BVT und Wirecard: Der sagenhafte Mister Weiss
Es war eine Karriere wie aus dem Bilderbuch: Ursprünglich aus einer einfachen bäuerlichen Familie stammend, führte der Weg steil nach oben. Er war der Lebensgefährte einer späteren Ministerin, er hatte einen weiteren Minister als Ziehvater. Und er war auch sonst politisch gut vernetzt. Deshalb schaffte er es zum Abteilungsleiter und beinahe zum stellvertretenden Direktor des Verfassungsschutzes (BVT).
Doch nun steht der Name Martin Weiss im möglichen Zusammenhang mit gleich mehreren Skandalen: Die Affäre um die Razzia im Verfassungsschutz, die Causa um den angeblichen Kauf eines FPÖ-Mandats und jene des Finanzdienstleisters Wirecard. Am vergangenen Freitag wurde er verhaftet, danach aber wieder auf freien Fuß gesetzt.
Der mittlerweile 57-jährige Niederösterreicher kommt 1982 zur Polizei und zehn Jahre später zur Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) – deren Chef ist damals Peter Gridling.
Ausbildung bei der CIA
Ausgebildet wird Weiss unter anderem vom US-Geheimdienst CIA. Nebenbei soll er über familiäre Anknüpfungspunkte Kontakt mit einem Lokal haben, in dem niederösterreichische Lokalpolitiker gerne zu Gast sind. Mit diesem Hintergrund startete er eine Karriere bei der Staatspolizei und lernt den späteren BVT-Direktor Gert-Rene Polli kennen, für den er eine Außenstelle des BVT am Flughafen Wien einrichtet.
Als er 2004 nach Brüssel entsendet wird, trifft er dort bei Europol wieder auf den späteren BVT-Direktor Peter Gridling. Als dieser 2008 den Verfassungsschutz übernimmt, beginnt der Aufstieg von Weiss im BVT. Vier Jahre später steht er vor dem Sprung zum stellvertretenden Direktor des Verfassungsschutzes. Doch ihm wird Wolfgang Zöhrer vorgezogen, der ebenfalls gute Kontakte in die ÖVP hat.
Deckname Morgenröte
Danach kommt es zu ersten Unstimmigkeiten: Weiss soll bei einer Weihnachtsfeier in einer Bar vor dem dortigen Personal die kompletten Amtshandlungen seiner Abteilung in diesem Jahr aufgezählt haben. Außerdem wird in Libyen ein Österreicher entführt, für dessen Freilassung ein Weiss-Informant (Deckname „Morgenröte“) sorgt. Fast zeitgleich beginnt auch das Engagement von Wirecard-Manager Marsalek in Libyen. Er will dort eine Söldner-Armee aufstellen.
2016 gibt es so viele Beschwerden über Weiss, dass es zu einem Krisentreffen im Innenministerium kommt. Dem Spitzenbeamten wird ein Coaching verordnet. Kurz darauf wird im Internet ein Pamphlet gegen den BVT-Vizedirektor Zöhrer veröffentlicht. Später geht Weiss in einen Dauer-Krankenstand.
Im April 2017 wird das 39-seitige Konvolut mit angeblichen Verfehlungen im Verfassungsschutz an die Staatsanwaltschaft geschickt. NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper weist darauf hin, dass es in diesem Schreiben mehrere Fehler bei den Datumsangaben gibt. Diese tauchen später (zufällig?) auch in der Zeugenbefragung von Weiss auf.
Ende 2017 sind zwei Treffen von Weiss mit dem Ex-BVT-Direktor und FPÖ-Regierungsberater Polli aktenkundig. Anfang 2018 trifft sich Weiss mit BMI-Generalsekretär Peter Goldgruber in einem Gasthof.
Er wird zu einem der vier Kronzeugen, die im Februar 2018 zu der rechtswidrigen Razzia Verfassungsschutz führen.
Kurz darauf wird er karenziert.
Acht Monate später soll er offiziell Projekte für Wirecard abgewickelt haben. Offenbar gibt es zu diesem Zeitpunkt Pläne, dass Wirecard Zahlungsdienstleister für eine Asyl-Karte des Innenministeriums wird. Im Mai 2019 gibt es ein gemeinsames Abendessen von Weiss und Marsalek in München. Einen Tag später flüchtet Marsalek über Bad Vöslau Richtung Russland. Die Staatsanwaltschaft Wien geht davon aus, dass Weiss die Flucht zumindest mitorganisiert hat.
Die Anwältin von Weiss' wollte dazu keine Stellungnahme abgeben.
Der tiefe Fall des Thomas Schellenbacher
Er organisierte für den Wirecard-Vorstand Jan Marsalek das Fluchtflugzeug und sitzt derzeit in U-Haft. Die Rede ist vom früheren FPÖ-Nationalrat Thomas Schellenbacher.
Doch die U–Haft wurde nicht wegen der Fluchthilfe verhängt, sondern wegen Tatbegehungsgefahr in einer anderen Causa. Schellenbacher, der Kontakte vor allem zu ukrainischen Oligarchen pflegt, wird von der WKStA des schweren Betrugs und der betrügerischen Krida bezichtigt. Er soll den Autobahnbetreiber Asfinag und weitere Unternehmen um zehn Millionen Euro geschädigt haben.
