Energiewende: Debatte um Atomenergie neu entfacht
Der Stromverbrauch wird steigen – wenn wir so weitermachen wie bisher. E-Mobilität, Streaming oder Klimaanlagen werden ihr Übriges dazu beitragen. Kann uns die Atomkraft retten? Es kommt darauf an, wen man fragt. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) sagt Ja.
Das Problem von im atomkritischen Österreich so beliebten erneuerbaren Energiequellen sei nämlich, dass sie von äußeren Faktoren abhängig seien, sagt Stefano Monti von der IAEO. Um Ausfälle zu kompensieren, benötige man erst Recht wieder Energie aus fossilen Quellen. Die Antwort darauf ist seiner Meinung nach die Atomkraft. „Nukleare Energie hat keine -Emissionen. Und sie ist sehr stabil, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“, meint Monti.
Gar kein Problem
Selbst das Thema Endlagerung ist laut IAEO-Experten Ian Gordon überhaupt kein Problem. Er relativiert Warnungen vor der Gefährlichkeit von Atommüll: Nur ein kleiner Teil sei tatsächlich gefährlich. Und jeder Prozess, ob in der Landwirtschaft, Wissenschaft oder Medizin, verursache ebenfalls Abfall. Die Angst vor Atommüll sei unbegründet, „radioaktiver Abfall kann sicher verwahrt werden“, sagt Gordon.
Keine Lösung parat
Dem widerspricht Nikolaus Müllner, Atomenergie-Experte an der Universität für Bodenkultur in Wien: „Hier hat man keine Lösung parat.“ Bis heute gibt es weltweit kein einziges fertiges Endlager. Das erste entsteht derzeit in Finnland – unter einer Insel, tief im Granit, 450 Meter unter der Erde. Dass Atommüll dort sicher verwahrt werden kann, glaubt Müllner dennoch nicht: Es handle sich um sehr gefährliche Stoffe, die einen sicheren Einschluss bis zu einer Million Jahre benötigen. „Wer kann sich so ein Lager überlegen?“ Und: Wie soll die Dokumentation funktionieren? „Stellen Sie sich vor, man brennt das auf CD-ROMs, die kann nach ein paar Jahren keiner mehr lesen.“
Selbst wenn sich Experten uneins sind, die Zahl der Atomkraftwerke sinkt weltweit. Stark ausgebaut wird nur in Asien. In China sind 49 Atomkraftwerke (AKW) in Betrieb, zehn befinden sich in Bau. Starkes Wachstum gibt es auch in Indien mit sieben Projekten, auch in Russland und Südkorea wird viel gebaut. In Europa und den USA gibt es kaum Neubauten, hier wird vor allem die Lebensdauer der bestehenden AKW verlängert, sprich modernisiert. In Afrika und Südamerika spielen sie so gut wie keine Rolle, in Australien gibt es kein einziges. Japan ist sich nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima noch immer nicht klar, wie es weitergehen soll. Nach den Störfällen im März 2011 wurden die 50 AKW im Land stillgelegt, mittlerweile arbeiten zehn wieder.
Die Schweiz, Italien und Deutschland sind aus der Atomenergie ausgestiegen. Einige wenige Newcomer gibt es in Europa dennoch: Polen und Litauen wollen wieder einsteigen und Finnland baut derzeit das erste neue Atomkraftwerk in Westeuropa seit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986. Es soll noch dieses Jahr ans Netz gehen.
Gründe für die abnehmende Bedeutung von Atomenergie gibt es viele, Fukushima ist nur einer. Kernenergie wurde immer teurer, es gibt hohe Vorabkosten, lange Bauzeiten und aufwendige Entsorgung des Atommülls. Ohne staatliche Hilfe wären AKW ohnehin nicht wirtschaftlich betreibbar. Laut Studien kostet Atomstrom, wenn man alle Kosten miteinbezieht, bis zu viermal so viel wie Strom aus Wasser und Wind und bis zu einem Drittel mehr als Strom aus Fotovoltaik.
Klimawandel als Treiber
Die jüngsten Vorhersagen der IAEO gehen dennoch davon aus, dass Atomenergie weiterhin eine Schlüsselrolle in einem kohlenstoffarmen Energiemix spielen wird. Im extremsten Fall könnte sich die nuklearen Kapazitäten bis 2050 weltweit verdoppeln.
Das glaubte im Frühjahr auch Klimaaktivistin Greta Thunberg, die mit einem Facebook-Posting für Aufregung sorgte. Darin hieß es, dass Atomkraft „ein Teil der Lösung“ sein könne. Thunberg distanzierte sich kurze Zeit später von ihrem Posting.
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