Noch immer kein Plan, wer im Extremfall auf wie viel Gas verzichten muss
Russlands Präsident Wladimir Putin dreht den Spieß in der Energiefrage wieder um. Die EU hat ein Embargo für russische Kohle beschlossen und denkt weiter laut über einen Einfuhrstopp für Öl nach. Am Mittwoch verkündete der russische Präsident, das Land könne auch „die Lieferungen von Energieressourcen in andere Regionen der Welt erhöhen, wo sie wirklich gebraucht werden“. Damit nährt er die Zweifel, ob sich Europa auf die wirtschaftlich wichtigen Gas-Lieferungen verlassen kann.
Politiker in mehreren europäischen Ländern haben längst auf die drohende Gasknappheit reagiert. So hat sich Italien zusätzliche Lieferungen aus Algerien bereits ab 2023 gesichert. Auf EU-Ebene pocht das Land auf einen internationalen Preisdeckel. Noch radikaler klingen manche Pläne aus Deutschland: Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck plant, schlimmstenfalls Energieunternehmen (mitsamt ihren Reserven) zu enteignen, um die Versorgung sicherzustellen.
Planungssicherheit
Ähnliche Pläne sind für Österreich nicht bekannt. Energie-Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) will sich kommende Woche mit den Sozialpartnern zusammensetzen, um über das Thema Versorgungssicherheit zu beraten. „Spät, aber doch“, heißt es aus den Reihen der Sozialpartner, sei der Termin nun endlich zustande gekommen. Genauere Szenarien, was geschehe, wenn Putin den Gashahn zudrehe, gebe es bis heute nicht.
Der dreistufige Notfallplan, dessen erste Stufe ja bereits ausgerufen ist, bleibe äußerst vage. Derzeit werde die Situation genau beobachtet. Sollte die „Alarmstufe“ ausgerufen werden, wird Großverbrauchern nahegelegt, den Verbrauch zu reduzieren. In der höchsten Stufe („Notfallstufe“) greifen schließlich Energielenkungsmaßnahmen. Wer im Extremfall auf wie viel Gas verzichten muss, ist aber nicht bekannt.
Insbesondere die Wirtschaftsvertreter drängen auf eine detaillierte Vorbereitung für diesen Fall der Fälle und wollen eine Diskussion darüber, ob wirklich alle Haushalte vorrangig vor der Industrie versorgt werden müssen.
Klaus Müller, Chef der Deutschen Bundesnetzagentur hat an dieser Regelung öffentlich gerüttelt. Denn dann würde knappes Gas ja auch für große Single-Wohnungen oder das Beheizen der Sauna fließen, während wichtige Wirtschaftszweige wie Glas und Keramik für die Medizintechnik oder die Lebensmittelindustrie eventuell gar nicht mehr produzieren könnten.
Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf sagte zum KURIER: „Ein Gas-Lieferstopp aus Russland hätte einen katastrophalen Dominoeffekt für die Wirtschaft und danach auch für die privaten Haushalte. Es ist dringend geboten, ausgeklügelte Pläne zu entwerfen und die Interessensvertreter der Wirtschaft in die Planungen mit einzubinden.“ Das fordert auch Industrie-Generalsekretär Christoph Neumayer. „Die Dinge sind viel komplexer als der vage Notfallplan. Bei den Betrieben herrscht eine enorme Verunsicherung.“
Ungeklärt sei beispielsweise die Frage, ob man auch bei Betrieben Gas rationieren könne, die ihre Abwärme in das Netz der Fernwärme einspeichern würden – also Haushaltsenergie für Endverbraucher bereitstellen.
Speicherstände
Auch die Befüllung der Speicher für den kommenden Winter könne bei dem aktuellen Hoch-Preisniveau nicht ohne entsprechende Zusagen der Ministerin erfolgen, heißt es aus der Wirtschaft. Garantiert werden müsste von der Regierung, dass es im Notfall zu keiner Enteignung der Gasvorräte der Unternehmen komme oder es zumindest eine finanzielle Kompensation gebe.
Klar ist, dass ganz Europa die Speicher über den Sommer füllen muss, um kommenden Winter möglichst wenig erpressbar zu sein – auch, wenn das Gas dafür noch aus Russland gekauft wird, und zwar zu den derzeitigen hohen Preisen.
Denn der Gasverbrauch ist im Winter bis zu drei Mal so hoch wie im Sommer. Nicht nur, wegen des Heizens, sondern weil die Kraftwerke für die Erneuerbaren dann weniger Strom produzieren. In den Wintermonaten wird Erdgas deswegen auch für etwa ein Viertel der Stromproduktion gebraucht. Auch diese Kraftwerke brauchen also Gasreserven.
Abhängigkeit
Österreich ist mit etwa einem Fünftel des gesamten Energieverbrauchs besonders abhängig von russischem Gas.
Infrastruktur
Die EU-Staaten sind bemüht, die Zahl ihrer Lieferanten zu erhöhen. Dazu fehlen aber nicht nur die verfügbaren Mengen, sondern auch die Pipelines und LNG-Terminals.
14 % Speicherfüllung
Die österreichischen Speicher fassen gut einen Jahresbedarf von etwa 95 Terawattstunden (TWh). Nach der Heizsaison sind die Pegelstände niedrig.
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