Asylskandal um syrischen Staatssicherheits-General in Österreich
Friedliche Demonstrationen wurden mit Gewalt niedergeschlagen, männliche Gefangene mussten sich bei den Befragungen nackt ausziehen, wurden geschlagen und erhielten Elektroschocks. Weitere Foltermethoden hießen „Fliegender Teppich“ oder „Shabah“. Dabei wurde die Wirbelsäule der Opfer überdehnt; oder sie wurden an den Händen gefesselt aufgehängt. Auch in einen Reifen mussten sich die Gefangenen legen, um dann mit Stöcken und Kabeln verprügelt zu werden („Doulab“). Nach der Tortur wurden die Betroffenen zu zehnt in fensterlose Zellen gepfercht, die gerade einmal zwei Quadratmeter groß waren. Nicht, weil kein Platz war, sondern um die Gefangenen zu demütigen.
Diese grauenhaften Schilderungen stammen von Opfern sowie Zeugen und beschreiben die Zustände in den Gefängnissen des syrischen Geheimdienstes in der Stadt Rakka. Das Belastungsmaterial hat die Menschenrechtsorganisation Commission for International Justice and Accountability (CIJA) zusammengetragen.
Besonders brisant ist dabei, dass Khalid H., der frühere Geheimdienst-Brigadegeneral und damals zuständige Chef für Staatssicherheit in Rakka, seit 13. Juni 2015 in Österreich lebt und in einem Schnellverfahren Asyl erhalten hat. Aufgrund eines Europol-Fahndungsersuchens von Frankreich vom 30. Mai 2018 ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Wien gegen den Stasi-General H. – wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, des Völkermords und der Kriegsverbrechen.
Tatzeit: März 2011 bis Februar 2013.
Tatort: Rakka, Syrien.
„Nichts Illegales“
Khalid H. will „nichts Illegales“ gemacht haben und sogar einem Mordanschlag entgangen sein. Offizielle Erklärung: Der syrische Zoll soll sein Auto fälschlicherweise beschossen haben. Dass Ex-Stasi-Chef H. mittlerweile als Asylberechtigter unbehelligt in Österreich lebt, sorgt nun für Ermittlungen wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen Mitarbeiter des Bundesamts für Fremdenwesen (BFA) und des Verfassungsschutzes ( BVT).
Die Sache ist insofern hochpolitisch, weil der General – der direkt dem Diktator Baschar al-Assad unterstand – zuvor schon in Frankreich Asyl beantragt hatte. Nach dem Dublin-Abkommen müsste eigentlich das EU-Land das Verfahren führen, in dem der Flüchtling als erstes einreist. Laut einem druckfrischen Bericht des BVT an die Staatsanwaltschaft Wien, der dem KURIER vollständig vorliegt, hat Khalid H. eine Bilderbuchkarriere im syrischen Militärgeheimdienst und in der Staatssicherheit hingelegt – und das als Mitglied der Religionsgemeinschaft der Drusen.
Nach Stationen in Suweida, Homs und Tartus soll er von 2009 bis Anfang März 2013 die Staatssicherheitsabteilung „Branch 335“ in Rakka geleitet haben. Laut CIJA, die sich auf zehn Zeugen beruft, war die Gruppe etwa für Checkpoints zuständig, an denen Menschen erschossen wurden. Auch für die brutale Niederschlagung von Demonstrationen der syrischen Opposition sei „Branch 335“ verantwortlich. Wenige Tage bevor die Stadt Rakka in die Hände der syrischen Opposition fiel, setzte sich General H. laut eigenen Angaben (im Februar/März 2013) in die Türkei ab, angeblich mithilfe von Schleppern. Lange wurde in arabischen Zeitungen gerätselt, wo der Brigadegeneral untergetaucht sei. So wurde kolportiert, er habe Geheimnisse für 100.000 Dollar an Frankreich verraten, was er selbst aber bestreitet.
Ein Jahr in Paris
Knapp ein Jahr nach seiner Flucht in die Türkei reiste der General über Jordanien nach Frankreich aus und beantragte dort Asyl. Bei den Befragungen durch die französische Asylbehörde verwickelte er sich bereits in Widersprüche. Der Vernehmungsbeamte stellt in der Befragung nüchtern fest, das H. seine Rolle herunterspielen würde. Nur vier oder fünf Personen habe er verhaften lassen, sagte der Ex-General, „auf Befehl von oben“. Darunter war auch der syrische Autor Najati T. 2013 bis 2015 in Paris als Flüchtlings-Gastautor lebte. T. soll ein Belastungszeuge gegen H. sein.
