Der Ruhestand kann warten: Das Comeback der Pensionisten
Raus und aus. Das war einmal. Zwischen gesetzlichem Pensionsantrittsalter und Greisenalter vergehen heute im Schnitt 20 Jahre. Das sind um fast zehn Jahre mehr als noch vor 1970. Zeit, die von immer mehr Seniorinnen und Senioren aktiv genutzt wird. Laut Umfragen wollen zwei Drittel aller Erwerbstätigen nach der Pensionierung in irgendeiner Form weiterarbeiten. Jeder dritte Senior übt eine ehrenamtliche Tätigkeit aus, viele betreuen Angehörige zu Hause – und immer mehr gehen einer geregelten Erwerbsarbeit nach.
Wie aktuelle (Juli)-Daten des Arbeitsministeriums zeigen, sind mehr als 307.000 Österreicherinnen und Österreicher über 60 Jahre angestellt, selbstständig oder geringfügig beschäftigt (siehe Grafik). Davon sind 85.000 über 65 Jahre und immerhin 13.500 haben sogar schon das 75. Lebensjahr überschritten.
Die Gruppe der Ü65 ist die mit Abstand am stärksten wachsende Beschäftigungsgruppe, während weiter unten in der Alterspyramide die Beschäftigung stetig sinkt. Um die akute Personalnot zu lindern, beginnen Betriebe, ihre Pensionisten wieder zu reaktivieren, was aber häufig scheitert, wenn Ältere zuvor nicht wertgeschätzt wurden.
Durch die Angleichung des Frauenpensionsalters von 60 auf 65, die schrittweise bis 2033 erfolgt, wird die Erwerbstätigkeit in den nächsten Jahren stark ansteigen. Zugleich werden aber auch 750.000 „Babyboomer“ in Pension gehen, womit sich die Fachkräftelücke weiter vergrößern wird.
Der KURIER besuchte drei Pensionisten, die es beruflich noch einmal neu angehen.
Beispiel 1: Martin Wochesländer (64), Radtechniker
Dass er sich in der Pension nicht zurücklehnen würde, war Martin Wochesländer schon lange klar. Auch wenn, wie er sagt, die letzten zwanzig Jahre, die er bei IBM im Vertrieb verbrachte, „Vollgas waren“. Das hielt ihn aber schon währenddessen nicht davon ab, seiner Passion reichlich Zeit zu widmen: alten Rennrädern. „Jetzt würde man wohl Vintage dazu sagen“, meint er.
Als begeisterter Radfahrer und -sammler absolvierte er Jahre vor der Pension eine Ausbildung zum Fahrradtechniker – schließlich müssen gerade alte Räder oft repariert werden. Schon damals arbeitete er nach der Arbeit hin und wieder in einem Geschäft mit, um Praxis zu bekommen.
Und nun, wo das Arbeitsleben eigentlich hinter ihm liegen würde, hat er sein Hobby ganz zum Beruf gemacht – zumindest an ein bis zwei Tagen die Woche. An denen steht er von 10 bis 20 Uhr im Fahrradgeschäft mit integrierter Werkstatt eines Freundes und repariert Räder. „Für mich ist das keine Anstrengung“, sagt er. „Es bedeutet für mich Lebensqualität.“ Im Umfeld versteht jeder se inen Zugang. „Wir haben ein Haus am Land, dort ist es ganz normal, dass viele in der Pension nebenbei noch etwas machen.“
Auch in der Werkstatt ist er damit nicht allein. Hier arbeitet noch ein zweiter Pensionist, „der es nur daheim auch nicht aushält“. Dieser bringt als pensionierter Fahrradmechaniker besonders viel Know-how mit. Ein wichtiger Punkt für Wochesländer: „Es gibt so viel Wissen, das oft einfach verloren geht, wenn Menschen das Arbeitsleben verlassen.“
Einen Plan für seinen Weg als Fahrradmechaniker hat er jedenfalls: So lange weiterarbeiten, wie es Spaß macht. Und das kann noch lange dauern.
