Im Billigflieger statt im Klassenzimmer

Im Billigflieger statt im Klassenzimmer
Viele Eltern betrachten das eigenmächtige Verlängern der Ferien als Kavaliersdelikt

Zu Beginn des neuen Semesters sind in Wiens Schulen wieder Plätze leer geblieben. Und das nicht nur wegen der Grippewelle: Immer wieder kommt es vor, dass Eltern die Ferien ihrer Kinder eigenmächtig um ein paar Tage verlängern, beispielsweise, um so einen günstigeren Flug zu ergattern.

„Das allein stellt aber noch keine ausreichende Begründung für eine Freistellung dar“, redet Wiens Schulschwänz-Beauftragter, Horst Tschaikner, den Erziehungsberechtigten ins Gewissen. Seit knapp einem Jahr ist der ehemalige Hauptschullehrer im Amt. In dieser Zeit hat er mehr als 60 Schulen besucht, um Lehrer und Eltern aufzuklären, dass es sich beim Schulschwänzen um kein Kavaliersdelikt handelt. 435 Anrufe nahm seine Hotline entgegen, darunter viele aus den Bundesländern – und sogar von Schülern selbst.

Datenmangel

Womit auch Tschaikner zu kämpfen hat: Verlässliche Zahlen über das Ausmaß des Problems gibt es keine. Weder Bund noch Länder führen eine zentrale Schulschwänzer-Statistik.

Laut einer Studie des Unterrichtsministeriums sind die meisten Schulschwänzer zwischen 13 und 14 Jahre alt. Viele davon kommen aus einem bildungsfernen Milieu und haben unter desolaten Familienverhältnissen zu leiden.

Eine parlamentarische Anfrage aus dem Sommer 2012 liefert höchstens eine Momentaufnahme. Demnach liefen damals bundesweit 1500 Strafverfahren wegen Verletzung der Schulpflicht. Die Konsequenzen daraus waren aber gering: Die Geldstrafe von 220 Euro mussten nur rund 30 Eltern zahlen. Künftig wird sich dieser Betrag allerdings verdoppeln.

„Schulschwänzen ist aber kein typisches Problem von Kindern mit Migrationshintergrund“, sagt Tschaikner und räumt mit einem gängigen Vorurteil auf. „Das widerlegen alle nationalen und internationalen Studien.“ So etwa auch die bereits erwähnte Erhebung des Unterrichtsministeriums.

Vielschichtig seien auch die Motive der Schulschwänzer. Neben dem eingangs genannten Beispiel gibt es natürlich auch die nicht-schulpflichtigen Oberstufenschüler, die frühmorgens lieber kollektiv im Kaffeehaus als in der Klasse sitzen. Daneben gibt es aber auch Kinder, die an schweren Schulphobien leiden.

Abwärtsspirale

Bei Letzteren beobachtet Tschaikner häufig eine „Spirale des Misserfolgs“: Wegen schlechter Noten wollen die Kinder nicht mehr in die Schule gehen und können letztendlich dem Unterricht gar nicht mehr folgen.

Letzte Konsequenz ist dann nicht selten der Schulabbruch. „Mich hat etwa eine verzweifelte Mutter angerufen, deren 14-jähriges Kind nicht mehr in die Schule ging. Sie hat es daher jeden Tag dorthin begleitet, was aber auch nichts geholfen hat. Erst mithilfe des Schulpsychologen ist es gelungen, dass es jetzt wieder den Unterricht besucht.“

Umso wichtiger sei es laut Tschaikner, möglichst früh einzugreifen. Nachsatz: „Manchmal hilft auch eine Beratung nichts.“

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Noch in diesem Halbjahr soll der Nationalrat eine Regelung für einen bundesweit einheitlichen Umgang mit Schulschwänzern beschließen. Denn eine solche gibt es bis dato nicht.

In vier Stufen ist darin eine enge Vernetzung zwischen Schülern, Eltern, Lehrern, Schulpsychologen, Sozialarbeitern und der Schulaufsicht vorgesehen.

Beispiel Stufe 1: In Gesprächen mit allen Beteiligten wird zunächst nach den Gründen für das Schwänzen gesucht. Dann werden Schritte für eine Verbesserung vereinbart und nach maximal vier Wochen in einem weiteren Gespräch überprüft, ob diese auch eingehalten wurden.

Als letzter Schritt, also auf Stufe 4, wird die Jugendwohlfahrt eingeschaltet, die gemeinsam mit der Schule Maßnahmen setzt. Wenn auch das nichts nützt, muss die Schulleitung nach maximal vier Wochen eine Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde einbringen. Diese kann dann eine Strafe von bis zu 440 Euro verhängen. Bisher betrug diese nur die Hälfte.

Erstmals wird mit der neuen Regelung auch definiert, was überhaupt eine Schulpflichtverletzung ist: Ein erstes Einschreiten ist vorgesehen, wenn ein Schüler fünf Tage bzw. 30 Stunden pro Semester oder an drei aufeinanderfolgenden Tagen unentschuldigt fehlt.

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