Verbindliche "Mini-Stresstests" für AKW

Verbindliche "Mini-Stresstests" für AKW
Abgeordnete und Umweltschützer kritisieren den Vorschlag der EU-Kommission als unzureichend.

Die EU-Staaten mit Atomkraftwerken (AKW) müssen künftig alle sechs Jahre eine europäische Überprüfung ihrer Nuklearanlagen sicherstellen. Damit werden die AKW-"Stresstests", die sich die EU nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 verordnete, nicht mehr im bisherigen Umfang weitergeführt. Die sechsjährigen Überprüfungen werden nach dem am Donnerstag vorgelegten Entwurf der EU-Kommission kleiner ausfallen, im Gegensatz zur bisherigen Praxis werden die "Mini-Stresstests" aber verpflichtend sein.

Die EU-Staaten müssen "gemeinsam und in enger Abstimmung mit der Kommission ein oder mehrere Themen in Bezug auf die nukleare Sicherheit ihrer Nuklearanlagen auswählen". Sollten sich die Aufsichtsbehörden nicht einigen, kann die Kommission die Tests verordnen. Die EU-Kommission könnte nach der neuen Richtlinie auch rechtlich gegen die Länder vorgehen, die Empfehlungen der europäischen Überprüfungsteams ("Peer review") nicht umsetzen. Eine regelmäßige Sicherheitsüberprüfung müssen die EU-Staaten zusätzlich alle zehn Jahre durchführen.

132 Reaktoren

In der EU sind derzeit 132 Reaktoren in Betrieb - etwa ein Drittel der weltweit 437. Insgesamt 14 EU-Staaten betreiben Atomkraftwerke: Belgien, Bulgarien, Tschechien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Ungarn, die Niederlande, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden und Großbritannien. Die meisten Meiler gibt es in Frankreich (58) und Großbritannien (19). Insgesamt vier neue Reaktoren werden derzeit in Finnland, Frankreich und der Slowakei gebaut. Pläne für den Bau neuer Atomkraftwerke gibt es überdies in Bulgarien, Tschechien, Finnland, Frankreich, Litauen, den Niederlanden, Polen, Rumänien und Großbritannien.

Im Fall eines Unfalls oder eines Zwischenfalls, der Notfallmaßnahmen oder einen Schutz der Öffentlichkeit erfordert, soll binnen sechs Monaten eine "Peer review" durchgeführt werden. Die Richtlinie soll überdies minimale Transparenzvorschriften garantieren. So müssten die EU-Staaten sicherstellen, dass die Öffentlichkeit frühzeitig Möglichkeiten erhält, in die Genehmigung von Nuklearinstallationen einbezogen zu werden.

Außerdem müssen die Staaten aktuelle und rechtzeitige Informationen über die nukleare Sicherheit und Risiken von Anlagen den Arbeitern und der Öffentlichkeit bereitstellen, "unter besonderer Berücksichtigung derjenigen, die in Nachbarschaft einer Nuklearanlage leben". Betreiber und Behörden müssen demnach eine Transparenzstrategie entwickeln und im Fall von "abnormalen Vorfällen und Unfällen" kommunizieren. Bisher sei die EU-Kommission bei Informationen vollständig auf das Wohlwollen der EU-Staaten angewiesen, weil nukleare Sicherheit weitgehend eine nationale Angelegenheit sei, hieß es in der EU-Behörde.

25 Milliarden Euro Nachrüstungsbedarf

Nach den im vergangenen Oktober abgeschlossenen "Stresstests" hat die EU-Kommission gravierende Mängel festgestellt. Den gesamten Sicherheits-Nachrüstungsbedarf für alle Atomkraftwerke in Europa verortete die EU-Behörde in der Größenordnung von 10 Milliarden bis 25 Milliarden Euro.

Über die Richtlinie entscheiden die EU-Staaten mit Mehrheit, spätere Änderungen müssen aber einstimmig vereinbart werden. Das Europaparlament kann nur eine nicht-bindende Stellungnahme abgeben. Abgeordnete und Umweltschützer kritisierten den Vorschlag als unzureichend. "Diese neuen Regeln helfen wenig dabei, ein europäisches Fukushima auszuschließen", erklärte Greenpeace-Sprecher Jan Haverkamp.

Der ÖVP-Europaabgeordnete Paul Rübig forderte eine unabhängige EU-Atomaufsichtsbehörde "mit Abschalt-Befugnis". Die Chefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, kritisierte Oettingers Vorschlag als völlig unzureichend. Oettinger bereite damit nur eine Laufzeitverlängerung von Kraftwerken vor. Es sei unfassbar, dass sich die EU-Kommission "mit einer zitzerlweisen Überprüfung der Aufsichtsbehörden zufrieden gibt, anstatt auf jährlichen allumfassenden Sicherheitsüberprüfungen der Atomkraftwerke selber besteht", kritisierten Roland Egger und Gabriele Schweiger von der Initiative "atomstopp_oberoesterreich".

Berlakovich kritisiert EU-Entwurf

Verbindliche "Mini-Stresstests" für AKW
Auch UmweltministerNikolaus Berlakovichkritisiert den Richtlinienentwurf. "Mit der Entscheidung der Europäischen Kommission verkommen damit die Stresstests zu einer Einmal-Aktion", sagte Berlakovich am Donnerstag laut Aussendung. Die Kommission gebe sich mit einer Minimalvariante in Form von Peer-Reviews zufrieden.

"Die berechtigte Forderung der Bevölkerung, wie es konkret um die Sicherheit der europäischen AKWs steht, bleibt damit unbeantwortet. Hier muss mehr kommen“, betonte Berlakovich. "Die Stresstests haben klar gezeigt, dass bei allen AKWs in Europa Nachrüstbedarf in der Höhe von bis zu 25 Milliarden Euro besteht. Es ist auch längst überfällig, dass die Staats- und Regierungschefs mit dem Thema befasst werden", so Berlakovich. "Das ist ein Auftrag an alle Mitgliedstaaten: Nachrüsten oder Abschalten."

Der Umweltminister kritisierte außerdem, dass der Vorschlag keine Haftungsfragen beantworte.

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