Was ist uns unser Fleisch eigentlich wert?
Es klingt skurril. Österreich könnte sich zu 100 Prozent selbst mit Schweinefleisch versorgen, hat im Vorjahr laut Statistik aber dennoch 110.000 Tonnen allein aus Deutschland importiert. Auch von der Firma Tönnies, die jetzt aufgrund der Arbeitsbedingungen in ihren Werken am Pranger steht.
Die Österreicher gehören zu den größten Fleischtigern in Europa. Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, entscheidet bei vielen letztlich der Preis darüber, was im Einkaufswagerl und auf dem Teller landet. Ob beim Supermarkt-Manager, Wirt, Fleischverarbeiter oder Konsument. Letztlich sind alle „Groscherlklauber“. So sind in der Industrie oft ein, zwei Cent Preisunterschied pro Kilo ausschlaggebend dafür, was in die Wurst kommt.
Weitere Zuspitzung
„Klingt nicht viel, aber in Verarbeitungsbetrieben kommt in der Kalkulation viel zusammen, wenn Tausende Tonnen benötigt werden“, sagt Michael Blass, Chef der Agrarmarketing Austria. „Wir sehen immer wieder, dass die Industrie so unter Druck ist, dass sie wegen ein paar Cent zu Ware ohne Qualitätssiegel greift. Das ist ein altbekanntes Problem, das sich weiter zuspitzt.“
Laut Branchenkennern liegen die Margen bei Wurstproduzenten oft unter einem Prozent ihres Umsatzes, etwa im Vorjahr, als die Schweinepreise einen Höhenflug hatten. Ein paar Cent weniger im Rohstoffeinkauf entscheiden über den Geschäftserfolg.
Vorwurf
Einer, der sich gerade zu einem großen Teil vom AMA-Gütesiegel verabschiedet hat, ist der niederösterreichische Familienbetrieb Berger Schinken. Dass es dabei um den Preis gegangen ist, lässt Firmenchef Rudolf Berger über eine Sprecherin dementieren. Die Partnerbetriebe hätten schlicht nicht mehr genügend Menge unter dem AMA-Siegel liefern können, weil dieses seit Jahresanfang neue, komplexere Regeln etabliert habe.
Ein Vorwurf, den die AMA nicht auf sich sitzen lassen will. Bei langfristigen Partnerschaften würden die Landwirte, Schlacht- und Zerlegebetriebe planen und die benötigten Mengen liefern können. Davon könne aber oft keine Rede sein. Oft würden Verarbeiter an der Rohstoffbörse kaufen, was gerade billig zu haben ist.
Umgehen
Berger versichert, dass er für seinen Schinken „zu 100 Prozent heimisches Schweinefleisch“ verarbeitet, 56 Prozent davon AMA-zertifiziert.
Ein genauerer Blick in die Sortimente einzelner Hersteller zeigt auch, dass sie zwar gerne mit Qualitäts- und Herkunftssiegel werben, aber bei einem beträchtlichen Teil der Produktion gerne an ihnen vorbei arbeiten. So musste der Tiroler Speckhersteller Handl zuletzt etwa bekennen, dass er ebenfalls Fleisch von Tönnies bezogen hat. Auch wenn auf Anfrage betont wird, dass Speck und Wurst „für den österreichischen Markt ausschließlich mit AMA-Gütesiegel-Fleisch hergestellt“ werde.
Tiroler Speck
Das AMA-Gütesiegel garantiert bei Fleisch, dass es von einem in Österreich geborenen, gemästeten und geschlachteten Tier stammt. Wozu braucht dann Handl aber zusätzlich zu österreichischem deutsches Fleisch? „Für den Exportmarkt“, heißt es. Ob ein deutscher Kunde im „Tiroler Speck“ Schwein aus deutscher Produktion erwartet, sei dahingestellt.
Wenn es um die Wurst geht, steht aber auch der österreichische Verbraucher schnell auf verlorenem Posten, wenn er wissen will, was denn wirklich drinnen steckt.
Auf die Frage, wie denn der Käufer nachvollziehen kann, woher das Fleisch in der Wurst von heimischen Herstellern stammt, sagt Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) knapp: „Gar nicht, außer es ist ein Gütesiegel drauf.“ Eine Ausnahme gibt es, die einer gewissen Ross- oder besser gesagt Schweinetäuscherei Einhalt gebieten soll. Seit 1. April müssen bei Wurstwaren, bei denen auf der Verpackung ein Österreichbezug hergestellt wird, die primären Zutaten tatsächlich aus Österreich stammen. Also wenn etwa mit „Qualität aus Österreich“, einer Fahne oder Landkarte unseres schnitzelförmigen Landes geworben wird.
„Das Gesetz ist aber sehr schlecht gemacht“, sagt VKI-Ernährungswissenschafterin Beck, die darin zuviel Spielraum und damit potenzielle Streitfälle sieht. „Es ist etwa unklar, ob eine Verpackung, auf der eine idyllische Berglandschaft dargestellt ist, unter die Regelung fällt.“
Geiz ist geil
Dass sich die Wurstkäufer, vom niedrigen Preis geleitet, vielleicht sogar ganz gerne zur Gewissensberuhigung täuschen lassen, glaubt Beck nicht. „Das darf man nicht den Konsumenten in die Schuhe schieben. Ihnen wurde über Jahre über die Werbung eine Geiz-ist-Geil-Mentalität eingehämmert.“
Der Skandal bei Tönnies lässt einmal mehr die Debatte um fairere Fleischpreise hochkochen und damit die Frage, ob Fleisch teurer werden muss. „Wer das fordert, hat schlicht keine Ahnung vom Markt“, findet Johann Schlederer, Chef der Schweinebörse.
Natürlich setzen sie mit ihrer Gigantomanie und ,moderner Sklaverei’ in den Werken die Schleuderspirale in Gang
Spirale
Ab wann ein Preis fair ist, hänge nicht zuletzt von der Betriebsstruktur und dem Produktions-Know-how ab. Die Marktpreise variieren zudem täglich. Unter dem Strich liefern deutsche Betriebe laut seiner Einschätzung um bis zu 20 Prozent günstiger als heimische. Auch aufgrund der Betriebsgrößen.
Schlederer: „Natürlich setzen sie mit ihrer Gigantomanie und der ,modernen Sklaverei in den Werken die Schleuderspirale in Gang.“ Zu glauben, dass Österreich sich auf heimische Ware konzentrieren könnte, sei blauäugig.
„Wir reden hier von einem beinharten freien Markt“, sagt Schlederer. Wenn Verarbeiter freie Kapazitäten haben, kaufen sie auch im Ausland zu, ob das heimischen Bauern passt oder nicht. Derzeit produziert die EU um 20 Prozent mehr Schweine als der Markt benötigt. Schlederer: „Das wäre nicht der Fall, wenn es sich für die Marktteilnehmer nicht rentieren würde.“
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