Draghis EZB-Finale: Zinsen noch tiefer, erneut umstrittene Anleihenkäufe
Es ist einer der letzten großen Auftritte für EZB-Chef Mario Draghi, bevor er das geldpolitische Ruder in Frankfurt übergibt.
Und ein besonders wichtiger: Vor der vorletzten Zinssitzung und Pressekonferenz des Italieners - die letzte ist am 24. Oktober - waren die Erwartungen nämlich besonders hoch geschraubt.
Und Draghi hat diese nicht enttäuscht. Er hinterlässt seiner designierten Nachfolgerin eine erneute Zinssenkung und verabreicht den Finanzmärkten eine kräftige Geldspritze obendrein, die ab 1. November startet.
Das ist punktgenau der Amtsantritt von Christine Lagarde, der früheren französischen Finanzministerin und Währungsfonds-Chefin, die plangemäß Anfang November ihr Büro im EZB-Turm beziehen wird.
EZB-Zinssitzung
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Der KURIER begleitet die heutige Zinssitzung der Europäischen Zentralbank live.
Eine weitere Zinssenkung ist so gut wie fix. Und zwar für jene Zinsen, die Banken für eine Geldanlage bei der EZB zahlen müssen. 0,4 Prozent zahlen sie schon derzeit. Dieser "negative Einlagen-Zinssatz" soll, so die Erwartungen, auf minus 0,5 bis 0,6 Prozent sinken. Um 13:45 Uhr werden wir das genau wissen. Zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht die EZB ihre Zinsentscheidung.
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Die Ausgangssituation
Beim Leitzinssatz hat die EZB praktisch keinen Spielraum: Die Banken des Euroraums können sich zur Kreditvergabe seit geraumer Zeit Geld zum Nulltarif besorgen. Das heißt aber auch: Hier kann die EZB nichts mehr ankurbeln, wenn die Konjunktur sich eintrübt.
Anders die Kollegen der Federal Reserve. Weil die US-Wirtschaft im Konjunkturzyklus früher dran war und sich kräftig erholt hat, konnte sie sich mit Zinsanhebungen etwas Spielraum verschaffen. Da stehen die Zeichen kommende Woche (18. September) auf Senkung. Auch wenn das Präsident Trump alles zu langsam geht. Er hat Fed-Chef Jerome Powell und seine Kollegen gestern als "Eierköpfe" (Boneheads) beschimpft.
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Die Naivlinge sind schuld
US-Präsident Donald Trump hält nicht allzu viel von der Unabhängigkeit der Notenbank, das hat er mehrfach zum Ausdruck gebracht. Aber noch nie so drastisch...
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Die Erwartungen
Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI), rechnet mit einem Mini-Zinsschritt der EZB von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent. Im Dezember dürfte es weiter runter auf minus 0,6 Prozent gehen.
Ähnlich prognostiziert Markus, Müller, Chef-Investmentstratege der Deutschen Bank, eine Reduktion der Zinsen um 0,2 Prozentpunkte in Summe.
Dass die EZB schon heute auch die Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms beschließt, halten beide Experten für sehr unwahrscheinlich. Das dürfte erst im Dezember beschlossen werden. Denn die EZB müsse sich noch "Pulver für den Fall einer ärgeren Konjunkturabvschwächung aufbehalten.
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Große Bandbreite an Erwartungen
Diese Einschätzung teilen aber nicht alle Kollegen. Die deutsche Commerzbank traut Draghi einen größeren Wurf zu: Sie rechnet nach den Ankündigungen von Juli mit der Senkung des Einlagenzinses auf -0,6 Prozent. Dieser werde aber gestaffelt ausfallen, um den Schaden zumindest für einen Teil der Banken zu beschränken.
Und, da schießt die Commerzbank über die generelle Erwartungslage hinaus: Sie erwartet schon jetzt eine Wiederaufnahme von Anleihenkäufen - und zwar ein monatliches Volumen von 40 Milliarden Euro über zunächst neun Monate.
Diese große Bandbreite der Erwartungshaltungen ist für die EZB problematisch: Wenn sie diese weit übererfüllt oder unterläuft, sind heftige Marktreaktionen zu erwarten.
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Deutschland, ein Niedrig-Zinsgewinner
Die deutsche Politik zählt zu den schärfsten Kritikern der EZB-Niedrigzinspolitik, dabei zählt sie zu den großen Gewinnern.
