Immo-Tycoon Xu Jiayin: Der Mann, der die Börsen in Atem hält
Spät, sehr spät, meldete sich der „Große Xu“ am Dienstag erstmals zu Wort – um Zuversicht zu verbreiten: Evergrande werde „seine dunkelste Stunde“ hinter sich lassen, schrieb Xu Jiayin, auf kantonesisch auch Hui Ka Yan genannt, in einem Brief an die Mitarbeiter.
Der Firmengründer, Mehrheitseigentümer und nunmehrige Verwaltungsratschef versprach salbungsvoll, sein schwer in Schieflage geratenes Unternehmen werde Immobilienprojekte wie versprochen beenden und Verantwortlichkeiten gegenüber Käufern, Investoren und Banken erfüllen.
Parteigänger
Während in Peking hektische Gespräche über die Rettung des taumelnden Immokonzerns laufen, fragt sich inzwischen ganz China: Wie lange hält sich der Immo-Tycoon überhaupt noch an der Macht? Der 62-jährige Selfmade-Milliardär gilt eigentlich als loyaler Parteigänger der Kommunistischen Partei (KP), der trotz seines enormen Reichtums nicht auf die armen Leute vergessen hat.
„Evergrande verdankt alles der Partei, dem Staat und der Gesellschaft“, sagte er noch vor drei Jahren auf den Nationalkongress der KP und verwies dabei auf seine eigene Vita. Diese liest sich wie der klassische amerikanische Traum vom Tellerwäscher zum Multi-Milliardär. Nur eben mit Hilfe der Partei.
Kindheit am Land
1958 in einem kleinen Dorf in der Provinz Henan geboren, wuchs Xu in ärmlichen ländlichen Verhältnissen bei seiner Oma auf. Die Mutter starb früh, der Vater kämpfte als glühender Revolutionär in der Armee. „Ich habe während der Schulzeit nur Süßkartoffeln und gedünstetes Brot gegessen“, erzählte Xu selbst. Wie viele seiner Landsleute zog das Landkind mit Ende der Kulturrevolution 1976 in die Stadt, „um besseres Essen zu bekommen“ und einen Job zu finden. Weil dieser ausblieb, studierte er Metallurgie an der Technischen Hochschule in Wuhan, wo er nach dem Abschluss bei einem staatlichen Stahlkonzern anheuerte und sich dort bis zum Direktor hochdiente.
Anfang der 1990er-Jahre zog er in die aufstrebende Sonderwirtschaftszone Shenzhen und stieg ins damals boomende Immobiliengeschäft ein. 1996 gründete er in Guangzhou, der Hauptstadt der Provinz Guandong, den Immobilienentwickler China Evergrande. Durch die rasante Urbanisierung – Stichwort Geisterstädte – legte Evergrande ein auf Pump finanziertes Turbowachstum hin und ging 2009 an die Börse in Hongkong. Das Unternehmen wuchs durch Zukäufe und zahlreiche Beteiligungen, etwa am Fußballclub Guangzhou FC oder sogar an Schweinefarmen, zum undurchsichtigen Konglomerat heran.
Reichster Chinese
Xu selbst, der immer noch die Mehrheit an Evergrande hält und im Verwaltungsrat die Strategie vorgibt, stieg binnen weniger Jahre zum Multi-Milliardär auf. 2017 löste er mit einem vom Hurun-Report auf 43 Milliarden Dollar geschätzten Privatvermögen den wesentlich bekannteren Alibaba-Chef Jack Ma als reichster Chinese ab. Danach ging es bergab. Immobilienkrise und staatliche Regulierung ließen sein Vermögen schrumpfen. Nach dem jüngsten Kurssturz ist Xu „nur noch“ rund 10 Milliarden Dollar schwer.
Um bei der Partei nicht in Ungnade zu fallen, zeigt der Immo-Tycoon seine Dankbarkeit auch mit großzügigen Spenden. Seit 2012 führte er fünfmal die Liste von Chinas Großspendern an. Über das Privatleben ist wenig bekannt. Seine Ehefrau Ding Yumei soll aus einer sehr einflussreichen kommunistischen Familie stammen, ihr Vater konnte dem Schwiegersohn so manch holprigen Weg ebnen.
Seiltänzer
„Xu ist ein ziemlich guter Seiltänzer“, zitiert Bloomberg den Gründer des chinesischen Hurun Report, Rupert Hoogewerf. Es sei ihm bisher stets gelungen, die richtige Balance zwischen Schulden und Wachstum zu finden. Angesichts der drohenden Pleite seines Lebenswerkes und der möglichen Folgen für Chinas Wirtschaft könnte ihm das Tanzen rasch vergehen.
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