Beispiel 2: Hannelore Neuberger (61) Jobsuchende
„Wie ein verlängerter Urlaub“, so beschreibt Hannelore Neuberger die ersten Monate in der Pension. Nach über 40 Jahren im Beruf, an die sie gerne noch ein, zwei angehängt hätte, trat sie im November 2021 den Ruhestand an. Die ehemalige Bankangestellte nutzt die gewonnene Zeit für neue Hobbys, fährt in den Urlaub, kümmerte sich um ihre pflegebedürftige Mutter, die im März dieses Jahres im Alter von 100 Jahren friedlich eingeschlafen ist. Für Neuberger ein Wendepunkt: „Damals bin ich fast ein wenig in eine Krise gefallen“, erinnert sie sich. „Plötzlich musste ich nicht mehr für zwei denken.“
Auch die Anerkennung im Job, über den sie sich immer stark identifizierte, fehlt ihr. Workaholic sei sie dabei nie gewesen, auch der 30-Stunden-Woche könne sie etwas abgewinnen: „Ich habe meinen Job gern gehabt, aber ich habe auch meine Freizeit gerne gehabt.“ Bestärkt durch ihren 13 Jahre jüngeren Mann, der „noch länger arbeiten darf“, möchte die Gerasdorferin nun einen Job in einer neuen Branche finden.
Ihr Umfeld reagiert darauf eher mit Unverständnis, auch Firmen könnten Vorbehalte haben, befürchtet sie: „Ich bin mittlerweile 61 Jahre alt. Ich weiß nicht, ob Arbeitgeber so begeistert sind.“ Außerdem, betont sie, möchte sie keinem Jungen „einen Arbeitsplatz wegnehmen“. Geld sei keine Motivation, sie wolle lediglich eine erfüllende Aufgabe für sich finden. „Ich kann natürlich das Haus putzen, danach fühlt man sich auch befriedigt, aber das ist etwas anderes.“ Aktuell ist Neuberger noch auf der Suche, streckt ihre Fühler in unterschiedliche Richtungen aus, wie sie sagt. Das erste Jahr, so hat sie es sich von Anfang an vorgenommen, wollte sie aber ohnehin mal „zu Hause genießen“.
Beispiel 3: Rosemarie Havranek (63), Lehrerin in spe
„Wenn Sie den Bericht geschrieben haben“, sagt Rosemarie Havranek am Ende des Interviews lachend, „werden mich sicher einige fragen, ob ich noch ganz bei Trost bin.“ Die 63-Jährige könnte sich nach vielen Jahren an der Spitze eines Pharmaunternehmens nämlich entspannt zur Ruhe setzen.
Stattdessen wird die studierte Volkswirtin ab Herbst zwölf Wochenstunden Gesundheitswesen an einer HTL für Medizintechnik unterrichten. Nur noch Kochen und Lesen, das sei ihr zu wenig, sagt die Mutter einer Tochter und zweifache Oma, die auch noch mit der Pflege der eigenen (Schwieger-)Eltern eingespannt ist.
„Natürlich wird die neue Arbeit meine Freizeit reduzieren. Aber an manchen Tagen denke ich mir: Jetzt bin ich schon mit dem dritten Buch fertig und es wird ein bisschen fad. Mir fehlt der Austausch mit anderen Menschen.“ Ihr Mann habe sie dabei unterstützt. „So etwas ist nur partnerschaftlich möglich. Wir sind 38 Jahre verheiratet, da kennt man einander sehr gut.“
Was sie motiviert? Die Niederösterreicherin möchte ihr Wissen und ihre jahrzehntelange Erfahrung im Medizinbereich weitergeben. Von dem Mix aus Jungen, Mitteljungen und Älteren am Arbeitsplatz profitieren alle, weiß sie. „In meinem Alter hat man eine Gelassenheit, die Jüngeren oft noch fehlt.“
Obwohl Havranek als Führungskraft Online-Vorträge vor Hunderten Mitarbeitern gehalten hat, ringt ihr die neue Aufgabe Respekt ab. „Vor einer Klasse zu stehen, ist noch einmal was anderes. Ich bin gespannt und freue mich drauf.“ Die Neo-Lehrerin möchte jedoch festhalten: „Es gibt schwer arbeitende Menschen, die mit 60 ihre Ruhe haben wollen. Auch das ist völlig verständlich.“
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