Ein Lehrer, sechs Millionen Schüler

Ein Lehrer, sechs Millionen Schüler
Geht es nach Salman Khan, wird kostenloser Online-Unterricht das Schulsystem revolutionieren.

Salman Khan ist kein Zauberer, dennoch will er Magie herstellen – an einem Ort, an dem es scheinbar keine mehr gibt. Die zwölfjährige Nadia ist Teil davon. Das Mädchen aus New Orleans gehörte zu den Einser-Schülern in ihrer Klasse. Nur das Umrechnen von Einheiten fiel ihr schwer. Bis sie Hilfe von ihrem Cousin Salman Khan bekam. Khan ist eigentlich Finanzanalyst, lebt in Boston und hat Abschlüsse vom M.I.T und von der Harvard Business School. Weil die beiden in verschiedenen Städten leben, beschlossen sie, den Nachhilfeunterricht per Telefon abzuhalten, später mittels einer virtuellen Tafel in einem Computerprogramm.

Ein Lehrer, sechs Millionen Schüler
Mit dieser Anekdote beginnt Salman Khans Buch. Es ist gleichzeitig die Geschichte seines 2008 gegründeten Lernportals „Khan Academy“. Heute lernen sechs Millionen Schüler im Monat mitKhans kostenlosen Lernvideos, die er zuvor schon auf YouTubestellte. Die zehn- bis siebzehnminütigen Lernvideos zeigen eine schwarze Tafel, auf der ein Mauszeiger Zahlen kritzelt oder durch eine interaktive Reise ins alte Rom führt. 4000 Videos über Mathematik, Naturwissenschaften und Geschichte stehen zur Verfügung. Der 36-Jährige will das Schulsystem mit folgendem Prinzip revolutionieren: Kostenlose, erstklassige Bildung für jedermann an jedem Ort der Welt. Die Khan-Academy sei „die virtuelle Erweiterung einer globalen Dorfschule.“

Revolution?

In den USA ist man jedenfalls euphorisch. Das Time Magazine zählt Khan zu den 100 einflussreichsten Menschen, und Microsoft-Gründer Bill Gates spricht vom „Beginn einer Revolution“. Die Khan-Plattform finanziert sich durch Spenden, vor allem von der Bill & Melinda Gates Foundation.

Ein Lehrer, sechs Millionen Schüler
Die Khan-Academy von Salman Khan
Khans Konzepte klingen zwar nach Revolution, aber sind sie umsetzbar? Wenn es nach ihm geht, kommt die Schule von morgen ohne Frontalunterricht aus. Er ist überzeugt, dass Lerninhalte mittels Technik vermittelt werden müssen. „Das alte Klassenzimmer-Modell passt nicht mehr zu unseren sich wandelnden Erfordernissen. Es ist eine passive Art des Lernens, während die Welt uns eine aktive Informationsverarbeitung abverlangt“, schreibt er.

Einige US-Schulen haben seine Idee bereits umgesetzt. Dort lernen die Schüler online, im individuellen Tempo und können beliebig viele Wiederholungen machen. Was sich früher während der Schulzeit nicht ausging und als Hausaufgabe aufgetragen wurde, wird im Unterricht behandelt. So bleibt Zeit für die individuelle Betreuung durch den Lehrer.

Schulexperte Andreas Salcher hat einen von Khans Auftritten erlebt – er sagt: „Wir sollten nicht unterschätzen, dass jetzt die erste Generation zur Schule geht, die mit dem Computer im Kinderzimmer aufgewachsen ist.“

Die Frage ist: Wo bleiben da die Lehrer? Experten fürchten, dass durch die Technologie die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern verloren ginge. Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann von der Universität Wien meint, dass Khans Konzept Lehrer nicht ersetzen kann. „Das funktioniert beim Erwerb einfacher Fertigkeiten wie bestimmten mathematischen Operationen, aber es funktioniert schlecht, wenn es auf komplexe Sachverhalte und tieferes Verständnis ankommt.“ Die Khan Academy „mache Sinn, wenn Unterricht nicht zugänglich ist, oder als freiwillige Ergänzung“, sagt Hopmann.

Khan ist, trotz Kritik an seiner Technik-Fixiertheit, ein Humanist. Er will Menschen die Chance auf Bildung geben und ihre Talente fördern. „In einem afrikanischen Dorf könnte ein Mädchen leben, das das Potenzial besitzt, ein Krebsmedikament zu entwickeln“, sagt Khan. Zudem versucht er die Rolle des Lehrers neu zu definieren. Wie in einer Sportmannschaft tritt dieser als Trainer auf und versucht dem Schüler zu helfen, das Beste aus sich herauszuholen. Und Khans oberstes Ziel umzusetzen: Schule soll wieder Spaß machen und ein magischer Ort sein.

Interview mit Salman Khan

„Gemeinsam erfolgreich“ – lautet das Prinzip des „Peer-Learning-Programms“ an der BHAK und BHS 10 in Wien. Auf der Online-Plattform vernetzen sich Schüler aller Jahrgänge und helfen einander Dinge zu erklären. Eine Art Nachhilfeunterricht von Schülern für Schülern. „Das Tolle an Peer-Learning ist die entspannte Atmosphäre, in der man sich auch traut, Fragen zu stellen“, sagt Schülerin Yasmin.

Medien von digital bis analog spielen an der Schule eine große Rolle. „Die Schüler lernen eigenverantwortliches Handeln im Umgang mit Medien und geben so ihr Wissen an andere weiter, im Elternhaus, aber auch in Betrieben wo sie Praktika machen“, sagt Lehrer Jörg Hopfgartner. Im Universitätsbereich sind es gesponserte Plattformen wie Coursera, Udacity oder Edx, die kostenlos Online-Vorlesungen anbieten. Ihr Zugang: Wissen soll für alle Menschen zugänglich sein, egal welchen Alters, Herkunft oder Vermögens.

In Österreich macht die TU Graz Wissen auch für Nicht-Studenten konsumierbar. Unter opencontent.tugraz.at stehen Vorlesungen wie Architekturtheorie als Online-Video bereit. Prüfungen kann man keine ablegen.

Martin Ebner, Leiter der Abteilung Vernetztes Lernen ist überzeugt, dass sich die traditionellen Universitäten und Bildungseinrichtungen in eine offenere Form bewegen müssen. „In einer zukünftigen, vernetzten Welt geht es darum, den Austausch weiter zu fördern. Die technischen Möglichkeiten ebnen den Weg.“

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