Mitten in der Corona-Pandemie hat sich die Situation am Jobmarkt weiter verschärft. Während Unternehmer freie Stellen nicht besetzen können, suchen manche Arbeitslose seit Jahren nach einer Anstellung. Der KURIER hat mit Betroffenen gesprochen und nach den Gründen gefragt.
"Wurden als Generalisten ausgebildet"
Marc Planyavsky weist einen Lebenslauf vor, der sich sehen lassen kann. Im Anschluss an die HTL St. Pölten, wo Planyavsky zum Wirtschaftsingenieur ausgebildet wurde, besuchte er die Fachhochschule Technikum Wien. Der heute 27-Jährige beschäftigte sich intensiv mit dem Themenbereich Verkehr und Umwelt, in seinem Masterstudium „Green Mobility“ lag der Fokus auf Elektromobilität als ganzheitliches Konzept für den Individualverkehr. Ein Zukunftsthema also, dessen Wichtigkeit auch seitens der Politik immer wieder betont wird.
Einen Job hat der St. Pöltner dennoch noch nicht gefunden. Seit einem Jahr schickt Planyavsky Bewerbungen ab, bislang ohne positive Rückmeldung. „Wenn es um das Thema Elektromobilität geht, dann werden in Niederösterreich vor allem Techniker gesucht. Ich bin aber kein Techniker. Wir wurden als Generalisten ausgebildet, die den Blick auf das Ganze haben sollen.“
Deshalb sei die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze derzeit auch noch gering. Das bekommen auch Kollegen zu spüren, mit denen er das Masterstudium absolviert hatte. „Bislang haben nur drei einen Job in diesem spezifischen Bereich gefunden“, erzählt Planyavsky, der gerne bei einer Bundesstelle arbeiten würde. Deprimiert sei er dennoch nicht. „Ich bleibe zuversichtlich, bewerbe mich weiter“, berichtet er. Auch die Wahl des Studiums sei die richtige gewesen, ist er sich sicher. Planyavsky hofft nun, dass er in der nö. Landeshauptstadt einen Job bekommt. Aufgeben will er sicher nicht.
Es waren keine einfachen Monate für das Familienunternehmen „Heiss & Süß“ (Patisserie sowie Konditoreiprodukte) in Altlengbach in NÖ. So wie viele andere Betriebe auch, hatten sie mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen.
Doch früher noch als in der Gastronomie, wurde bei Heiss & Süß die Kurzarbeit beendet und neue Projekte mit dem Einzelhandel gestartet. Damit das Comeback auch gelingen kann, braucht Geschäftsführer Christian Heiss nun neue Mitarbeiter. Denn einige hatten in der Zwischenzeit das Unternehmen verlassen, jetzt drängt die Zeit.
„Das Problem ist aber, dass neue Kräfte kaum zu finden sind“, berichtet Heiss. Gesucht werden Konditorinnen, Hilfsarbeiter aber auch Reinigungskräfte. „Allerdings sind von zehn Bewerbern acht nicht zum ausgemachten Termin erschienen“, erzählt er. Dieser Umstand sorgt bei dem Geschäftsführer für Unmut. Er ist der Meinung, dass vielen der Antrieb fehle, weil sie vom Arbeitsmarktservice (AMS) finanziell zu großzügig unterstützt werden. „Wenn ich vom AMS im Monat 1.200 Euro bekomme, dann überlege ich es mir drei Mal, ob ich für 1.400 Euro irgendwo arbeiten gehen soll.“
Heiss hofft deshalb auf ein Umdenken in der Politik. Sein Vorschlag: Eine geringes AMS-Geld, dafür ein höherer Mindestlohn. „Es müssen dringend Anreize geschaffen werden, dass arbeitslose Personen wieder in die Berufswelt zurückkehren“, so Heiss. Er kritisiert zudem, dass die Lohnsteuer zu hoch sei, ein Steuersatz von 33 Prozent für alle wäre sinnvoller.
