Passfehler
„Mismatch“, zu Deutsch „Passfehler“, heißt das Phänomen, wenn Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt auseinanderklaffen. Wenn also trotz hoher Arbeitslosigkeit Betriebe Hände ringend nach Personal suchen, weil jene, die zu haben sind, nicht jene sind, die sie benötigen.Aktuell stehen 360.000 beim AMS registrierte Arbeitslose 109.000 offenen Stellen gegenüber. Eine rein statistische Momentaufnahme. Sie zeigt aber, dass viele offene Stellen und hohe Arbeitslosigkeit kein Widerspruch sind. Vielmehr sind es Zeichen einer enorm hohen Dynamik am Arbeitsmarkt, der sich in einem beschleunigten strukturellen Wandel befindet.
Wissen veraltet rasch, das Bildungssystem hinkt hinterher, die Digitalisierung verändert die Job-Profile zusätzlich. Die jetzige Zuspitzung der Lage ist aber eine Ausnahmesituation, die mit dem abrupten Wiederhochfahren großer Teile der Wirtschaft knapp vor dem Sommer zusammenhängt.
Fünf Gründe für den aktuellen Mismatch:
1. Lockdown-Ende
Die Wirtschaft erwacht aus dem Lockdown, die Sommersaison setzt voll ein, alle Firmen suchen gleichzeitig Personal. Rund 200.000 Beschäftigte sind in Kurzarbeit und fehlen am Arbeitsmarkt, weil sie nicht woanders hin vermittelt werden können. Das Handwerk bekam zusätzlich Aufträge, weil viele ihr Zuhause sanieren oder umbauen. Hier wird mehr Personal benötigt als sonst.
2. Fehlende Qualifikation
Nur weil im Tourismus viele ohne Job sind, gibt es nicht mehr Programmierer. Die Qualifikation reicht oft nicht aus, ist viel zu spezifisch oder wird gar nicht mehr nachgefragt. Die Hälfte der Arbeitslosen hat maximal Pflichtschulabschluss.
3. Regionale Unterschiede
Die offenen Stellen sind nicht dort, wo die Arbeitslosen wohnen. 40 Prozent der Arbeitslosen befinden sich in Wien, die meisten offenen Stellen in Oberösterreich (25 Prozent) und der Steiermark (16 Prozent).
4. Branchenflucht
Geringe Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen sorgen im Tourismus oder bei Pflegeberufen für eine hohe Fluktuation, viele wechseln auch in andere, besser bezahlte Branchen. Laut AMS-Zahlen wechselten im ersten Quartal heuer 3.000 Menschen aus dem Tourismus in eine andere Branche.
5. Jugendwahn
Betriebe sind zu wählerisch und anspruchsvoll, ignorieren die demografische Entwicklung und gesellschaftliche Veränderungen. Bewerber sprechen von versteckter Diskriminierung, besonders in Bezug auf das Alter, ausländischer Herkunft oder Betreuungspflichten.
Fünf Wege aus dem Mismatch:
1. Aus- und Weiterbildung
Nachfrageorientierte Qualifizierung, Erwerb von Basiskompetenzen und Verbesserung der Kinderbetreuung gilt bei allen Experten als zentraler Hebel im Kampf gegen Mismatch. Das AMS weitete die Kurse aus, dzt. sind 72.000 in Schulungen, davon mehr als 30.000 allein in Wien.
2. Gezieltere Vermittlung
Das AMS führt laufend Jobbörsen durch und versucht mit Mobilitätsprämien und Förderung von Wohn- und Übersiedelungskosten aus Wien hinaus zu vermitteln. Kritik gibt es an der veralteten Berufsbezeichnungen und der regionalen Ausrichtung der AMS-Geschäftsstellen. Die Industriellenvereinigung will mit einer eigenen Fachkräfte-Vermittlung starten. Allgemein liegt in der Digitalisierung des Stellenmarktes noch viel Potenzial.
3. Zeitgemäße Rekrutierung
Betriebe müssten sich bei der Personalsuche mehr anstrengen, sagen Personalberater. Um gutes Personal zu finden, ist es ein Muss, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und am Image zu feilen. In digitalen Zeiten sind Social-Media-Auftritte und Videobotschaften fixer Bestandteil der Rekrutierung.
4. Mehr Druck auf Arbeitslose
Fakt ist: Der geringe Abstand zwischen Arbeitslosengeld und Gehalt macht den Niedriglohnsektor unattraktiv. Experten sind sich uneinig, ob weniger Arbeitslosengeld oder schärfere Zumutbarkeitsbestimmungen, etwa beim Anfahrtsweg zur Arbeit, einen großen Effekt auf die Beschäftigung hätten. Betriebe wollen schließlich motiviertes Personal. Sanktionen bei Vereitelung einer Jobannahme gibt es ohnehin.
5. Gute Arbeitsbedingungen
Bei Arbeitskräftemangel sind die Arbeitsbedingungen ein zentraler Hebel gegen die Knappheit. Dabei sind „Soft skills“ wie Freizeit, flexible Arbeitszeiten, Vereinbarkeit Familie und Beruf etc. oft wichtiger als „Hard Skills“ wie Gehalt.
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