Corona: Die Gewinner und Verlierer der Krise
Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen Monaten eine Tal- und Bergfahrt bereitet (in dieser Reihenfolge!) – auch an den Aktienmärkten. Fast überall auf der Welt gab es Lockdowns, die Wirtschaft hat sich über weite Strecken verlangsamt und stand/steht in einigen Branchen komplett still. Ein Umstand, der sich auch auf die Seismografen der Wirtschaft, die Börsen, unmittelbar ausgewirkt hat.
"Wir haben an den Börsen einen massiven Einbruch gehabt, und dann eine sehr, sehr schnelle Erholung“, resümiert Michael Herzum, Leiter der Abteilung Macro & Strategy bei der deutschen Investmentgesellschaft Union Investment. Warum diese Fahrt an den Börsen eine so rasante war? Für die rasche Erholung ortet der Experte drei Gründe.
Nicht wie die Krise 2008
Zum einen habe es "eine unglaubliche Reaktion aus Geld- und Fiskalpolitik“ gegeben. Hier gebe es auch einen großen Unterschied zur Finanzmarktkrise von 2008 – die Reaktion auf diese war nämlich nur auf geldpolitischer Seite verortet. „Von der Fiskalpolitik hat es praktisch keinen Impuls gegeben.“ Zweiter Grund für das starke Ab und auch wieder Auf war der Lockdown bzw. dessen Ende. Denn sobald es für die heruntergefahrene Wirtschaft wieder Lockerungen gab, funktionierte das Hochfahren der Wirtschaft "besser als erwartet“, meint Herzum. Grund Nummer drei: "Wir hatten im März unglaubliche Verluste, die auf einem systematischen Verkauf beruhten.“
Fragt man jetzt nach den Gewinnern und Verlierern der Corona-Pandemie, gerade im Hinblick auf die eigene Veranlagungsstrategie, sieht Herzum nicht nur klassisch Gewinner- und Verliererbranchen, sondern er geht in seiner Differenzierung weiter. "Allein die gesamte Anlageklasse Aktien ist ein Corona-Gewinner. Die Krise hat das Niedrigzinsumfeld noch fester zementiert. Es lohnt sich noch weniger, in Rentenpapiere zu investieren.“
Staaten: Gewinner oder Verlierer
Und auch nach Staaten lassen sich Gewinner und Verlierer verorten. "Der Trend zur Deglobalisierung wird beschleunigt“, ist Herzum sicher. "Es wird mehr Produktion näher an den Absatzmarkt herangezogen werden.“ Profitieren könnten hier laut Herzum etwa Mexiko oder die osteuropäischen Länder. Verlierer seien hingegen die Länder, die nur einen Vorteil aus geringen Lohnkosten gezogen haben – etwa Bangladesch oder Sri Lanka sowie Staaten aus Lateinamerika.
Klassische Verlierer
Klassische Verlierer sind wenig überraschend alle Unternehmen, die mit den Themen Urlaub und Reisen in Verbindung stehen: "Fluglinien, Hotels, Reiseanbieter, Kreuzfahrtunternehmen, auch Casinos“, zählt Ingrid Szeiler, Chief Investment Officer bei Raiffeisen Capital Management, auf.
Eine Erholung der Wirtschaft – und im Speziellen dieser Branchen – werde jedenfalls angesichts des Wartens auf einen Impfstoff gegen Covid-19 noch dauern – wenn alte Niveaus überhaupt wieder erreicht werden können. Zum einen sei das fraglich, weil sich das Bewusstsein der Menschen schärft, zum anderen auch, weil Pandemien "in ihrer Frequenz wohl zunehmen werden“, vermutet Szeiler. Ähnlich düster sind übrigens die Aussichten für Öl- bzw. Gasunternehmen und die Schifffahrt.
Verlierer-Branche
Michael Herzum von Union Investment sieht noch eine weitere Branche auf der Verliererseite: Gebäude im gewerblichen Bereich. Shoppingmalls werden dank Onlinehandels unattraktiver, Hotels wegen rückläufiger Reisetätigkeit, und Bürogebäude wegen des Trends zu Homeoffice. Zu den Gewinnern zählt klar die Gesundheitsbranche. „Die Menschen wollen auch einen besseren Zugang zu Medizin – also die, die es sich leisten können. Über einen Umweg könnten hier auch Versicherungen profitieren“, vermutet Szeiler.
