Wohl selten haben Häuslbauer und Wohnungskäufer so aufmerksam nach Frankfurt geblickt wie heute. Denn da wird die Europäische Zentralbank (EZB) unter Präsidentin Christine Lagarde entscheiden, ob die Kreditzinsen noch höher klettern oder ob der Zinsgipfel, wie man so schön sagt, erreicht ist.
Der Reihe nach. Die Prognosen der Analysten für den heutigen EZB-Gipfel klingen wie das Orakel von Delphi im alten Griechenland. Stellvertretend dafür steht Jumana Saleheen, Chefökonomin der US-Fondsfirma Vanguard. „Das wird eine knappe Entscheidung für die EZB, und es dürfte deutliche Meinungsverschiedenheiten geben.“
Welche Optionen die Europäische Zentralbank heute hat?
Wie steht es aktuell um die Konjunktur in Österreich?
Ist ein Wohnungskauf hierzulande nun schon so gut wie unfinanzierbar?
Wie sieht der aktuelle Trend auf dem Immo-Markt aus?
Höhere Zinsen gelten bekanntlich als Mittel gegen die Teuerung, da sie die Nachfrage dämpfen und damit zeitverzögert auch den Preisauftrieb. Zugleich können steigende Zinsen das Wirtschaftswachstum hemmen.
Wie hoch kann es noch gehen?
Selten jedenfalls waren die Experten kurz vor einem Zinsentscheid so uneins wie in dieser Woche. Und was sagen die Auguren so?
Wenn es zu einer Zinserhöhung kommt, dann um einen viertel Prozentpunkt (25 Basispunkte) – einen größeren Schritt erwartet praktisch niemand. Damit würde der Leitzins auf 4,50 Prozent und der in der Praxis wichtigere Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB auf 4,0 Prozent steigen.
Keine gute Vorzeichen für den September
Dafür spricht, dass die Inflation in der Euro-Zone immer noch weit von ihrem Ziel von zwei Prozent entfernt ist. Im August lag sie in der Euro-Zone bei 5,3 Prozent. Und zuletzt zogen die Energiepreise wieder an. Kein gutes Zeichen für die Teuerung im September.
Auch die Kerninflation, bei der die Preise für Lebensmittel und Energie ausgeklammert werden, ist zuletzt nur leicht von 5,5 Prozent auf 5,3 Prozent zurückgegangen.
Nicht undenkbar scheint für manche Analysten jedoch auch, dass die EZB nichts macht. Für diese Option spricht, dass Europa bereits in einer leichten Rezession steckt. Aber die zentrale Frage ist: Wie lange dauert es, bis die bisherigen Zinserhöhungen ihre volle Wirkung zeigen?
Das führt laut Analysten zur dritten Möglichkeit: Die EZB erhöht die Zinsen nicht, macht aber klar, dass es sich dabei nur um eine Pause handelt. Das hat der deutsche Bundesbank-Chef Joachim Nagel, im Handelsblatt angedeutet. Das globale Investmenthaus Goldman Sachs erwartet hingegen einen weiteren Zinsschritt. Der Rückgang der Inflation sei langfristig einfach wichtiger als der kurzfristige Schaden durch eine Rezession.
Apropos Rezession. Da ist Österreich nun unter Druck. Besonders bemerkbar macht sich das in der Industrie und im Bauwesen. Die Industrie verzeichnete laut WIFO im ersten Quartal ein Minus von 0,4 Prozent. Die Industrieunternehmen selbst schätzen die Lage laut WIFO-Konjunkturtest zunehmend negativ ein. Vor allem die schwächelnde Nachfrage wirke produktionshemmend.
Weiter zurückgegangen sind im ersten Quartal wegen der höheren Zinsen auch die Bauinvestitionen aufgrund gestiegener Baupreise. Verursacht wurde die Wachstumsschwäche laut WIFO vor allem vom Wohnbau, der gegenüber dem Vorjahr um 5,4 Prozent sank. Für 2023 rechne man daher weiter mit einer schwachen Baukonjunktur.
