Forscher: Agrarpolitik muss ambitionierter gegen Klimawandel vorgehen
Österreich ist laut Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) zwar "Weltmeister was Nachhaltigkeit und Biolandbau" betrifft und will den Anteil der Bio-Flächen bis 2030 auf 35 Prozent steigern. Doch der Wissenschafter Michael Obersteiner, Direktor des Environmental Change Institute der Oxford Uni, sieht "in großen Herausforderungen Klimawandel, Versorgungssicherheit und Biodiversität nicht die großen Lösungen". Es brauche ein "ambitiöseres und innovativeres" Vorgehen.
Obersteiner forderte angesichts der Klimakrise auch eine "bessere Politikausstattung", wie der Wissenschafter im Rahmen der Eröffnungspressekonferenz des 70. Ökosozialen Forums in Wien am Dienstag sagte. Dort sprach er gemeinsam mit Totschnig und Forumspräsident sowie niederösterreichischen Landeshauptfraustellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) vom Podium.
Es gehe ums Gesamtsystem
Es gehe nicht um Einzelmaßnahmen sondern ums Gesamtsystem, so der aus Österreich stammende Oxford-Wissenschafter. Und hier müsse die Politik effizienter gestalten. Es gehe um die Implementierung einer zirkulären Bioökonomie. Eine solche sei derzeit aber nicht konkurrenzfähig - nicht nur bei Treibstoffen, auch bei Materialien und bei Futtermitteln - "das alles gehört kompetitiv gemacht".
Zusätzlich müsse es gelingen, CO2 aus der Atmosphäre in die Böden oder geologische Formationen zu bringen. Obersteiner gestand ein, dass es "genau jetzt eine riesige Herausforderung ist, die langfristigen Klimaziele und gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu sichern".
Kleinstrukturierte, flächendeckende Landwirtschaft in Österreich bewährt
Dies zwinge "wirklich systemisch zu denken" - und hierbei gehe es auch um den Konsum. "Es geht nicht an, locker weiterzuessen was wir wollen, wenn es eine globale Ernährungskrise gibt. Den Überkonsum, den wir jetzt haben, gilt es herunterzufahren, für die eigene Gesundheit und aus Solidarität. Das klingt zwar überethisch, ist aber keine schlechte Strategie - auch im Lichte einer möglichen Budgetkrise."
Totschnig betonte, dass sich im Sinne der Versorgungssicherheit die kleinstrukturierte, flächendeckende Landwirtschaft in Österreich bewährt. Wo man vom Import und internationalen Lieferketten abhängig sei, sei die Versorgungssicherheit gefährdet, verwies der Landwirtschaftsminister auf Medikamentenengpässe, aber auch Computerchips und die Energieversorgung. "Das darf bei Lebensmitteln nicht passieren." Die Landwirtschaft könne mit ihrer Biomasse und ihren Flächen auch viel in der Energiekrise beitragen. "Mit der ökosozialen Agrarpolitik sind wir auf dem richtigen Weg, den ich auch auf EU-Ebene weitervertreten werde."
Kritik in Sachen Nachhaltigkeit
Die Umweltschutzorganisation Global 2000 kritisierte Totschnig für seine Aussage der heimischen Weltmeisterlichkeit in Sachen nachhaltiger Landwirtschaft. Die Nicht-Regierungsorganisation erinnerte gegenüber der APA daran, dass die EU-Kommission im Dezember 2020 in ihren Empfehlungen an Österreich zum GAP-Strategieplan kritisierte, dass "die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft in Österreich deutlich weniger stark zurückgehen als in der EU-27 (-10,7 Prozent in Österreich gegenüber -20,6 Prozent im EU-27-Raum)". Die Kommission hatte sich damit auf den Zeitraum zwischen 1990 und 2018 bezogen.
