EU will Revival der Atomkraft: Aufregung in Österreich

Die Sonne geht am Montagmorgen (06.06.2011) in Niederaichbach (Niederbayern) hinter dem Kühlturm auf dem Gelände der Kernkraftwerke Isar 1 (r) und Isar 2 auf. Foto: Armin Weigel dpa/lby +++(c) dpa - Bildfunk+++
Brüssel will den Bau von Atomkraftwerken erleichtern, Österreich kündigt Widerstand an.

Fukushima, nichts gewesen? Die Halbwertszeit des Erinnerns ist bei manchen Politikern sehr kurz, könnten Atomkraftgegner zynisch einwerfen: Die EU-Kommission will einem Zeitungsbericht zufolge den Bau und den Betrieb von Atomkraftwerken in Europa erleichtern.

Im Atomkraft-freien Österreich schlägt die Meldung Wellen: Umweltminister Niki Berlakovich, Wirtschafts- und Energieminister Reinhold Mitterlehner sowie Umweltorganisationen zeigten sich heute empört. Die Grünen forderten EU-Kommissar Johannes Hahn auf, ein Veto gegen die neue Richtlinie einzulegen (ausführliche Reaktionen lesen Sie unten).

Woran sich die Gemüter erhitzen

EU will Revival der Atomkraft: Aufregung in Österreich
epa03317126 European Commissioner for Competition Joaquin Almunia during a press conference on state aid decision, at the European Commission headquarters in Brussels, Belgium, 25 July 2012. EPA/JULIEN WARNAND

Im Entwurf für eine neue Beihilferichtlinie von Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia werde der Ausbau der Nuklearenergie als ein Ziel der Europäischen Union bezeichnet, berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf das Papier.

Um dieses Ziel zu verfolgen, könnten speziell für "die Errichtung und den Betrieb eines Atomkraftwerks" staatliche Finanzhilfen benötigt werden, heiße es in dem Entwurf. Über solche möglichen Beihilfen sollten Investoren künftig von vornherein Rechtssicherheit haben. Almunia setze sich für ein entsprechendes Regelwerk ein, dass die Voraussetzungen klar festlegt.

Die deutsche Bundesregierung habe dem Plan bereits widersprochen, berichtet die Zeitung. Unterstützung für das Vorhaben komme dagegen aus Großbritannien, Frankreich, Litauen und Tschechien. Almunia wolle die neue Richtlinie nach der Sommerpause vorlegen. Bis zum Frühjahr solle sie verabschiedet werden.

Post-Fukushima-Ära

In Deutschland war nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 der Atomausstieg beschlossen worden. Bis Ende 2022 sollen alle deutschen Atomkraftwerke den Betrieb einstellen.

Andere europäische Länder setzen hingegen weiter auf Nuklearenergie und planen zum Teil auch den Bau neuer Kraftwerke.

Reaktionen aus Österreich

Umweltminister Niki Berlakovich versprach, er werde "auf allen Ebenen mit Verbündeten gegen dieses Vorhaben kämpfen". Er pochte in einer Aussendung auf "Kostenwahrheit" der unterschiedlichen Methoden zur Energieerzeugung. Im Fall der Atomenergie seien auch Haftungsregeln, Stilllegungen und Endlagerkosten zu berücksichtigen, die "ein großer Kostenbrocken" seien. Zugleich betonte der ÖVP-Politiker: "Todesenergie darf keine Zukunft haben."

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bekräftigte ebenfalls sein Nein zu den Kommissionsplänen. "Österreich ist gegen jede Art der Förderung für den Bau von AKWs oder die Produktion von Nuklearenergie, auch nicht unter dem Deckmantel einer CO2-armen Technologie. Atomkraft ist keine Klimaschutzmaßnahme", sagte er.

Grünen-Chefin Eva Glawischnig warnte vor einer "gefährlichen Fehlentscheidung", sollte die EU bisher verbotene staatliche Subventionen für Atomkraftwerke erlauben. "Jetzt ist Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn gefordert, den Atomplänen der EU-Kommission eine klare Absage zu erteilen", betonte sie.

Der Grüne Umweltlandesrat Oberösterreichs, Rudi Anschober, forderte ebenfalls ein Veto Hahns in der Brüsseler Behörde. Die EU-Pläne liefen auf eine Gleichstellung von Atom- und Ökostrom hinaus und würden "die völlig unwirtschaftliche Atomenergie künstlich zum Leben erwecken", argumentierte Anschober. Es handle sich auch um eine "Vorentscheidung über den Ausbau von Temelin, denn Temelín 3 und 4 können ohne Milliardensubventionen weder errichtet noch betrieben werden".

Die Umweltorganisation Greenpeace sprach von einem "Wahnsinns-Vorschlag", der den Bau von "dutzenden Atommeilern" in den nächsten Jahrzehnten bedeuten könnte, "die am freien Markt nie finanzierbar wären und ein massives Sicherheitsrisiko darstellen. Auch Greenpeace rief EU-Kommissar Hahn in einer Aussendung auf, sich gegen die geplante Änderung der Beihilferichtlinie zu stellen.

Die Organisation atomstopp_oberoesterreich sieht in den Plänen der EU-Kommission ein "Armutszeugnis", weil sie damit deutlich macht, "dass sie in der atomaren Sackgasse feststeckt". Die Förderpläne seien aber auch ein Signal der Atomindustrie insgesamt, "dass es ihr wirtschaftlich schlecht geht und sie ohne staatliche Unterstützung am Ende ist".