Was das Thema Impfstoffangeht, sieht Szeiler aber nicht nur Vorteile. Natürlich seien die Kurse von etwa dem Pharmariesen Moderna stark gestiegen. "Ob ihre Kurse aber noch weiter steigen, weiß ich nicht. Die Frage ist hier auch, wie hoch der Preis für den Impfstoff sein darf. Momentan gibt es ja einen großen Druck der Nationalstaaten, den Preis niedrig zu halten. Da ist die Frage, ob Pharmafirmen die hohen Forschungskosten überhaupt hereinbekommen“, analysiert Szeiler. Andererseits könne es genauso gut sein, dass Kunden höhere Preise akzeptieren müssen, sagt Union Investment-Fachmann Herzum.
Die absoluten Gewinner
Die absoluten Gewinner der Pandemie sind Unternehmen, die Videoconferencing und Arbeiten von zu Hause als Geschäftsmodell haben. "Das sind Unternehmen wie Zoom, aber können auch Halbleiterproduzenten sein, oder Microsoft.“ Der Trend gehe, so Szeilers Vermutung, aber nicht nur zu einem verstärkten Arbeiten von zu Hause aus, sondern generell zu einem stärkeren Zu-Hause-Sein. Somit werden wohl auch, so Szeilers Einschätzung, Unternehmen wie Netflix oder Amazon und Essenszusteller wie Delivery Hero zulegen.
Stichwort Timing: Wann wäre denn der beste Zeitpunkt, um als Neuling in die Aktienwelt einzusteigen? Das kommt, wie so oft im Leben, drauf an, sagt Szeiler. "Wenn es jemand kann, sollte man überhaupt am besten in Tranchen investieren.“ Grundsätzlich gilt aber: Wer von gestiegenen Aktienkursen spricht, der muss ganz klar differenzieren, von welchen Aktien die Rede ist. "Amerika ist natürlich stark technologieorientiert, da haben sich die Kurse rasch wieder erholt. Die fünf bis sechs größten Titel wie Facebook, Amazon usw. haben stark profitiert und ziehen die Nasdaq ins Plus, aber auch den S&P 500. Im Vergleich hat aber beispielsweise der sehr große, breite Index Russell 2000 eine deutlich schlechtere Entwicklung hinter sich als der S&P 500.“ Die Technologietitel sind also bereits sehr hochgelaufen.
"In anderen Bereichen hat man aber noch gute Chancen. Gerade in der Krise verkauft man oft ohne zu differenzieren.“ Gefragt nach Beispielen merkt Szeiler an: "Gerade in Europa fallen Unternehmen auf, die aufgrund ihrer bilanziellen Ausstattung, ihrer Gewinnentwicklung oder auch ihres Geschäftsmodells aus unserer Sicht zu Unrecht hinter vergleichbaren Unternehmen aus derselben Branche zurückgeblieben sind.“ Das hänge in vielen Fällen mit dem Finanzplatz zusammen, also "der schwachen Performance von Europa, insbesondere Frankreich, Spanien, UK. Da verkaufen passive Investoren ganze Märkte.“ Als Beispiel nennt sie etwa den Titel von Cap Gemini in Frankreich – er hat seit Jahresbeginn ein Plus von fünf Prozent gemacht, während vergleichbare US-Unternehmen wie Oracle um 15 bis sogar 40 Prozent zugelegt haben.
Wie geht's in Wien
Bei all der internationalen Betrachtung – wie geht es eigentlich der Wiener Börse? Die hinke aufgrund der Branchenzusammensetzung ihren internationalen Kollegen hinten nach, resümiert Szeiler. "Der Schwerpunkt in Wien sind die Banken, es sind gar keine Technologie- oder modernen Unternehmen dabei. Und an Banken glaube ich noch länger nicht“ – dank anstehender Pleitewellen und des niedrigen Zinsniveaus.
Generell sind in Europa Indizes beheimatet, die "old economy-lastig“ sind, konstatiert Ingrid Szeiler. "Da können wir uns vorstellen, dass es einen gewissen Nachholeffekt gibt und verstärkt Technologieunternehmen mit ins Portfolio genommen werden.“ Nachsatz: "Fairerweise müssen wir aber sagen: Das glauben wir schon seit vielen Jahren, aber Amerika ist da immer viel flexibler.“
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