Eigentlich wären im deutschen Haushalt 17,6 Milliarden Euro eingeplant gewesen, um die Schulden zu bedienen. Diese Rechnung dürfte sich nun - dank des Zinstiefs - bei 10 bis 13 Milliarden einpendeln, wie Reuters unter Berufung auf Insider der Budgetplanung berichtet.
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Die Entscheidung ist da
Die Einlagenzinsen, die Banken - quasi als "Strafgebühr" - entrichten müssen, wenn sie überschüssiges Geld bei der EZB parken, sinken wie erwartet.
Allerdings nur um 10 Basispunkte auf -0,50 Prozent. Das wird einige enttäuschen. Alle anderen Zinssätze bleiben erwartungsgemäß unverändert.
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Anleihenkäufe starten wieder
Das ist eine Überraschung. Die EZB kündigt die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe nicht einfach für die Zukunft an, sondern macht Nägel mit Köpfen.
Ab 1. November werden monatlich 20 Milliarden Euro an Wertpapieren in die EZB-Bilanz genommen. Das pumpt frisches Geld in den Markt (die offene Frage ist, ob der das überhaupt noch braucht...)
Der Betrag war offenkundig ein Kompromiss Es gibt im EZB-Rat einige "Falken", die den Anleihenkäufen sehr skeptisch gegenüber stehen, etwa auch Österreichs neuer Gouverneur Robert Holzmann. In der Vergangenheit hatte die EZB monatlich um 80 Milliarden Euro gekauft.
In Summe waren von März 2015 bis Ende 2018 rund 2,6 Billionen Euro in Anleihen gesteckt worden.
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Die Enteignung der Sparer
Kritiker der lockeren Geldpolitik finden sich auch in der KURIER-Wirtschaftsredaktion...
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Euro-Kurs
Der Kurs des Euro verlor unmittelbar nach der Zinsentscheidung der EZB gegenüber dem US-Dollar. Lag das Minus vor der Zinssenkung bei 0,1 Prozent, vergrößerten sich die Verluste auf 0,34 Prozent.
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Leit- und Einlagezins für Banken
Ein neuerliches Rekordtief nach der Krise ist erreicht.
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Die Inflation spielt nicht mit
Der Grund für den EZB-Aktionismus: Ihr Zwei-Prozent-Ziel ist in weite Ferne gerückt: Im August verharrte die Inflation in den 19 Ländern mit der Gemeinschaftswährung bei 1,0 Prozent und damit auf dem tiefsten Stand seit mehr als zweieinhalb Jahren.
Mit einer Neuauflage von Wertpapierkäufen will die EZB der Konjunktur und Inflation zusätzlich auf die Sprünge helfen. Das genaue Ende ließ der EZB-Rat bewusst offen.
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Anleihen, Aktien
Die Renditen der Deutschen Bundesanleihen fallen weiter. Die zehnjährige Bundesanleihe rentiert aktuell mit minus 0,65 Prozent. Vor der Zinssenkung lag sie bei minus 0,55 prozent. An den Aktienmärkten wird die weitere Lockerung der Geldpolitik durch die EZB porsitiv aufgenommen. Die Frankfurter Börse baute ebenso wie die Wiener Börse ihre Gewinne aus.
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Gestaffelte Strafgebühr
Auch das war erwartet worden: Damit die Margen der Banken nicht zu sehr unter den negativen Einlagenzinsen leiden, gibt es künftig eine Staffelung. Ein Teil der überschüssigen, bei der EZB geparkten Gelder ist von den Negativzinsen ausgenommen. Die Details wird Draghi um 14.30 Uhr in der Pressekonferenz erläutern.
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"Big Bang"
"Der finale Showdown startet mit einem großen Knall", kommentiert Carsten Brzeski, Chefökonom der deutschen ING, das Geldpolitik-Paket. Er nennt dieses, in Anspielung auf Draghis berühmten Sager aus der Griechenland-Krise, dessen "finales Was-immer-nötig-ist".
Die offene Frage sei allerdings, ob das ausreicht, um das Wachstum und die Inflation wieder in die Spur zu bekommen. Denn das wahre Thema sei die Fiskalpolitik. Sprich, die Staaten müssen sich Konjunkturpaketen beteiligen.
Wer teilt das der deutschen Regierung in Berlin mit, die so stolz auf ihre Budgetüberschüsse ist?
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Der Eurokurs reagiert
So sieht das aus, wenn der Euro-Dollar-Wechselkurs auf eine EZB-Ankündigung reagiert.
