Gas-Stopp: "In einigen wenigen Wochen wäre Schluss"
Angesichts des Krieges in der Ukraine überlegt der Westen weitere Sanktionen gegen Moskau. Verstärkt wird seit Tagen über einen Importstopp für russisches Öl und Gas diskutiert. In der EU, in den USA und in Österreich. Russland hat zuletzt den Spieß umgedreht und seinerseits mit einem Gas-Lieferstopp durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gedroht.
Was würde es also für Österreich bedeuten, wenn das Gas aus Russland – egal von wem – abgedreht wird? Zunächst ein paar Zahlen. 80 Prozent vom Gas, das
in Österreich jährlich verbraucht wird, kommen aus Russland. Jeweils zehn Prozent aus Norwegen und Österreich. Der Staat verfügt über ein Gas-Speichervolumen von 95,8 Terawattstunden (TWh). Das entspricht dem Jahresverbrauch.
Fast 1 Million Haushalte
Das meiste Gas verbraucht die Industrie. Und zwar 40 Prozent. Ein gutes Drittel des Gas-Jahresverbrauchs geht in Verstromung und in die Fernwärme. Das betrifft etwa Gewerbe, öffentliche Einrichtungen und Haushalte.
Direkt entfallen auf die Haushalte dann noch 20 Prozent des Verbrauchs. Laut Statistik Austria brauchen 998.476 private Haushalte das Gas zum Heizen und zur Warmwassergewinnung. Und schließlich die wichtigste Zahl: Die Gasspeicher sind derzeit nur noch zu 15,5 Prozent gefüllt. Zurück also zur Frage: Was, wenn morgen das Gas abgedreht wird?
Faktum ist: Fließt kein Gas aus Russland mehr nach Österreich, tritt ein sogenannter Energielenkungsfall ein. Dabei legt das Klimaschutzministeriums fest, welche Nutzer weiterhin mit Gas beliefert werden.
Klar ist, dass in diesem Fall die Privathaushalte und die kritische Infrastruktur Vorrang haben, heißt es dazu bei Wifo und Industriellenvereinigung (IV).
Bei der IV gibt es dazu ein Krisenszenario. Ergebnis: Bei den aktuell noch 15,5 Prozent Lagerreserven wäre „in einigen wenigen Wochen Schluss“, sagt Generalsekretär Christoph Neumayer. Für einen Experten, der nicht zitiert werden will, bedeuten „einige wenige Wochen“ konkret maximal zwei Monate. Die gute Nachricht: Haushalte könnten zur Not mit dem eigenen und norwegischen Gas gerettet werden. Kurzfristig. Für die Konsumenten als Arbeitnehmer wären die Folgen trotzdem fatal. Zunächst würde das Gas-Embargo die energieintensive Industrie treffen. Das sind beispielsweise die Stahlindustrie, die Papierindustrie, die Zementindustrie. „Zehntausende Beschäftigte und ihre Familien wären sofort betroffen. Ganz zu schweigen von der Zulieferindustrie und ihren Mitarbeitern“, so Neumayer.
Was heißt das in der Praxis? Neumayer: „Kein Stahl, keine Autoproduktion mehr. Keine Papierindustrie bedeutet keine Verpackung für Lebensmittel und für Medikamente mehr. Und das Runterfahren der Zementindustrie würde den Hausbau massiv treffen.“
Kein Sofort-Ersatz
Das Problem: Der Gasverbrauch sinkt zwar in der wärmeren Jahreszeit, aber ohne Gas geht in der Industrie schlichtweg nichts. Allein das Drosseln der Produktion ist nicht so einfach und könnte im Falle einer raschen Gasabschaltung Schäden an den Maschinen und Anlagen hervorrufen. Das noch größere Problem: Die 80 Prozent Gas aus Russland lassen sich so schnell nicht ersetzen, analysiert Neumayer. Dafür fehle schlicht die Infrastruktur. Das gelte vor allem für das immer wieder zitierte Flüssiggas.
Aktuell arbeitet die EU-Kommission fieberhaft an Alternativen zum russischen Gas. Für Neumayer ist das positiv. Allerdings: „Bis wir wirklich vom russischen Gas unabhängig werden können, dauert es mehrere Jahre.“
„Alternative Quellen gibt es, aber die Schwierigkeit ist, dass sie nicht so schnell verfügbar sind. Auf Knopfdruck geht da gar nichts“, sagt auch Wifo-Experte Franz Sinabell zum KURIER. In erster Linie geht es dabei um Flüssiggas (LNG). Dafür benötigt man Terminals, wo das LNG eingespeist wird. Und man braucht Versorgungsnetze, die das Gas in die andere Richtung leiten. Unter anderem von italienischen Häfen nach Österreich. Und? Gibt es schon Anzeichen, dass Russland die Gaszufuhr drosselt? „Die Versorgung funktioniert derzeit. Was nächste Woche ist, darüber möchte ich nicht spekulieren“, sagt Sinabell. „Das Gas ist derzeit eine wichtige Einnahmequelle für Russland, und die Einnahmen werden auch genützt, um den Rubel zu stützen.“
Mehr Gas als früher
Wenn man ein wirtschaftliches Kalkül ansetze, dann würden diese Lieferungen auch künftig nicht unterbunden. Nur sei man derzeit in einer Situation, wo ein wirtschaftliches Kalkül nicht unbedingt maßgeblich sei, so der Wifo-Experte. Und was sagt Wirtschaftsforscherin Monika Köppl-Turyna von EcoAustria? „Es fließt derzeit mehr Gas als früher, die Nordstream und die Ukraine-Pipeline liefern 100 Prozent Kapazität, nur die Preise sind sehr hoch. Möglicherweise in Erwartung, dass es zu einem Gasstopp kommt.“
Wen würde ihrer Meinung nach ein Gas-Stopp härter treffen? „Es würde uns wirtschaftlich sehr schaden. Aber Russland noch um einiges mehr. Die wirtschaftliche Auswirkung für Russland wäre deutlich höher als für die EU. Das ist mehr als 10:1.“
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