Der russische Angriffskrieg hat europaweit eine Energiekrise ausgelöst. Viele Konsumentinnen und Konsumenten fragen sich, wie es weitergeht. Der KURIER hat drei Energie-ExpertInnen zu einem Austausch am Round Table geladen.
Während bei manchen Themen Einigkeit herrschte, gab es bei anderen eine lebhafte Diskussion. So geht etwa AK-Ökonomin Sandra Matzinger von weiteren Preissteigerungen aus, während sich Branchenvertreterin Barbara Schmidt dazu nicht festlegen wollte – und Wolfgang Urbantschitsch von der Regulierungsbehörde E-Control verwies gar darauf, dass die Preise mancherorts sogar gesunken sind.
Macht der Staat genug, um Haushalten zu helfen?
Matzinger: Wir sehen jetzt schon, dass die Energiearmut ansteigt. Einkommensschwache Haushalte haben schon vor der Krise etwa neun Prozent ihres Einkommens für Energie ausgegeben, energiearme etwa 20 Prozent. Bei den Preissteigerungen ist davon auszugehen, dass sich dieser Kostenfaktor noch erhöhen wird. Die Statistiken hinken klassischerweise gut zwei Jahre hinterher, also sehen wir die Auswirkungen noch nicht in den Zahlen. Aus unserer Sicht wird es jedenfalls noch mehr Maßnahmen brauchen. Insbesondere das Thema Heizen ist es für einkommensschwache Haushalte zentral. Die Strompreisbremse ist ein guter erster Schritt. Was wir sehr kritisch sehen, sind Einmalzahlungen, weil die nicht nachhaltig wirken.
Urbantschitsch: Die erste Preissteigerung Ende vergangenen Jahres ist mit den staatlichen Unterstützungen durchaus abgefangen worden. Inzwischen gab es eine zweite Welle der Preiserhöhungen und auch der Unterstützungen. Nur haben viele wahrscheinlich den Überblick verloren. Zur besseren Transparenz und auch zur Umsetzung bräuchten wir eine zentrale Stelle, die konkret weiß, welche Personengruppen Unterstützungsbedarf haben und die Politik kann dann gezielte Maßnahmen treffen.
Schmidt: Dem kann ich mich nur anschließen. Beim Energiekostenausgleich ist versucht worden, die Abwicklung den Energieunternehmen zu übertragen. Wir haben davor gewarnt, weil wir diese Daten nicht haben. Dafür braucht es eine Vielzahl von Schnittstellen, auch mit dem Bundesrechenzentrum. Diese Komplexität hat zu Fehlern und breiter Kritik geführt. Bei der Strompreisbremse kommt die Kritik jetzt genau aus der anderen Richtung: Damit die Förderung schnell abgewickelt werden kann, werden alle über einen Kamm geschoren.
Wurde der Öko-Stromausbau verschlafen?
Schmidt: Wir müssen viel schneller viel mehr errichten, das ist keine Frage. Aber der Ausbau muss gleichzeitig und koordiniert passieren. Es hat keinen Sinn, Wind oder Fotovoltaik auszubauen und dann haben wir die Netze nicht.
Matzinger: Wenn wir über den Ausbau von Erneuerbaren reden, müssen wir auch über Energieeffizienz reden. Es ist klar, dass wir den Energieverbrauch, den wir in Österreich jetzt haben, so nicht vollständig decken werden können. Das betrifft nicht nur die Haushalte, sondern auch die Industrie. Wir brauchen ein Energieeffizienzgesetz, in dem steht, wie viel bis wann eingespart werden muss und wie der Weg dorthin ausschaut.
Urbantschitsch: Ich frage mich aber, ob alles auch gefördert werden muss. Bei der Fotovoltaik braucht man zum Beispiel an sich keine Förderung mehr. Die rentiert sich schneller als früher.
Staatliche Schutzschirme für Versorger?
Matzinger: Aus unserer Sicht braucht’s schon Schutzschirme, etwa in der Form staatlicher Kreditgarantien.
