Kroatien entpuppt sich als Sorgenkind der EU

epa02792825 Croatian and the EU flag are seen on Croatia's parliament building at the St. Mark square in Zagreb, Croatia, 24 June 2011. The EU Council gave the green light in Bruxelles for Croatia to finish negotiation with the EU and join the union, with membership likely to start first on July 2013. Croatia celebrates the 20 years of independence after it part ways with former Yugoslavia. EPA/ANTONIO BAT
Der Ausblick für das jüngste Mitgliedsland ist deutlich weniger rosig, als die dortige Regierung glauben machen will.

Zur Feier des EU-Beitritts ließ sich Kroatiens Statistikbehörde DZS nicht lumpen: Am 1. Juli legte sie eine 196-Seiten-Broschüre auf, die von Fischfang bis Müllentsorgung kaum Fragen offen lässt. Ausgerechnet in einem hochsensiblen Bereich hat das „Statistische Porträt Kroatiens in der EU“ aber einen Schönheitsfehler: Die Zahlen zu Budgetdefizit und Staatsschuldenquote stammen aus dem Jahr 2009 (!).

Der Grund: Die EU-Statistikbehörde Eurostat in Luxemburg verfügt selbst über keine aktuelleren Zahlen. Zumindest über keine, die EU-Standards genügen . Die erste „Notifizierung“ – also nach Eurostat-Regeln beglaubigte Veröffentlichung der Daten – ist am 1. Oktober 2013 fällig, erklärt Eurostat-Sprecher Tim Allen. Erst mit dem Beitritt verpflichten sich EU-Länder, ihr Zahlenwerk auf Vordermann zu bringen.

„Präzise vorbereitet“

Kroatien entpuppt sich als Sorgenkind der EU
Die Vorarbeiten laufen schon lange. 2012 war Kroatien als Beobachter bei allen vier Sitzungen der EU-Statistikbehörden dabei. Und: Das Land hat freiwillig am „Europäischen Semester“ teilgenommen. Dabei stellt Brüssel der Wirtschaftspolitik jedes Landes ein Zeugnis aus. Der Bericht der EU-Beamten vom 29. Mai 2013 bemängelt allerdings auch eine dürre Datenlage: Hinter Punkten wie Gesamtschulden, staatliche Haftungen oder Finanzen lokaler Behörden blieben Fragezeichen.Hatte die Kommission zum Zeitpunkt des EU-Beitritts gar keinen Überblick über Kroatiens Finanzlage? Den Vorwurf lässt Simon O’Connor, Sprecher von Kommissionsvizechef Olli Rehn, nicht gelten. „Kroatien hat sich präzise auf den EU-Beitritt vorbereitet“, antwortet er auf die KURIER-Frage. Es habe einen engen wirtschaftlichen Dialog gegeben; der politische Wille zu Strukturreformen sei gestärkt worden. Der Bericht von Mai gebe Zagreb eine „umfassende Konsolidierungsstrategie“ in die Hand. Sobald die Zahlen vorliegen, werde die Kommission die Budgetpläne prüfen.

Insider sehen den sehr kritischen Bericht als positives Signal: „Wenn Kroatien seine Obstbäume anders zählt, wird Brüssel kein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Bei Fiskaldaten schaut die Kommission jetzt ganz genau hin.“ Eine Lehre aus dem Debakel mit Athens geschönten Haushaltszahlen.

Absturz auf Ramsch

So schlimm steht es um Kroatien nicht – Anlass zur Sorge gibt es aber. Seit gut vier Jahren schrumpft die Wirtschaftsleistung. Die Schulden klettern rasch in Richtung der Obergrenze von 60 Prozent des BIP. Und das Defizit dürfte die 3-Prozent-Latte klar reißen und eher bei 4 Prozent liegen. Gleich nach dem EU-Beitritt droht Kroatien somit ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits.

Die Finanzmärkte sind noch gnädig. Die Zinsen für Staatsanleihen sind seit dem EU-Beitritt leicht gesunken – von 5,3 auf 5,1 Prozent. Ein Ruhepolster ist das nicht. Zwei Ratingagenturen bewerten die Papiere bereits als hochriskant („Ramsch“). Auch bei Fitch droht Kroatien den nur minimal abgesicherten Investmentrang zu verlieren. Die Agentur warnte vorige Woche, die Regierung lasse Reformeifer und mittelfristige Konzepte vermissen, um das Budget in den Griff zu kriegen.

Die Regierung des sozialdemokratischen Premiers Zoran Milanovic sieht die Lage wohl zu rosig. Im April erwartete sie 0,7 Prozent Plus heuer und für 2014 sogar 2,4 Prozent. Internationale Experten prophezeien übereinstimmend ein Minus 2013 und ein Mini-Plus 2014. Kein Wunder, dass Zagrebs Prognosen selten halten.

Just Ende Juni wurde übrigens der langjährige DZS-Chef abgelöst. Der neue Statistik-Generaldirektor hat raketenhaft Politkarriere gemacht: Der 33-Jährige war zuvor Vize-Arbeitsminister. Auf ihn wartet viel Arbeit.