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Offene Fragen
Die - für einige Experten - überraschend frühe Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms wirft noch offene Fragen auf. Denn in Deutschland, den Niederlanden, Finnland und der Slowakei hat die EZB schon knapp ein Drittel der umlaufenden Anlehen aufgekauft. Damit hat sie die selbst gelegte Obergrenze erreicht. Nun muss die Zentralbank diese Grenze wohl lockern, sonst könnte sie keine Anleihen dieser Länder mehr erwerben.
Sowohl RBI-Chefanalyst Brezinschek als auch Deutsche Bank-Chefstratege Müller hatten er zu Jahreswechsel mit einer Neuauflage der Anleihekäufe gerechnet. Nun soillen diese schon mit 1.November starten. Christine Lagarde, die am 1. November EZB-Chefin wird, hat Mario Draghi nun die großen Entscheidungen abgenommen. "Sie braucht dann nur noch zu verwalten, meint Brezinschek.
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Zinssenkungen gibt es nicht nur in Europa. Auch die Türkei hat am Donnerstag die Leitzinsen gesenkt - trotz einer hohen Inflation. Der Zins für einwöchiges Notenbankgeld sei von 19,75 Prozent auf 16,50 Prozent reduziert worden, teilte die Zentralbank in Ankara mit. Bereits Ende Juli hatte die Notenbank eine starke Zinssenkung um 4,25 Prozentpunkte vorgenommen.
Experten hatten einen weiteren starken Zinsschritt erwartet. Sie waren aber nur von einer Reduzierung auf 17,00 Prozent ausgegangen. Obwohl die Senkung stärker als von Ökonomen erwartet ausgefallen war, konnte der Kurs der türkischen Lira nach der Zinsentscheidung zulegen. Marktbeobachter gehen davon aus, dass einige Anleger einen noch stärkeren Zinsschritt befürchtet hatten.
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Deutscher Politiker kritisiert "Irrweg"
Wie zu erwarten sind die ersten politischen Reaktionen aus Deutschland "not amused". Als "Irrweg" geißelt der CSU-Finanzexperte Hans Michelbach die EZB-Entscheidung. Es habe sich gezeigt, "dass das billige Geld und die Anleiheaufkäufe keine Konjunkturbelebung erreichen. Außerdem werden die Verunsicherung der Verbraucher und die gesellschaftliche Spaltung erhöht."
Die EZB-Beschlüsse seien lediglich ein weiteres Hilfsprogramm für Spekulanten und förderten die Fortsetzung einer ungesunden Schuldenpolitik in etlichen Euro-Staaten. Michelbach weiter: "Die Leidtragenden dieser verfehlten Minus-Zinspolitik sind nicht nur Sparer und die private Altersvorsorge. Ihre Folgen werden über kurz oder lang jeden Bürger über höhere Bankgebühren treffen.“
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Die Pressekonferenz in Frankfurt startet
Da das Paket doch einige Überraschungen parat hatte, wird sich Draghi auf viele Fragen einstellen müssen.
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Live-Übertragung
Wer Draghis Auftritt selbst verfolgen möchte, er wird auf der EZB-Webseite übertragen. Erreichbar hier.
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Neue Wortwahl
Draghi liest das Statement zur EZB-Entscheidung betont langsam vor. Der Grund: Die Notenbanker geben kein voraussichtliches Zieldatum mehr vor, wie lange die Zinsen auf dem Rekordtief bleiben.
Ab sofort heißt es nur noch: Die wesentlichen Zinsen bleiben am Boden bis die Inflationsrate sich "ausreichend" dem Zwei-Prozent-Ziel genähert hat. Das kann alles und nichts bedeuten und heißt eigentlich - auf unbestimmte Zeit.
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Der Wirtschaftsausblick war's
Draghi gibt den Grund für die gelockerte Geldpolitik. Die Konjunktur hat sich eingetrübt, die Risiken (Handelspolitik, Brexit sind wohl gemeint) bleiben hoch. Die Industrie hat das besonders zu spüren bekommen.
Der Trend zeigt klar abwärts: Das Eurozonen-Wachstum hat nur noch 0,2 Prozent im zweiten Quartal 2019 erreicht, nach 0,4 Prozent im ersten Jahresviertel.
Die Gesamtjahres-Prognosen der EZB haben sich folglich abermals verschlechtert. Erwartet werden jetzt nur noch ein BIP-Wachstum von 1,1 Prozent heuer, von 1,2 Prozent im nächsten Jahr und 1,4 Prozent in 2021.