Schmidt: Ich würde nicht das Wort Schutzschirm benutzen, aber wir brauchen ein Gesetz, um uns auf den Fall vorzubereiten, dass wieder etwas passiert. Also etwa eine Liquiditätsvorsorge, die über die der Unternehmen hinausgeht, so wie es in Deutschland zum Beispiel staatliche Garantien für Kreditlinien gibt.
Urbantschitsch: Wir haben aus Anlass der Wien Energie die Unternehmen gefragt, wie es um ihre Liquidität steht. Die Rückmeldung war, sie kommen damit aus. Aber einige haben sich auch dafür ausgesprochen, dass es eine Lösung geben soll. Wir haben Verständnis dafür, weil das wichtigste ist, dass die Unternehmen weiter handeln können. Wenn sie sich von der Börse zurückziehen müssen, hat das negative Auswirkungen.
Ist die Gefahr eines Blackouts gestiegen?
Urbantschitsch: Wir monitoren die Versorgungssicherheit und in Österreich zählt sie zu den allerbesten in Europa. Ein Blackout ist ein anhaltender flächendeckender Ausfall. Und all das, was wir auch in den vergangenen Jahren bei uns gesehen haben, das sind lokale Ausfälle, wie es sie immer geben wird. Es gibt gegenüber den Vorjahren allerdings schon eine verschärfte Situation. Wir haben die Unsicherheit bei der Gasversorgung. Es kann jederzeit sein, dass die Gaslieferungen über die Ukraine unterbrochen werden. Europäisch gesehen, haben wir weiters eine extrem niedrige Wasserführung, es gibt Ausfälle von Kraftwerken in Frankreich und den deutschen Atomkraftausstieg. In Summe bewirkt das, dass die Situation angespannter ist als in den vergangenen Jahren.
Schmidt: Ich weiß nicht, ob wir das zusammen mit dem Thema Blackout diskutieren sollten. Wir sind angehalten, mit dem wertvollen Gut Energie sorgsam umzugehen. Mit einem Blackout, wo zwei Komponenten irgendwo in Europa ausfallen und eine Kaskade auslösen, hat das aber nichts zu tun.
Matzinger: In der Arbeiterkammer bemerken wir, dass das Thema Blackout viele Leute wahnsinnig verunsichert. Das größte Problem, das wir derzeit haben, ist, dass teilweise leider wenig kommuniziert wird
Halten Sie die Eingriffe in den Energiemarkt für angebracht?
Urbantschitsch: Der wettbewerbsorientierte Energiemarkt hat für die Kundinnen und Kunden viele Vorteile gebracht. Das kann man nach 20 Jahren Liberalisierung feststellen. Was sich aber jetzt gezeigt hat, ist, dass dieses Marktmodell nicht krisenfest ist. So ehrlich muss man sein. Und deswegen ist auch jetzt die Zeit für temporäre staatliche Eingriffe. Dass ein Krieg ausbricht und der weitaus größte Gaslieferant einfach sukzessive seine Lieferungen reduziert, hätte niemand erwartet. Wir müssen rasch den Gaspreis und den Strompreis voneinander entkoppeln.
Matzinger: Auch aus unserer Sicht ist darum die Trennung von Strom- und Gasmarkt ganz zentral. Nur so haben wir die Möglichkeit, die Preise im Strombereich wieder besser in den Griff zu bekommen.
Schmidt: Wir glauben, dass man temporär in den europäischen Markt eingreifen muss. Manche haben das schon früher gefordert. Wir waren lange der Meinung, dass der Markt funktioniert. Steigende Preise haben auch eine wichtige Signalfunktion. Sie zeigen, dass es von einem Gut zu wenig gibt, und machen es attraktiv, mehr davon zu produzieren. Aber mittlerweile hat der Preisdruck Dimensionen angenommen, die nicht mehr leistbar sind und auch die Staatshaushalte stark fordern, wenn Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden.
Wieso brauchen wir neue Stromnetze?