Der größte ausländische Investor in Kroatien ist Österreich: Seit 1993 addieren sich die Direktinvestitionen auf 7,16 Milliarden Euro. Dahinter folgen die Niederlande mit 4,0 und Deutschland mit 3,1 Milliarden. Ungarn ist mit 2,5 Milliarden auf Platz vier, da fällt die Beteiligung der ungarischen MOL am Energiekonzern INA ins Gewicht.

Die Krise ließ die Investitionen dramatisch einbrechen: Sie fielen vom Rekordwert 4,2 Milliarden Euro (2008) schlagartig auf 318 Millionen (2010) – ein Minus von gut 92 Prozent. Seither pendelten sie sich bei rund 1 Milliarde ein. 2013 verspricht besser zu werden: Im ersten Quartal flossen nach vorläufigen Zahlen 460 Millionen ins Land.

KURIER: Steigende Schulden, hohes Defizit: Verkennt Kroatiens Regierung den Ernst der Lage?

Vladimir Preveden: Die Regierung hat die halbe Amtszeit hinter sich und steht unter Erfolgsdruck. Sie versucht, vieles positiver zu kommunizieren, als es ist. Das ist verständlich, das tun viele Regierungen. In Kroatien verstärkt der Sommer den Optimismus, weil die Arbeitslosigkeit saisonal bedingt natürlich sinkt.

Kroatiens Statistiken stießen auf viel Kritik. Könnten da böse Überraschungen drohen?

Das glaube ich nicht. Das Monitoring war rigoroser als bei früheren EU-Anwärtern. Alle großen Themen sind adressiert. Das Land ist aber in keiner vorteilhaften Lage. Andere EU-Kandidaten hatten vor dem Beitritt ein um zwei Prozentpunkte höheres Wachstum als danach. Diese Effekte hatte Kroatien leider nicht – das Land steckt seit viereinhalb Jahren in der Rezession.

Was sind die größten Probleme?

Die Wettbewerbsfähigkeit ist zu gering. Die Unternehmen müssen internationaler werden, starke Partner finden, unrentable Firmen gehören geschlossen.

Wie läuft Kroatiens Tourismus?Der Tourismus ist der größte Wirtschaftsbereich, aber kaum profitabel. Die Nächtigungen nehmen zu, aber die Einkommen verschlechtern sich seit 2008. Da wurde zu sehr auf Billigtourismus gesetzt. Unerfahrene Manager senken noch dazu mitten in der Saison die Preise. Und es fehlen Pläne, um Regionen gezielt für Gäste interessant zu machen – ob Mountainbiker, Golfer oder Luxustouristen.

Österreich ist größter Investor, andere Länder zögern. Warum?

Die Investitionen sind zwischen 2008 und 2010 dramatisch eingebrochen, um 92 Prozent. Was völlig fehlt sind Investitionen auf der grünen Wiese, wo Produktionsstätten neu errichtet werden. Davon haben andere Länder in Mittel- und Osteuropa sehr profitiert. Kroatiens Arbeitskräfte waren vergleichsweise zu teuer, das Rechtsumfeld zu unsicher.

Wo wurde bisher investiert?

Bei Dienstleistungen wie Banken, Telekom, Tourismus, Handel. Diese Investments fließen jetzt aber nur noch selektiv. Anstehen könnten Übernahmen: Was mit dem Energiekonzern HEP oder der Bahn passiert, ist offen.

Was darf sich Kroatien vom EU-Beitritt erwarten?

Es wäre sinnlos, EU-Förderungen mit der Gießkanne auf die verlustträchtige Textil-Industrie oder Schiffswerften zu verteilen. Wertschöpfung kann Kroatien mit EU-Hilfe in vier Bereichen entwickeln: Der Tourismus braucht eine Ganzjahressaison. Das lässt sich ideal kombinieren mit Bio-Landwirtschaft: Riesige Flächen sind unbearbeitet. Potenzial steckt in der Informationstechnologie – wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit von 43 Prozent gründen viele Junge interessante Start-ups. Auch bei Erneuerbarer Energie, von Wind über Fotovoltaik bis Biomasse, lässt sich viel machen.

Lückenhafte Budgetdaten: Wer denkt da nicht sofort an Griechenland? Der Vergleich wäre für Kroatien aber ungerecht, falsch und gefährlich: Zagreb hat nichts manipuliert. Es gibt schlicht noch keine EU-geprüften Angaben zu Defizit und Schuldenstand. Klingt erstaunlich, ist aber gesetzeskonform: Erst seit dem Beitritt sind die Kroaten verpflichtet, EU-Regeln einzuhalten.

War das Land denn überhaupt fit für die EU? Die Frage verkennt die Realität: Der Beitritt ist nicht die Endstation, sondern eine Art Zwischenetappe auf dem Weg zur EU-Reife. Wäre das anders, wäre die Union sehr viel kleiner – und die Osterweiterung hätte nie stattgefunden.

Kroatien hat sich erstaunlich entwickelt. Es ist weniger als 20 Jahre her, dass Zehntausende Menschen in den Balkankriegen ihr Leben verloren. Dennoch: Es wäre fatal, wenn sich die aktuelle Regierung auf dem Erreichten ausruht. Die Wirtschaft ist im Umbruch, die Märkte haben ein kritisches Auge auf die Staatsfinanzen. Zweifel an den Zahlen kann sich Zagreb nicht leisten.

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