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Der mantraartige Aufruf
Das hat man von Draghi jedes Mal gehört: Die Staaten müssen Strukturreformen liefern, um das Wachstumspotenzial zu steigern.
Sparen war gestern: Jetzt heißt es aber, dass die Fiskalpolitik auch ihren Beitrag leisten muss, um das Wachstum anzukurbeln. Dazu habe es völlige Übereinstimmung im EZB-Rat gegeben.
Bisher gebe es nur eine "leicht unterstützende" Fiskalpolitik der Staaten.
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Zeit zu handeln
Es habe im EZB-Rat zudem Übereinstimmung gegeben, dass jetzt gehandelt werden müsse, sagt Draghi. Sonst gebe es üblicherweise mehr Stimmen, die für Abwarten plädierten.
Okay, das war klar: Den Wertpapierankäufen haben NICHT alle im EZB-Rat zugestimmt, sie wurden aber mit Mehrheit beschlossen.
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Trump ist Thema
Eine Journalistin liest Draghi den jüngsten Tweet des US-Präsidenten vor. Dessen Tenor: Die EZB handelt, die US-Notenbank tut nichts für die USA. "Wir haben ein Mandat der Preisstabilität, dem wir folgen", sagt Draghi darauf. Die Wechselkurse des Euro seien für die EZB nicht von Interesse. -
Weitere Reaktionen aus Deutschland
Clemens Fuest, IFO-Präsident:
"Hauptverlierer der sinkenden Zinsen sind die Sparer, nicht die Banken. Angesichts der Verschlechterung der Konjunktur und der sinkenden Inflationserwartungen ist die Entscheidung der EZB sicherlich vertretbar. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Geldpolitik an Grenzen stößt und Wachstumsimpulse aus anderen Politikbereichen, vor allem wirtschaftspolitische Reformen und bessere Rahmenbedingungen für private und öffentliche Investitionen, kommen müssen.“
Jan Holthusen, DZ Bank:
„Die Überraschung ist nicht, dass die EZB die Anleihekäufe zum 1. November wieder aufnimmt. Die große Überraschung ist, dass sie ankündigt, diese fast so lange durchführen zu wollen, bis sie die Leitzinsen wieder erhöht. Da das eine ganze Weile dauern kann, ist dies ein klares Signal an die Märkte, dass die EZB bis auf weiteres sehr expansiv agieren will.“
Alexander Krüger, Bankhaus Lampe:
„Die Finanzmärkte rufen, und die EZB liefert. Sie hat die Dicke Bertha heute ausgemottet - das Maßnahmenpaket ist sehr umfangreich.
Damit stemmt sich die EZB auch gegen anhaltend schwache Wachstums- und Inflationsdaten. Überzeugen kann das Vorgehen der EZB nicht. Es taugt weder, die vom globalen Handelsstreit ausgehenden Konjunkturschäden zu mildern, noch die strukturbedingt niedrigen Inflationsraten zu steigern.
Die schädlichen Nebenwirkungen der Geldpolitik werden noch größer.“
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Draghi zu Helikopter-Geld
Jedem Bürger der Eurozone, der ein Konto besitzt, einfach ein paar Hundert Euro überweisen: Manche Ökonomen empfehlen eine solche Aktion, auch als "Helikoptergeld" bekannt (weil quasi das Füllhorn ausgeschüttet würde), bereits als mögliche EZB-Option, um den Konsum und damit die Inflation anzukurbeln. Was denkt Draghi darüber, wird er gefragt? Es habe bei dieser Sitzung keine Diskussion darüber gegeben, sagt der EZB-Chef. Allerdings erteilt er der unkonventionellen und drastischen Maßnahme keine explizite Absage. Es gelte dasselbe wie für alle "innovativen" Maßnahmen: Man müsse die Auswirkungen vorab genau analysieren. Ganz ähnlich hat sich dazu übrigens die designierte Nachfolgerin Christine Lagarde bei ihrer Anhörung im Europaparlament geäußert... -
Das Fazit
Mit der Zinssenkung erhöht die EZB den Druck auf Unternehmen, das Cash zu investieren. Denn Cash halten kostet nun noch mehr Geld. Doch damit sind die Möglichkeiten der EZB, die Konjunktur zu beleben, nahezu erschöpft. Um neuen Schwung in die wirtschaft zu bringen, braucht man jetzt die Politik. Sie muss Investitionen in Infrastruktur, bildung, Gesundheit attraktiv machen.
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