Die Angst vor einem Krieg zwischen China und den USA wächst

Eine Gruppe chinesischer Soldaten marschiert und schreit mit Gewehren.
Peking droht offen mit der Eroberung der von den USA beschützten Insel Taiwan. Warum die für China so wichtig ist, dass man notfalls einen Krieg der Supermächte riskieren würde.

Raketen, Marschflugkörper, Drohnen – die chinesische Volksbefreiungsarmee zieht alle Register. Sie bombardiert Luftabwehrstellungen, Kommandantenposten und andere wichtige Infrastruktur auf Taiwan. Im selben Moment errichten Luftwaffe und Marine Sperrzonen rund um die Insel, um eine US-Intervention zu verhindern. Bodentruppen landen auf den taiwanesischen Inseln Kinmen, Matsu und Penghu, bringen sie unter Kontrolle und bereiten die Großinvasion auf die Hauptinsel vor.

So – zu diesem Schluss kommt zumindest das US-amerikanische Mitchell Institut für Luft- und Raumfahrtforschung – könnte ein Angriff Chinas auf Taiwan aussehen. In den Vereinigten Staaten, die auf dem Inselstaat vor der chinesischen Küste eine Militärbasis betreiben, werden regelmäßig Simulationen durchgeführt, um zu ermitteln, ob man einen chinesischen Angriff abwehren könnte. Immer öfter geht China inzwischen als virtueller Sieger hervor.

Ständige Bedrohung

Was über Jahrzehnte aufgrund der militärischen Überlegenheit der USA ein reines Gedankenspiel war, wird in den kommenden Jahren immer wahrscheinlicher. Die Volksrepublik ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch deutlich mächtiger geworden – und provoziert den kleinen Nachbarn immer häufiger.

2019 sind etwa nur zehn chinesische Flugzeuge in den taiwanesischen Luftraum eingedrungen, im vergangenen Jahr waren es dann bereits 380, in diesem sind es mehr als 600. Alleine 150 davon flogen in der vergangenen Woche über die Insel – ein noch nie da gewesenes Ausmaß.

Xi Jinping schüttelt einer Menschenmenge in Marineuniformen die Hände.

Staatspräsident Xi Jinping begrüßt die Besatzung der Shandong, des ersten in China gebauten Flugzeugträgers. Die Militärtechnologie der Volksrepublik entwickelt sich rasant - die Fortschritte werden regelmäßig öffentlichkeitswirksam präsentiert.

Es ist offensichtlich, dass Peking mit seinen Aktionen die Reaktionsfähigkeit der taiwanesischen Luftabwehr testen will. Vor allem aber soll das 24-Millionen-Einwohner-Land vom riesigen Nachbarn eingeschüchtert werden. Den 165.000 aktiven Soldaten Taiwans stehen fast 2,2 Millionen chinesische Soldaten gegenüber, auch in allen anderen militärischen Bereichen ist China Taiwan absolut überlegen.

Auch wenn eine Invasion einer derart großen, gebirgigen Insel eine militärische Mammutaufgabe ist, ohne die Schutzmacht USA wäre die taiwanesische Hauptstadt Taipeh vermutlich schon längst von der Volksbefreiungsarmee besetzt.

Blick auf Taipeh mit dem markanten Taipei 101 Wolkenkratzer.

Taiwans Hauptstadt Taipeh ist eine florierende Wirtschaftsmetropole. Der Wolkenkratzer Taipeh 101, einst das höchste Gebäude der Welt, überragt das Zentrum.

Xis Vermächtnis

In Peking macht man daraus auch keinen Hehl. China sieht Taiwan offiziell als seine 23. Provinz an, die lediglich von Unterdrückern besetzt sei. So wird es auch in chinesischen Schulbüchern gelehrt.

Hinter dem großen Verlangen danach, sich Taiwan einzuverleiben, steckt aber deutlich mehr als reiner Nationalstolz. Vielmehr wird die Kontrolle über die Insel in Peking als absolut notwendig gesehen, um endgültig zu einer Weltmacht aufzusteigen.

Die Volksrepublik ist seit dem Zerfall der Sowjetunion infolge eines enormen Bevölkerungswachstums (1,4 Mrd. Einwohner) und Wirtschaftsbooms (zweitgrößtes BIP weltweit) zur stärksten Kraft auf dem asiatischen Kontinent geworden. Das große Ziel in Peking ist es aber, die Vorherrschaft der USA in der gesamten Pazifikregion einzuschränken und somit langfristig als mächtigste Nation der Welt abzulösen.

Eine Karte, die die Militärpräsenz im Spannungsfeld des südchinesischen Meeres zeigt.

Das große Problem dabei: Der direkte Zugang zum Pazifik ist eingeschränkt. Neben mehreren japanischen Inseln wie Okinawa wird der Seeweg eben durch Taiwan versperrt. Die Eroberung der Insel ist somit aus Sicht der chinesischen Strategen der wichtigste Schritt auf dem Weg zur globalen Seemacht.

Nachdem Chinas Präsident Xi Jinping seine eigene Amtszeit infolge einer Verfassungsänderung 2018 auf Lebenszeit ausgeweitet hat, scheint er sich etlichen Experten zufolge das Ziel gesetzt zu haben, die Eroberung Taiwans noch zu erleben und somit als einer der bedeutendsten chinesischen Führer in die Geschichte einzugehen.

Xi Jinping, der chinesische Staatspräsident, bei einer Veranstaltung.

Xi ist der sechste "oberste Führer" der Volksrepublik China. Seit Mao vereinte aber wohl keiner mehr so viel Macht auf sich wie der 67-Jährige. Die Eroberung Taiwans soll sein Vermächtnis werden.

US-Fokus auf Taiwan

Philip Davidson, der Leiter des US-Einsatzes in Taiwan, prognostizierte im März vor dem US-Senat einen Angriff der Chinesen "innerhalb der nächsten sechs Jahre".

Dass die USA nach ihrem Afghanistan-Debakel geschwächt dastehen, spielt China auf den ersten Blick in die Karten. Allerdings liegt der Fokus Washingtons inzwischen klar auf dem Südchinesischen Meer.

Mitte September hoben die USA deshalb gemeinsam mit ihren Verbündeten Großbritannien und Australien "AUKUS" aus der Taufe: Ein Sicherheitsbündnis für den Pazifikraum, das Chinas aggressivem Auftreten in der Region etwas entgegensetzen soll. Zudem wurde erst am Donnerstag bekannt, dass US-Spezialkräfte seit mehr als einem Jahr taiwanesische Truppen ausbilden.

Trotzdem: Die beiden Atommächte werden eine offene militärische Auseinandersetzung stets als letzte Option wählen. Zu groß wäre das Risiko eines globalen Flächenbrands. So lange es möglich ist, versuchen es beide Seiten weiter mit Diplomatie – und Muskelspielen.

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