„Mehr als 25 Dienstjahre sind ein Problem“
Sabine Vogl aus Stratzing (Bezirk Krems, NÖ) war 48 Jahre alt, als bei ihr ein Gehirntumor entdeckt wurde. Für die Oberstufenlehrerin hat sich damit schlagartig ihr gesamtes Leben verändert. Es folgten mehrere Operationen, bei denen sie dem Tod von der Schippe gesprungen ist, allerdings ist sie nun auf einem Auge blind. „2015 wurde mein Dienstvertrag aufgrund des langen Krankenstandes aufgelöst“, erzählt sie, das passierte gerade, als sie um Anerkennung der Behinderung angesucht hat, wenig später wäre sie unkündbar gewesen.
Seit 2016 ist die 55-Jährige auf Arbeitssuche. Sie fühlt sich gesundheitlich im Stande , zu unterrichten, allerdings nicht mit voller Lehrverpflichtung. Nach 25 Jahren Dienstjahren hat sie das Anrecht auf einen unbefristeten Vertrag – und genau das wird zum Problem. „Mich nimmt keiner, weil ich rechtlich keinen Vertretungsvertrag haben darf, den bekommen dann Studenten oder Dolmetscher“, sagt die Französisch- und Englischlehrerin, beworben hat sie sich in mehreren Bezirken, obwohl eine weite Anfahrt sie sehr fordert.
Eine Umschulung könnte sie sich vorstellen. „Ich würde gerne im Jugend- oder Erwachsenencoaching arbeiten und das Gender Mainstreaming Diversity Zertifikat machen“, erzählt Vogl. „Ich habe jahrelang in einer HTL unterrichtet, da war ich für einige Schüler eigentlich auch Coach und nicht nur Lehrerin.“ Aber alle Bewerbungen seien mit den üblichen Phrasen abgelehnt worden, trotz der jahrzehntelangen Erfahrung. „Entweder es liegt am Alter oder bzw. und meinem Kündigungsschutz wegen der 50-prozentigen Behinderung“, erklärt sie.
„,Kind, lern, studier’, fällt uns auf den Kopf“
„Heute geht`s nicht, ich bin auf Montage, eben weil ich kein Personal finde“, ist das erste, das Tischlermeister Hermann O. Ledermüller aus Moidrams (Bezirk Zwettl) am Telefon auf die Interviewanfrage sagt. Seit zwei Jahren sucht er einen Tischler – erfolglos. „Es gibt einfach keine.“
Ebenso lange ist es her, dass er keinen Lehrling mehr hat. „Früher war es so, dass du zehn Bewerber hattest und dir zwei oder drei aussuchen konntest, heute musst du froh sein, wenn du irgendeinen bekommst.“ Als kleiner Betrieb habe man es da noch einmal schwerer, die großen locken etwa mit dem Bezahlen vom Führerschein. „Das kann ich mir nicht leisten“, sagt Ledermüller, der den Familienbetrieb in 3. Generation führt. Als Unternehmer sei er ohnehin schon erpressbar: „Die sagen mir, dass sie zum nächsten gehen, wenn ich nicht mehr bezahle – aber es gibt ja nicht einmal einen, dem du mehr zahlen kannst, die guten Tischler sind vergriffen.“ Dass mehr gezahlt wird als kollektiv, sei sowieso klar und notwendig.
Seit fünfzehn Jahren gebe es das Facharbeiterloch nun schon. „Jetzt fällt uns auf den Kopf, dass damals alle propagiert haben ,bitte Kinder, lernt’s, geht’s studieren’“. Man hätte vermittelt bekommen, dass man ein „Dodl ist, wenn man eine Lehre macht“. Jetzt steuere man da wenigstens entgegen, auch die Politik bewirbt die Lehre, bis das allerdings fruchte, dauere es sicher noch fünf bis zehn Jahre, ist der 53-Jährige sicher und: „Das ist noch nicht die Spitze des Eisbergs, Personal zu finden, wird bei den Handwerksbetrieben – egal ob Zimmerer, Maler oder Dachdecker – noch schwieriger.“
„Das Alter spielt sicher eine Rolle“
Eine mehrjährige Jobsuche zehrt an den Nerven. Das ist deutlich zu spüren, wenn man Günther Wejrosta zuhört. Seit Anfang 2019 bemüht er sich um eine neue Anstellung. Bisher ohne Erfolg.