Im ersten Quartal sei zudem die Arbeitslosigkeit erstmals seit Jahresbeginn 2021 wieder in zwei Bundesländern (Steiermark und Salzburg) gestiegen, heißt es vom WIFO. Im darauffolgenden Quartal seien sogar alle Bundesländer mit Ausnahme von Niederösterreich von einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen betroffen gewesen.
Kosten für Wohnungsneukauf sind explodiert
Und was heißt das jetzt alles für Immo-Käufer? Nun: Wer einen Kredit laufen hat und durch die Rezession seinen Arbeitsplatz verliert, hat ein Problem. Aber auch für Otto-Normalverbraucher mit einem gut dotierten Job steigt der Stresspegel.
Die relativen Kosten für einen Wohnungsneukauf in Österreich sind seit dem Vorjahr regelrecht explodiert. Beispiel: Musste ein durchschnittlicher Doppelverdiener-Haushalt zur Tilgung eines Kredits für eine 90-m²-Neubauwohnung in Wien jahrzehntelang um die 40 Prozent des Monatseinkommens aufwenden, sind es jetzt fast 70 Prozent. Das zeigt eine aktuelle Analyse vom Tarifvergleichsportal durchblicker. Selbst in der oberen Einkommenshälfte wären es im Mittel bereits 53 Prozent des Monatseinkommens.
Minus von 70 Prozent
In Österreich gibt es dazu ein besonderes Problem: Weil die neuen strengen Kreditvergaberichtlinien aktuell maximal eine Schuldentilgungsquote von 40 Prozent zulassen, erhält damit derzeit in Österreich fast niemand mehr einen neuen Wohnungskredit, so die Experten bei Durchblicker. Reinhard Karl, Generaldirektor-Stellvertreter der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, beziffert den Rückgang des Kreditvergabevolumens bei österreichischen Banken zwischen April 2022 bis April 2023 mit 70 Prozent.
Wer einen variablen Kredit laufen hat und sich die Wette auf baldige sinkende Zinsen nicht mehr allzu lange leisten kann, sollte deshalb jetzt noch rechtzeitig auf einen Fixzinskredit umsteigen, raten Experten. Das Verhältnis zwischen Krediten zu variablen Zinsen und Fix-Zins-Krediten liegt in etwa 50 zu 50.
Aktuell liegen die günstigsten Konditionen laut durchblicker für einen Fixzinskredit mit zehn Jahren Laufzeit bei 3,600 Prozent, für 15 Jahre bei 3,750 Prozent, für 20 Jahre bei 3,700 Prozent und für 25 Jahre bei 3,750 Prozent. Für variabel verzinste Kredite werden derzeit bereits höhere Zinsen verrechnet.
„Fixzinskredite kosten aktuell also weniger als der variable Kredit. Das bedeutet für die betroffenen Haushalte eine unmittelbare Entlastung. Vor allem, wenn es sich um die eigene Wohnung handelt, sollte man jetzt kein Risiko mehr eingehen. Wenn die Zinsen im zweiten Halbjahr noch stärker steigen, könnte für viele ein Umstieg auf einen Fixzinskredit immer schwieriger werden. Im schlimmsten Fall droht dann der Verlust des Eigenheims“, sagt Andreas Ederer, Immo-Analyst bei durchblicker. Zahlreiche Experten gehen davon aus, dass die variable Verzinsung von Immobilienkrediten bis Jahresende an der Fünf-Prozent-Marke kratzen wird.
Freilich, wer Geld hat, für den sind das alles nicht nur schlechte Nachrichten. Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser haben bereits 2022 preislich nachgegeben. „Die nominellen Wohnungskaufpreise werden 2023 um fünf Prozent sinken“, sagt Gunter Deuber, Chefanalyst von Raiffeisen Research und bezieht sich damit auf Bestandsimmobilien. Er rechnet mit einer Fortsetzung der schwachen Preisdynamik für die nächsten beiden Jahre.
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