Urbantschitsch: Die Netze sind ursprünglich dafür gebaut worden, dass mit großen Kraftwerken Strom erzeugt wurde, der – quasi in einer Einbahnstraße – zu den Kunden gebracht wurde. Nun haben wir viele dezentrale Erzeugungsanlagen. Also brauchen wir eine Transformation der Netze.
Schmidt: Das geht nicht auf Knopfdruck. Die letzten Jahre gab es zu wenig Akzeptanz für Energiewende-Projekte, das hat sich jetzt umgekehrt. Durch den Krieg merken die Menschen, dass wir unabhängiger werden müssen. Aber trotzdem können Netze nicht auf Vorrat gebaut werden. Die Netze sind nicht darauf ausgerichtet, dass auch im letzten Dorf auch noch Freiflächen-PV-Anlagen angeschlossen werden – und an vielen Orten funktioniert es ja.
Matzinger: Die letzten Monate waren ein echter Gamechanger in diesem Bereich und damit hat so keiner gerechnet.
Ist es ratsam, den Anbieter zu wechseln?
Schmidt: Man sollte jetzt keinen neuen Lieferanten suchen. Dass die neuen Tarife höher sind, liegt auch daran, dass die Versorger nur für die Bestandskunden beschafft haben.
Matzinger: Wir verweisen an dieser Stelle immer auf den Tarifkalkulator der E-Control. Da kann man als Konsumentin oder Konsument die Angebote vergleichen und schauen, ob es vielleicht einen günstigeren Tarif gibt. Das ist zwar leider häufig nicht der Fall, aber nichtsdestotrotz kann man sich dort einen Überblick verschaffen.
Urbantschitsch: Es kommt auf das Angebot an, das etwa bei einer Änderungskündigung mitgeschickt wird. Es ist schon so, dass manche die Preisänderungen dazu verwenden, die Kundinnen und Kunden loszuwerden. Es kann das neue Angebot einen Mondpreis enthalten. Und deswegen ist unser Rat, am besten im Tarifkalkulator die Preise zu vergleichen.
Sollen Zufallsgewinne abgeschöpft werden?
Schmidt: Dieser Zugang ist nicht inflationsdämpfend und hilft daher weniger, weil wir damit die Preise nicht runter bekommen. Es hilft der Industrie nicht, es hilft dem Gewerbe nicht. Es gibt vielleicht mehr Spielraum für Nationalstaaten, Geld zu verteilen – aber das Grundproblem bleibt. Wichtig wäre eine Lösung, die am Ende auch die Preise runterbringt.
Urbantschitsch: Ja, wir müssen den Preis runterbringen. Die Industrie leidet extrem darunter und das hat auch einen sozialen Effekt. Wenn die Arbeitsplätze verloren gehen, dann haben wir das nächste riesengroße Thema. Was ich gut finde, ist, dass es dafür eine europäische Lösung gibt. Denn alles andere ist natürlich immer eine Frage des Wirtschaftsstandorts.
Matzinger: Zentral ist, dass die Maßnahmen auch Auswirkungen auf die Inflation haben müssen. Die Wirtschaftsprognosen für 2023 schauen nicht rosig aus. Und es wird dringend notwendig, nicht nur für den Wirtschaftsstandort Österreich, sondern für ganz Europa, dass man jetzt endlich beginnt, hier tatsächlich einzugreifen. Wir sehen, dass wir momentan mit einer massiven Umverteilung von den Strom-Endkunden hin zu den Erzeugern konfrontiert sind. Das passiert einfach bei diesen hohen Preisen und da gibt es auch Unternehmen, die massive Krisengewinne einfahren. Es wird einen Beitrag von den Krisenprofiteuren brauchen. Es kann nicht immer nur der Staat alles abfangen.
Schmidt: Ich würde bitten, hier nicht von großen Profiteuren zu sprechen. Da wird investiert, es werden Rabattaktionen für Kunden gemacht und es werden Dividenden ausgeschüttet. Die größten Unternehmen gehören in Österreich der öffentlichen Hand, die Dividenden kommen also zu einem großen Teil dem Staat zugute.
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