Laut Aktenlage soll Schellenbacher als Geschäftsführer der Firma IBS „Leistungen im Zusammenhang mit Einbauten von Überkopf-Wegweisern der Asfinag in Rechnung gestellt haben, die zum Teil nicht erbracht“ wurden. Dem Vernehmen nach bestreitet er die Vorwürfe.
Aufsehen erregte Schellenbacher, weil er sein Mandat gekauft haben soll. 2013 hat die FPÖ Wien ihre Listen erstellt. „In dieser Runde erwähnte Herr Strache, dass er einen Unternehmer an der Hand hätte, der bereit wäre, zwei Millionen Euro an die Partei zu spenden, wenn er dafür ein Mandat bekäme“, sagte die FPÖ-Politikerin Dagmar Belakowitsch-Jenewein als Zeugin aus. „Das Geld sollte an die Landesgruppe Wien der FPÖ fließen.“
Da ein Mandatskauf damals nicht strafbar war, so er überhaupt stattgefunden hat, stellte die WKStA das Verfahren ein. Anhängig sind noch Ermittlungen wegen des Verdachts der Veruntreuung. Denn die FPÖ will die besagten zwei Millionen Euro nicht erhalten haben.
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Causa Verfassungsschutz: Die Rechtswidrige Razzia
Am 28. Februar 2018 stürmte die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Büros des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BVT) in Wien sowie mehrere Wohnungen von hochrangigen BVT-Mitarbeitern.
Der Verdacht: Amtsmissbrauch. Mitgenommen wurde fast alles, was nicht niet- und nagelfest war.
Grundlage für diese Razzia waren vier fragwürdige Zeugenaussagen von BVT-Mitarbeitern. Zugleich konnte sich die WKStA auch auf ein 39 Seiten starkes Konvolut mit massiven Vorwürfen berufen, das seit Sommer 2017 in Polizei- und Journalistenkreisen zirkulierte. Darin geht es um sexuelle Belästigung, Geldwäsche und Veruntreuung.
Fakt ist: Einer der Belastungszeugen in der Causa war der BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss. Er wird von Kollegen als mutmaßlicher Urheber des BVT-Konvoluts bezichtigt, weil er Zugang zu diesen Infos gehabt haben sollen. Die FPÖ um den damaligen Innenminister Herbert Kickl hatte in der BVT-Causa kräftig angeschoben, Zeugen wurden mit blauem Gleitschutz zur WKStA zur Einvernahme geführt.
Später wurde die Razzia von einem Gericht für rechtswidrig erklärt, von den ursprünglichen Vorwürfen blieb nichts übrig.
Am Ende kam es nur zu einer Anklage gegen drei Personen, denen Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit sechs Observationen vorgeworfen werden. Die Vorwürfe werden bestritten.
Ein weiterer BVT-Mitarbeiter ist ins Visier der Wirecard-Ermittler geraten. Er steht seit 2017 im Verdacht der Spionage für Russland. Im Fall Wirecard soll der Beamte Abfragen aus dem Polizeicomputer getätigt haben. Er wurde nach einer Einvernahme nicht in U-Haft genommen.
Dem Vernehmen nach weist er die Vorwürfe zurück.
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Wirecard-Skandal: 1,9 Milliarden Euro fehlen
Die Wirecard AG verdankte ihren wirtschaftlichen Aufstieg der Porno-Branche, für die das Unternehmen aus Aschheim bei München jahrelang Zahlungen abwickelte. Doch seit 2015 gab es Berichte, dass an den Bilanzen etwas faul sei. Das börsennotierte Unternehmen konnte mit Ausreden Bilanzprüfer und Anleger beschwichtigen - bis zum Frühsommer 2020.
Da musste Wirecard, geführt von den Österreichern Markus Braun und Jan Marsalek einräumen, dass Bankguthaben auf angeblichen Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro nicht aufgefunden werden können. Vorstandschef Braun musste zurücktreten und wurde später in U-Haft genommen. Er bestreitet, an Malversationen beteiligt gewesen zu sein.
Vorstand Marsalek flüchtete am 19. Juni mit einem Privatjet vom Flugplatz Bad Vöslau aus in Richtung der weißrussischen Hauptstadt Minsk und wurde seither nicht mehr gesehen.
Ihm werden gute Kontakte zu russischen Nachrichtendiensten nachgesagt. Bei der Flucht aus Österreich unterstützten ihn der Ex-FPÖ-Nationalrat Thomas Schellenbacher und der karenzierte BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss.
Dem BVT-Mann wird auch nachgesagt, dass er geschäftlich für Wirecard bzw. Marsalek tätig gewesen sei. Am 25. Juni 2020 musste die Wirecard AG einen Insolvenzantrag stellen, Ende August wurde Wirecard aus dem DAX entfernt.
Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen mehrere Ex-Wirecard-Vorstände wegen bandenmäßigen Betrugs und Untreue.
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