Der General soll danach ein Jahr in Hotels, Pensionen und bei Freunden in Paris gelebt haben. „Ich fühlte mich in Frankreich nicht wohl, da es dort sehr viele Syrer gibt, die sich in Unterstützer des Regimes und der Opposition aufteilen“, sagte H. später. Er dürfte ein weiteres Motiv gehabt haben: „Als er erkennen konnte, dass sein Antrag negativ beschieden würde, kehrte er Frankreich den Rücken“, heißt es im aktuellen BVT-Bericht.
H. reiste am 13. Juni 2015 per Zug nach Wien, fuhr am nächsten Tag mit dem Taxi ins Flüchtlingslager Traiskirchen und beantragte dort Asyl.
„Keine Gefahr“
Bei der Befragung durch das BFA gab er sogar an, bereits in Frankreich einen Asylantrag gestellt zu haben. Dabei sagte er, dass er nicht einverstanden sei, dass das BFA „weitere Ermittlungen zum Asylverfahren in Frankreich durchführe (...) Ich würde es nicht begrüßen, wenn Daten jetzt an Frankreich weitergegeben werden“, sagte H. „Ich habe Angst um mein Leben.“
Das Referat Nachrichtendienste des BVT war brennend an dem General interessiert. So schrieb deren Chef, Abteilungsleiter W., am 16. November 2015 an das Asylamt: „Dem BVT liegen keinerlei Informationen vor, dass Khaled. H. (…) in Syrien in Kriegsverbrechen oder sonstige Straftaten involviert gewesen sei. Auch liegen keine Anhaltspunkte vor, dass durch die Anwesenheit von H. in Österreich die Öffentliche Sicherheit gefährdet wäre“. Seitens des BVT liegen „keinerlei Versagungsgründe bezüglich des Asylverfahrens vor“.
Am 2. Dezember 2015, nach nur sechs Monaten, wurde H. der Asyl-Status in Österreich zuerkannt. Mit der Begründung: Die behauptete Furcht vor Verfolgung wurde als glaubwürdig bewertet.
In Frankreich wurde sein Asyl Ende 2017 abgelehnt.
Verdacht auf Amtsmissbrauch
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt nun auch gegen Beamte des Verfassungsschutzes (BVT) und des Asylamtes (BFA). Es geht um den Verdacht des Amtsmissbrauchs. Am 20. September 2018 hat die Anklagebehörde dieses „zweite Verfahren“ an die Korruptionsstaatsanwaltschaft abgetreten, die bereits die Ermittlungen gegen BVT-Beamte rund um die Razzia führt. Denn es ist zumindest eine Person involviert, die in der BVT-Affäre eine Rolle spielt – als wichtiger Belastungszeuge.
„Die Verdachtslage gegen noch auszuforschende Beamte des BVT und BFA ergibt sich in der Zusammenschau des negativen Asylbescheids der französischen Behörden und des Verlaufs des inländischen Asylverfahrens“, notiert der Staatsanwalt. „Obwohl H. anlässlich seiner Erstbefragung angab, bereits in Frankreich einen Asylantrag gestellt zu haben und als General des syrischen Militärgeheimdienstes tätig gewesen zu sein, wurden seitens des BFA keine Konsultationsverfahren mit dem zuständigen Mitgliedsstaat Frankreich geführt.“
Zugleich soll eine „Inlandszuständigkeit“ nicht mit einem eigenen Bescheid begründet worden sein. Außerdem dürfte eine allfällige Bedrohungslage beziehungsweise Gefährdungsprognose des Ex-Generals nicht konkretisiert, sondern dafür nur seine „pauschalen Angaben“ vom BFA herangezogen worden sein.
"Folterhandlungen"
Die Erhebungen für die Gefährdungsprognose durch das BVT hält der Staatsanwalt für unvollständig und dem Zweck nicht entsprechend. „Es hätte daher die Frage einer möglichen Beteiligung des Asylwerbers an Folterhandlungen in Syrien durch Erhebungen im Asylverfahren selbstständig geklärt oder vonseiten des BFA die Einleitung eines Strafverfahrens angeregt werden müssen“, hält der Staatsanwalt fest. „Das sei nicht erfolgt. Daher sei ein Anfangsverdacht in Richtung Amtsmissbrauch begründet. Vor allem auch deshalb, weil BVT-Beamte „auffällig oft“ Beamte des BFA in Asylfall Khalid H. kontaktierten.
Der Ex-Geheimdienstgeneral H. gab an, sowohl vom Regime als auch von der Opposition als Verräter bezeichnet zu werden. Das hinderte ihn laut Aktenlage nicht daran, mit seinem Konventionspass am 9. Jänner 2017 nach Moskau (in das Assad-freundliche Russland) zu fliegen und erst am 15. Jänner 2017 nach Wien zurückzukehren. Belegt ist die Reise durch ein russisches Visum und die Polizei am Flughafen Wien-Schwechat: Als Grund der Reise soll H. den Polizisten einen „Besuch bei Freunden“ angegeben haben.
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