Erschöpft vom chinesischen Turbo-Kapitalismus
Erneut schlechte Nachrichten aus dem Reich der Mitte: Am Montag wurde bekannt, dass die Börse in Schanghai die Zulassung des Saatgut- und Düngemittelspezialisten Syngenta gestoppt hat. Der Börsengang des in der Schweiz gegründeten Unternehmens, das 2015 von ChemChina übernommen wurde, hätte zehn Milliarden Dollar bringen sollen.
Die Börse Schanghai begründete den Schritt damit, dass das Unternehmen einen veralteten Finanzbericht beigelegt hätte. Syngenta ist damit nicht alleine: Insgesamt 57 Unternehmen wurden mit derselben Begründung nicht zugelassen. Die aktuellen Daten können nachgereicht werden.
Erst vergangene Woche hat der weltgrößte PC-Hersteller Lenovo seinen Antrag auf Notierung in Schanghai zurückgezogen und das mit den Bedingungen im Kapitalmarkt begründet. Was genau den Schritt motiviert hat, ist nicht bekannt.
Tech-Sektor
Der Börsengang von Lenovo hätte der größte einer chinesischen Firma seit dem der Ant Group im November 2020 sein sollen. Dieser wurde ebenso unterbunden, wie der des Fahrdienstvermittlers Didi. Die chinesische Regierung hat im vergangenen Jahr einige Schritte gesetzt, um ihre Vormachtstellung gegenüber der wachsenden Macht der Konzerne wieder herzustellen.
Insbesondere einflussreiche Tech-Unternehmen geraten dabei immer wieder ins Visier der Behörden. Im Namen von Wettbewerb, Jugend- und Datenschutz setzte es stärkere Vorgaben für den Online-Marktplatz Alibaba, seine Finanzdienstleistungstochter Ant Group und das Softwareunternehmen Tencent.
Stark betroffen war der Krypto-Sektor. Nachdem im Sommer Serverfarmen zur Herstellung von Krypto-Assets geschlossen wurden, erklärte die chinesische Zentralbank im September sämtliche Geschäfte mit Kryptowährungen für illegal. Die Regierung strebt die Einführung einer digitalen Währung unter staatlicher Kontrolle an.
Die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hatte die Corona-Pandemie als erstes Land für überwunden erklärt. Im vergangenen Jahr verzeichnete China trotz Corona-Pandemie ein BIP-Wachstum von 2,3 Prozent. Heuer hat die Wirtschaft aber mit einer multiplen Krise zu kämpfen – von Immobilien bis Energieknappheit.
Produktionen pausieren wegen Energieknappheit
Die derzeit weltweit hohen Energiepreise treffen China hart. Das Land hat nicht nur 1,4 Milliarden Einwohner, sondern auch enorme industrielle Kapazitäten und ist der größte Energieverbraucher der Welt.
In mehreren Provinzen kommt es bereits zu Stromausfällen, energieintensive Industrien mussten die Produktion anhalten. Trotz Rekordzuwächsen bei erneuerbaren Energien ist China stark von Kohle abhängig. Etwa die Hälfte des Stroms in dem Land wird daraus gewonnen. Da die Strompreise staatlich festgelegt sind, schreiben derzeit viele Kraftwerksbetreiber Verluste, so Yan Qin vom Beratungsunternehmen Refinitiv.
Entgegen Plänen zur CO2-Reduktion hat der Staat mehrere Regionen aufgefordert, die Förderkapazitäten zu erhöhen, um die Versorgung im Winter aufrecht zu erhalten. Das ist auch eine soziale Frage, denn viele Haushalte heizen mit Kohle. Banken wurden angehalten, Energieunternehmen die notwendigen Kredite zu geben. Sogar das Importverbot für Kohle aus Australien gilt nicht mehr.
Flächenbrand in Chinas Immobilien-Branche
Die Krise des wankenden chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande zieht im Reich der Mitte immer weitere Kreise. Der ebenfalls strauchelnde chinesische Immobilien-Entwickler Fantasia schränkte den Handel in Schanghai mit seinen Anleihen nach einer Bonitätsherabstufung ein. Zudem teilte der kleinere Immobilien-Entwickler Modern Land mit, er wolle bei Investoren um die Verschiebung eines Rückzahlungsdatums für ausstehende Anleiheschulden ansuchen.
Die Schritte der beiden Unternehmen verdeutlichen, welche Welle die Evergrande-Krise inzwischen in der chinesischen Immobilienbranche schlägt. Evergrande hat Schulden von mehr als 300 Milliarden Dollar, davon werden in Kürze fast 150 Millionen an Auslandsverschuldungen fällig. Geldgeber bereiten sich auf unmittelbar bevorstehende Zahlungsausfälle vor.
Für viele nicht staatliche chinesische Immobilienentwickler geht es darum, die nächsten drei Monate zu überleben. Sie auf ihren Rückzahlungsplan in sechs bis zwölf Monaten anzusprechen ist eine Frage, die sie nicht beantworten können, meinen chinesische Immobilienanalysten. Die Lage sei ein Teufelskreis für Immobilienentwickler, weil es nicht für alle genügend Liquidität auf dem Markt gebe.
Bröckelnde Fronten im Handelskrieg
Der anhaltende Handelskrieg mit den USA bereitet China immer noch Sorgen, auch wenn sich langsam eine Annäherung abzeichnet. Aus US-Sicht erfüllt China die Vereinbarung 2020 noch nicht ausreichend. Damals hatten beide Seiten einen Waffenstillstand geschlossen, mit dem neue Strafzölle verhindert wurden. Ein Kernpunkt war das Versprechen Chinas, bis Ende 2021 für 200 Milliarden US-Dollar mehr Waren aus den USA zu kaufen.
Nach längerer Pause haben die Unterhändler der USA und Chinas ihre Gespräche zur Lösung des Handelskriegs wieder aufgenommen. Nach der Vorlage der neuen US-Handelsstrategie sprachen die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai und Chinas Vizepremier Liu He über ihre Differenzen.
Beide Seiten hätten ihre wichtigsten Anliegen vorgetragen und seien überein gekommen, gegenseitige „legitime Sorgen“ in Konsultationen zu bewältigen. Vizepremier Liu habe Tai zur Aufhebung von Zöllen und Sanktionen aufgefordert. Nun soll über „offene Fragen“ beraten werden.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels stand im ersten Absatz, dass die Börse Schanghai die Zulassung von Syngenta "abgelehnt" hat. Diese Formulierung ist missverständlich und wurde korrigiert.
Kommentare