Der 51-Jährige hat die Fachschule für technische Chemie erfolgreich abgeschlossen, war dann 22 Jahre lang bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit beschäftigt. Der Trend sei laut Wejrosta immer mehr in die Richtung gegangen, keine Vertragsbediensteten mehr zu wollen. Er weigerte sich, einen anderen Vertrag zu unterschreiben. 2010 habe man sich dann über das Arbeitsgericht geeinigt. Damals dauerte es fünf Jahre lang, bis Wejrosta wieder Arbeit fand. Viele hätten nicht verstanden, warum jemand nach 20 Jahren beim Bund aufhört.
2015 fand er Arbeit bei der LVA - Kompetenzzentrum für Lebensmittelsicherheit. „Das war ganz toll. Es war eigentlich auch sehr familiär, obwohl das keine kleine Firma ist“, sagt er. Seine Abteilung wurde regelmäßig umstrukturiert, nach nicht einmal drei Jahren war für ihn Schluss: „Weil ich der Neueste war, wurde mir gekündigt.“
Seither bewarb sich der 51-Jährige bei unzähligen Firmen, und zwar nicht nur in seiner Sparte, sondern in allen chemischen Betrieben und überall, wo Analytik durchgeführt wird. „Das Alter spielt sicher eine Rolle. Diese Vorurteile sind immer noch vorhanden“, glaubt Wejrosta. Besonders trifft es ihn, wenn er sich bei Firmen bewirbt, eine Absage bekommt und wenig später dort bereits wieder ähnliche Stellen ausgeschrieben sind. „Warum geben sie mir keine Chance?"
"Wir müssen Jugendlichen mehr Zeit geben"
Personal nachzubesetzen sei zwar auch im Kfz-Bereich immer schwieriger, bisher blieb man aber von akutem Mangel verschont, sagt Gernot Wiesinger, der ein großes Autohaus in Mistelbach und Gänserndorf betreibt. Schwierig sei es aber auch schon vor der Corona-Krise gewesen.
„Wir haben mit einem Generationen- und Interessensproblem zu kämpfen“, sagt er. Und das wurde durch die Krise noch größer. „Ein Jahr gab es kaum Schnupperlehren, weil die Veranstaltungen nicht stattfinden konnten“, sagt Wiesinger. Zudem würden Eltern in unsicheren Zeiten ihre Kinder noch eher in die Schule und nicht in die Lehre schicken. „Wir müssen der Gesellschaft erzählen, dass es nicht schlecht ist, wenn man nach der 9. Schulstufe nicht weiter in die Schule geht.“
Er glaubt nicht, dass man Eltern die „irrationale Angst“ vor der Lehre nehmen könne. Er plädiert dafür, die Polytechnischen Schulen zuzusperren: „Erfinden wir lieber eine Schule, deren Ziel es ist, dass ich sie irgendwann abbreche. In der Zeit kann ich 27 Mal schnuppern gehen und mich bewerben. Wir müssen Jugendlichen mehr Zeit geben. Sollte ich dann dennoch vier Jahre in die Schule gehen, habe ich immer etwas gelernt.“ In Mistelbach sei früher der Beruf gewählt worden, der zur Verfügung stand. Heute sei das anders.
„Wir leben damit, dass ich heuer drei ernst zu nehmende Bewerbungen für KFZ-Lehrstellen bekommen habe, wo wir zwei besetzen wollten“, sagt Wiesinger. Die Suche nach Serviceberatern und Kfz-Meistern sei noch schwieriger.
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