So versteckte das BVT einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher in Österreich
Es sind Tausende Seiten interner Mails, Berichte und Vernehmungsprotokolle, die dem KURIER vorliegen. Sie ergeben ein bizarres Bild: Alles deutet darauf hin, dass der österreichische Verfassungsschutz für den israelischen Mossad einen mutmaßlichen syrischen Kriegsverbrecher versteckt hat.
Hierzulande wurde darüber hinaus Asyl (mit Sozialleistungen) für ihn erschlichen. Kurz bevor die Sache aufflog, dürfte man ihm zur Flucht verholfen haben. Bis heute fehlt jede Spur von Khaled H., der für Folterungen und Erschießungen von Demonstranten in Syrien verantwortlich gemacht wird. Zumindest drei Jahre lang konnte er in Österreich untertauchen.
Das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung fand massive Hinweise darauf, dass der Verfassungsschutz versucht hat, Beweise verschwinden zu lassen. So sollen angeblich Aktenvermerke und vermutlich sogar ganze Akten fehlen.
Zehn Monate lang musste die Justiz mit dem BVT streiten, um schließlich Anfang Oktober 2020 doch noch Zugriff auf die Festplatte eines Verfassungsschützers zu bekommen. Diese 57 Gigabyte werden derzeit ausgewertet.
Eine Israel-Reise
Vermutlich startet die Causa im Frühjahr 2015. Der damalige stellvertretende Direktor des BVT, Wolfgang Zöhrer, reist nach Israel. Dort soll er mit einem hochrangigen Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad eine Kooperationsvereinbarung getroffen haben. Zöhrer bestreitet das zwar bis heute massiv, aber es gibt Aktenvermerke darüber. Die Kooperation betrifft den syrischen Staatssicherheits-General, der sich in Frankreich aufhält und dort offensichtlich Probleme hat, Asyl zu erhalten. Die Israelis versichern dem BVT aber, dass der Syrer nichts mit Kriegsverbrechen zu tun habe und „sauber“ sei.
Die französischen Behörden vermuten, dass Khaled H. in Kriegsverbrechen verwickelt sein könnte. Im schlimmsten Fall droht ihm in Frankreich die Abschiebung.
Ein Deckname
Vier Tage nach dem Treffen in Israel wird im BVT jedenfalls ein elektronischer Akt mit dem Namen „White Milk“ angelegt. Das wird künftig im gesamten Schriftverkehr der Deckname des Generals sein.
Im Mai 2015 gibt es ein gemeinsames Treffen des österreichischen Verfassungsschutzes mit dem Mossad und dem französischen Geheimdienst. Letzterer will nicht, dass der General nach Österreich überstellt wird. Offenbar beschließt der Mossad darauf hin, ihn auf eigene Faust mit dem Auto nach Österreich zu schmuggeln.
Am 13. Juni 2015 wird „das Paket“, wie es in einem geheimen Protokoll heißt, geliefert. Der General und die Begleiter kommen mit einem Leihwagen am Grenzübergang Salzburg/Walserberg an. Der General wird dem BVT übergeben und nach Wien gebracht. Er übernachtet in einem Hotel in Wien-Schwechat.
Zwei Tage später schickt das BVT den General per Taxi zur Erstaufnahmestelle nach Traiskirchen, eine erste Befragung in Sachen Asylantrag findet statt.
Der Verfassungsschutz besorgt Khaled H. wenig später in Wien-Favoriten eine Mietwohnung.
Doch die Sache mit dem Asyl in Österreich ist nicht so einfach. Es wird die Legende erfunden, der General sei mit dem Zug aus Frankreich gekommen und er sei dort in Gefahr, weil er von anderen Syrern bedroht sei.
Auch sonst passieren ungewöhnliche Dinge, so nehmen Verfassungsschützer an der Asylbefragung teil, ohne im Protokoll aufzuscheinen.
Wie der KURIER bereits im Jahr 2018 aufgedeckt hat, wird anschließend massiv Druck auf das Bundesasylamt ausgeübt, um dem General Asyl zu gewähren.
Am 2. Dezember 2015 wird ihm dies im Eilverfahren zugestanden. Grund dafür ist eine Gefährdung in Frankreich, die es – zumindest laut internen Papieren des BVT – nie gegeben hat.
Sozialleistungen
Im Laufe der Zeit werden dem General insgesamt mehr als 50.000 Euro verschiedenste Sozialleistungen für Asylbewerber ausgezahlt. Nebenbei bezahlt der Mossad 5.000 Euro im Monat für eine schöne Wohnung und den Unterhalt des Generals.
Spätestens im Jänner 2016 muss den Beteiligten endgültig klar sein, dass der General ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher ist. Die Nichtregierungsorganisation CIJA übermittelt dem Wiener Justizministerium ein Schreiben mit Hinweisen.
Die CIJA ersucht um einen Gesprächstermin. Dieses Gespräch mit zwei CIJA-Vertretern und dem BVT findet im Justizministerium statt, Teilnehmer ist auch der mächtige Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek. Der Verfassungsschutz erzählt dabei aber nichts über die Operation mit dem Mossad. Es wird entschieden, weitere Beweise in Sachen Kriegsverbrechen von der CIJA einzufordern.
