Ein neues Unternehmerduo will genau das mit ihrer Plattform „Jobtwins“ bewirken. Link zum Interview mit den "Jobtwins"
Auf der Seite der Unternehmer empfiehlt Steger, nicht gegen den Strom zu schwimmen, sondern offen zu sein für neue Konzepte. „Jobsharing ist eine Möglichkeit. Man muss die Arbeit anders aufteilen. Gute Übergangsprozesse schaffen. Gut kommunizieren.“ Viele würden den Aufwand, sich etwas Neues zu überlegen, aber erst gar nicht machen.
Die HR-Chefin des Unternehmens neoom Gabriele Mair sieht das ähnlich: „Teilzeit muss sich ausgehen. Es liegt so viel Kompetenz am Arbeitsmarkt brach, weil Unternehmen zu wenig bereit sind, Mitarbeiter in Teilzeit zu integrieren.“ Wertschätzung ist an dieser Stelle auch angebracht. Teilzeit-Arbeitende werden in Unternehmen oft benachteiligt und nicht als vollwertige Mitglieder gesehen. „Es sollte immer um die Person und die Qualifikation gehen und nicht um die Arbeitszeit“, sagt Mair.
Das Thema Teilzeit ist sehr individuell und von vielen Faktoren abhängig – sowohl auf der Seite der Arbeitnehmer, als auch auf jener der Arbeitgeber. Am Ende, und da sind sich Experten einig, braucht es Vorbilder, flexible Modelle und passende Rahmenbedingungen, aber auch Verzicht, damit der Wunsch nach weniger Arbeit gelingen kann. Einstweilen ist es ein Bemühen, oftmals sogar ein Kampf, in die richtige Balance zwischen ausreichender Zeit und genügend Geld zu kommen.
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