"Hier produzieren ist am nachhaltigsten"
Forumspräsident Pernkopf zitierte hingegen aus einer beim Wifo beauftragten Studie zum Thema Umwelt- und Klimaeffizienz, wonach in der heimischen Landwirtschaft die Produktion an CO2-äquivalenten je Euro Wertschöpfung hierzulande bei 1,68 Kilogramm liege, in Deutschland aber um 20 Prozent und in Großbritannien fast um 50 Prozent höher sei. Trotz des Produktionsanstiegs sei die Treibhausgasproduktion im Agrarbereich seit 1990 um etwa ein Fünftel zurückgegangen. "Es ist am besten hier zu produzieren, weil es am nachhaltigsten ist." Es würde nicht nur mehr CO2 entstehen sondern auch Sozialdumping importiert, wenn wo anders produziert und von dort eingeführt werde.
Totschnig sah den österreichischen Agrarweg auch darin bestätigt, dass die heimischen Landwirte die neue Fördermöglichkeiten über die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) trotz teils höherer Anforderungen gut annehmen. Bisher habe man insgesamt mehr als 90.000 Anträge verzeichnet, das bedeute eine Steigerung von gut 4.000 Anträgen gegenüber dem Vorjahreswert, so der Politiker. Die Teilnahme sei "ein voller Erfolg. Unsere Bäuerinnen und Bauern nützen also die Angebote in Richtung Klima, Artenvielfalt und Tierwohl gut." So werde der Weg der Qualitätsstrategie fortgesetzt und die Lebensmittelversorgung weiter abgesichert.
Moosbrugger will auch Konsumentinnen und Konsumenten verantworten
Aus Sicht von Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger (ÖVP) legen die Bauern mit der regen Teilnahme an Förderungen samt vielen klimarelevanten Maßnahmen "erneut ein klares Nachhaltigkeitsbekenntnis ab. Ihre Qualitätsprodukte sind mit deutlichen Mehrleistungen für das vielfältige Leben und insbesondere die Menschen in unserem Land verbunden." Aber: "Auf Dauer wird das nur mit einem rot-weiß-roten Konsumbekenntnis der Bevölkerung möglich sein. Umwelt- und Biodiversitätsschutz endet nicht am Feld, sondern muss bis in den Einkaufswagen reichen", so Moosbrugger in einer Aussendung. "Von den Bäuerinnen und Bauern immer mehr zu verlangen, ist zu wenig." Wer selbst im Sinne von Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz handeln wolle, solle gezielt zu heimischen Qualitätsprodukten greifen. "GAP und ÖPUL sind wichtig, die Zukunft der Landwirtschaft muss jedoch auf den Märkten gesichert werden", so der oberste Landwirtschaftskämmerer.
Auch der Präsident des ÖVP-Bauernbundes, Georg Strasser, nahm die Zahl der 90.000 Anträge zum Agrarumweltprogramm als Beispiel her, das zeige, "dass unsere bäuerlichen Familienbetriebe den Schutz unserer Flora und Fauna vorleben. Der Anstieg bei der umweltgerechten und biodiversitätsfördernden Bewirtschaftung (UBB) unterstreicht außerdem die Vorreiterrolle unserer Bäuerinnen und Bauern beim Klima- und Artenschutz", hieß es in einem Statement gegenüber der APA. "Eine nachhaltige Wirtschaftsweise und die Sicherstellung der Versorgung sind keine Gegensätze, sondern gehen vielmehr Hand in Hand", so der Abgeordnete zum Nationalrat.
Im Detail haben sich beispielsweise 48.000 Betriebe (Vorjahr: 46.000) für die Teilnahme "umweltgerechte und biodiversitätsfördernde Bewirtschaftung" gemeldet. Auch der in Österreich hohe Anteil von Bio-Betrieben steigt neuerlich, wenn auch nur um gut 300 auf 22.800. Ebenso hat die Zahl jener Betriebe, die Anträge für Naturschutzmaßnahmen, bodennahe Gülleausbringung, Heuwirtschaft, Weidehaltung oder Tierwohl-Stallhaltung gestellt hat, von knapp 17.500 auf gut 21.600 zugenommen.
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