Doch es geht nicht nur um den Bau neuer Meiler - vor allem alte Reaktoren lassen Umweltschützer auf die Barrikaden steigen.

So haben am Montag mehr als 20 Greenpeace-Aktivisten das südfranzösische Atomkraftwerk Tricastin gestürmt und seine Schließung verlangt. Die Anlage zähle zu den fünf gefährlichsten in Frankreich, erklärte die Umweltorganisation. Nach Angaben der Betreibergesellschaft Electricite de France wurden am Morgen 17 Aktivisten festgenommen. Andere hätten sich festgekettet, sagte eine Sprecherin. Die Reaktoren seien nicht erreicht worden.

Das Kraftwerk Tricastin liegt gut 40 Kilometer nördlich von Avignon und wurde vor mehr als 30 Jahren erbaut. Die älteste französische Atomanlage steht im elsässischen Fessenheim etwa eineinhalb Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Präsident Francois Hollande hat versprochen, Fessenheim bis 2017 zu schließen. Bis 2025 soll der Anteil der Atomkraft in Frankreich auf 50 Prozent von derzeit 75 Prozent sinken.

Die Europäische Kommission benachteiligt in den Grundlagen für ihre Energiepolitik nach Einschätzung von Energieexperten Ökostrom deutlich gegenüber Atomenergie. Die Kosten der Atomkraft würden in den Szenarien aus Brüssel "systematisch" unterschätzt, die der erneuerbaren Energien hingegen deutlich überschätzt, heißt es in einer am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

"Starke Benachteiligung der erneuerbaren Energien"

Bei der Solar- und Windenergie seien die Produktivitätsfortschritte in den vergangenen Jahren "bahnbrechend" gewesen, erklärte Claudia Kemfert, Leiterin der DIW-Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt. Insbesondere bei der Photovoltaik seien die Kosten schon heute teilweise niedriger als von der EU für 2050 erwartet, betonte sie. Analysen des DIW belegten eine "starke Benachteiligung der erneuerbaren Energien" in dem Grünbuch der Kommission für die Klima- und Energiepolitik bis 2030, betonte Kemfert.

Weltweit wird immer weniger Energie mit Atomkraftwerken generiert, weil immer mehr Atommeiler heruntergefahren werden. 2012 ist die produzierte Atomstrommenge im Vergleich zum Vorjahr um 7 Prozent zurückgegangen. Bereits 2011 war im Vorjahresvergleich weltweit vier Prozent weniger Atomstrom produziert worden, wie dem diesjährigen World Nuclear Industrie Status Report (WNISR) des Pariser Energieberatungsunternehmens Mycle Schneider zu entnehmen ist, der am Donnerstag im Europaparlament in Brüssel vorgestellt wurde.

Die Studie wurde von Stiftungen unterstützt - etwa der Schweizerischen Energie-Stiftung oder der Heinrich Böll Stiftung.

Weltweit sind derzeit 427 Atomstromreaktoren in Betrieb, 17 weniger als noch vor 10 Jahren. Der von diesen Reaktoren produzierte Strom macht rund 10 Prozent der Gesamtmenge aus. Anfang der Neunzigerjahre lag der Anteil an Kernenergie noch bei 17 Prozent.

Im vergangenen Jahr wurden 2346 Terawattstunden (TWh) Strom aus Atomkraftwerken erzeugt und damit 12 Prozent weniger als vor sechs Jahren. Im Vergleich zu 2011 betrug der Rückgang 7 Prozent.

Rund drei Viertel des weltweiten Rückgangs seien auf die Situation in Japan nach der Erdbebenkatastrophe vom März 2011 zurückzuführen, schreiben die Studienautoren des World Nuclear Industrie Status Reports weiter. Als Folge davon sind sämtliche Reaktoren des Landes für Sicherheitsprüfungen abgeschaltet worden. Derzeit sind in Japan lediglich zwei der vormalig 44 Reaktoren in Betrieb. Vier sollen noch in diesem Sommer wieder ans Netz gehen.

Neben Japan fuhren 16 weitere Länder ihre Atomstromproduktion zurück - inklusive der fünf großen Atomstaaten USA, Frankreich, Deutschland, Südkorea und Russland.

In den letzten zehn Jahren seien zwar 34 neue Reaktoren ans Netz gegangen, gleichzeitig aber 53 heruntergefahren worden, halten die Studienautoren fest. Mit Stand Anfang Juli waren 66 Reaktoren im Bau, sieben mehr als im Juli des Vorjahres. Die durchschnittliche Bauzeit wird mit acht Jahren angegeben. Allerdings machen die Wissenschafter darauf aufmerksam, dass sich 9 der 66 Reaktoren seit mehr als zwanzig Jahren und weitere vier seit mehr als zehn Jahren als "im Bau" befinden.

Zudem seien mindestens 23 von Bauverzögerungen betroffen. Und, so die Autoren, 54 Prozent der Projekte hätten kein offizielles, bei der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) gemeldetes, Datum für den Baubeginn. Die Bauzeit der 34 neu in Betrieb genommenen Reaktoren betrug laut Report durchschnittlich 9,4 Jahre.

Die Baukostenschätzungen erhöhten sich im vergangenen Jahrzehnt von 1.000 Dollar je Kilowatt installierter Leistung auf mittlerweile 7000 Dollar (für ein neues AKW der so genannten dritten Generation).

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