Daraufhin wird die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit über den Fall „White Milk“ informiert. BVT-Abteilungsleiter W. übergibt den Asylaktenteil über den General an Pilnacek, mehr erfährt die Justiz nicht. „Aus operativtaktischen Erwägungen wurde vorerst von einer Information des Justizministeriums zu den bestehenden Erkenntnissen hinsichtlich des H. Abstand genommen“, wird in einem Dokument des Verfassungsschutzes festgehalten.
Erste Ermittlungen
Im April 2016 legt die Staatsanwaltschaft Wien einen Verschlussakt zum General an. Nur wenig später liefert die CIJA weitere Zeugenprotokolle (von Folteropfern und Mitgliedern des syrischen Sicherheitsapparat) an die österreichische Justiz. Gegen den General wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Folter eingeleitet. H. wird auch im Schengen-Informationssystem zur Aufenthaltsermittlung wegen Kriegsverbrechen ausgeschrieben.
Das alles würde vermutlich reichen, um den General festzunehmen und zu befragen. Doch das BVT will den General nicht einvernehmen – offizieller Grund: aus Angst, dass er flüchten könnte.
Im Frühjahr 2017 schickt die CIJA weitere belastende Zeugenaussagen.
Doch ein Jahr lang geschieht anscheinend nichts.
Erst am 30. Mai 2018 ist plötzlich Feuer am Dach: Frankreich bzw. Europol schreibt den General zur Aufenthaltsermittlung aus. Offenbar gibt es auch innerhalb des Verfassungsschutzes Unstimmigkeiten, das Extremismus-Referat will ermitteln.
Neuerliche Ermittlungen
Doch auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wird in der Folge aktiv und startet Ermittlungen wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen vier Beamte des Verfassungsschutzes und drei Mitarbeiter des Bundesasylamts. Das BVT will das mit Rücksicht „auf einen Partnerdienst“ nicht weiter kommentieren.
Der ranghöchste Beamte unter den Beschuldigten ist der ehemalige Abteilungsleiter W., der mehrere Aktenstücke unterschrieben hat. Als Hauptverantwortlicher wird ein Abteilungsinspektor geführt. Mehrere Aktenteile zeigen aber, dass zahlreiche Informationen bis ganz hinauf bekannt gewesen sein müssen. Auch zahlreiche BVT-Mitarbeiter geben in Befragungen an, dass derartige Operationen auf jeden Fall auf Direktionsebene bekannt sein müssten.
Fest steht: Zu einer Verhaftung des Khaled H. ist es nicht kommen, dem Syrer gelingt die Flucht aus Österreich.
Welche Rolle der Verfassungsschutz dabei gespielt hat und weitere Hintergründe lesen zweiten Teil des Berichts:
Das ist der General
Beim Syrer Khaled H. handelt es sich einen ehemaligen Brigadegeneral des syrischen Staatssicherheitsdiensts, der von 2009 bis zumindest März 2013 in der Stadt Rakka stationiert war und dort die Abteilung 335 leitete. Sie untersteht dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad und soll für die brutale Niederschlagung von Demonstrationen verantwortlich gewesen sein. H. dürfte auch Erschießungen von und brutale Attacken auf Demonstranten befohlen haben.
H. soll als Kommandant seinen Untergebenen Misshandlungen von Inhaftierten angeordnet haben, er gilt als Drahtzieher dieser Aktionen. In Zeugenaussagen sind zahlreiche mittelalterliche Foltermethoden beschrieben.
Der Syrer will im März 2013 mithilfe von Schleppern aus Rakka geflohen und in die Türkei gereist sein. Nach zwei Monaten reiste H., der der Minderheit der Drusen angehört, nach Jordanien aus und konnte mithilfe eines Drusenführers am 27. Februar 2014 per Flugzeug nach Frankreich reisen. Dort stellte er einen Asylantrag.
Ein Jahr hielt er sich in Paris auf. Bei den französischen Asylbehörden entstand nach seiner ersten Befragung der Verdacht, dass er an Menschenrechtsverletzung beteiligt gewesen sein könnte.
Das ist die Stelle fünf
In Israel gibt es drei Nachrichtendienste: den Inlandsgeheimdienst Shin Bet, den Militärgeheimdienst Aman und den legendäre Mossad, der angeblich 7.000 Mitarbeiter beschäftigen soll. Mossad heißt übersetzt „Institut“. Das Hauptquartier befindet sich in Tel Aviv. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Mossad immer wieder bei geheimen Operationen Leute getötet. So wird er beschuldigt, iranische Atomwissenschaftler umgebracht zu haben.
Laut dem Buchautor Ronen Bergman (Der Schattenkrieg) soll der Mossad in 70 Jahren rund 3.000 Personen gezielt getötet haben, darunter Nazi-Kriegsverbrecher oder palästinensische Terroristen. Mitunter soll es zu Verwechslungen gekommen sein.
Im BVT werden die Geheimdienste als Stellen bezeichnet. Stelle 1 ist der US-Nachrichtendienst CIA, Stelle 3 der britische Auslandsgeheimdienst MI6 und Stelle 5 ist der Mossad. Die Beziehungen des BVT zur Stelle 5 gelten als gut. Es gab immer wieder erfolgreiche Kooperationen bei der Bekämpfung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.
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