AT&S-Chef Gerstenmayer: "Setzen gerade einen Plan B auf"
Der CEO des heimischen Leiterplattenkonzerns über den Ersatz von Russen-Gas in seinen Werken, Asien-Expansion in Zeiten der Krise und Migration als Lösung gegen den Fachkräftemangel.
Der steirische Leiterplattenhersteller rüstet sich für mögliche Produktionsausfälle wegen Energie- und Rohstoffengpässe. Im Interview mit dem KURIER verrät Vorstandschef Andreas Gerstenmayer, wie er sich auf die Folgen von Ukraine-Krieg und Sanktionen vorbereitet, warum er groß in Asien expandiert und wie Europa die Chip-Industrie stärken kann.
KURIER: Wie ist AT&S vom Krieg in der Ukraine betroffen?
Andreas Gerstenmayer: Wir sind zunächst einmal menschlich betroffen. Das ist eine humanitäre Katastrophe. Was das Geschäft angeht: Wir haben in Russland und der Ukraine keine Kunden und auch keine Hauptlieferanten. Unser Thema ist die Energieversorgung.
Wenn das Gas abgedreht wird, was dann?
Wir setzen gerade einen Pan B auf. Das Werk in Fehring könnten wir uns mit Fernwärme von einer nahegelegenen Anlage versorgen. Und in Leoben würden wir notfalls rasch ein Aggregat mit Dieselantrieb errichten.
Was halten Sie von den Sanktionen?
Es gibt keine Alternative. Aufgrund der Rückwirkungen muss der Westen aber mit Konsequenzen rechnen.
Droht uns also eine Wirtschafskrise?
Die Inflation ist wegen der Energiekosten so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Sie wird weiter steigen. Mit allen Folgewirkungen. Bei weiterer Eskalation droht ein Rezessions-Risiko.
Wie sehr wird Russland die High-Tech-Sanktionen spüren?
Mikroelektronik beziehungsweise Mikroprozessoren kommen in Russland ganz stark aus den USA und Taiwan. Das wird viele Bereiche treffen. Etwa auch die Waffenindustrie.
AT&S hat Werke in China. Was, wenn China eines Tages Taiwan angreift.
Eine derartige Eskalation kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. China funktioniert nicht nach unseren Denkmustern. Militärische Expansion ist mit ganz wenigen Ausnahmen nicht Teil der chinesischen Geschichte. Aber ja: Für Peking ist Taiwan ein Teil Chinas. Viel wird da vom Verhältnis zu den USA abhängen.
Wie sehen Sie Chinas Machtbestrebungen?
Da tun sie nichts anderes als der Westen. Die USA und Europa sind ganz erstaunt darüber, dass China einen Anspruch erhebt, den der Westen seit Jahrhunderten erhebt. Das erstaunt wiederum mich.
Unternehmen
Die Austria Technology & Systemtechnik AG (AT&S) ging 1987 aus der Privatisierung mehrerer verstaatlichter Industriebetriebe durch die Investoren Hannes Androsch und Will Dörflinger hervor. Beide halten über ihre Privatstiftungen jeweils 18 Prozent am börsenotierten Unternehmen, der Rest ist in Streubesitz.
AT&S zählt zu den führenden Herstellern von Leiterplatten und IC Substraten der Welt. Die Produktionsstandorte befinden sich in Leoben und Fehring in Österreich, in China (Chongqing, Shanghai), Korea (Ansan nahe Seoul) und Indien (Nanjangud). Ein weiteres Werk wird gerade in Kulim/Malaysia gebaut. Insgesamt werden 12.000 Mitarbeiter beschäftigt, 1.500 davon in Österreich.
Halbjahreszahlen
Im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres stieg der Umsatz um 30 Prozent auf 698 Mio. Euro, der Nettogewinn erhöhte sich ebenfalls um 30 Prozent auf 18 Mio. Euro.
Andreas Gerstenmayer
Andreas Gerstenmayer (57) ist seit 2010 Vorstandsvorsitzender und derzeit auch interimistischer Finanzvorstand. Zuvor war der Diplomingenieur 18 Jahre lang im Siemens-Konzern tätig, etwa als GF der Siemens Transportation Systems Gmbh.
Ist es nicht gerade jetzt ein Vorteil, stark in Ostasien präsent zu sein, wo in Europa Krieg und Krise herrschen?
Also wir sind weder Kriegs- noch Krisengewinnler. Das weise ich entschieden zurück. Wir sind schon vor 20 Jahren nach Asien gegangen, weil dort in Sachen Elektronik einfach gesagt die Musik spielt. Dort sind die Kunden, das Knowhow, die Lieferketten, die Facharbeiter.
Sie investieren aktuell in China, Malaysia und Österreich. Wo funktioniert es am besten?
In China hat man alle erdenklichen Unterstützungen. Die Bürokratie ist effizient und schnell. Das gilt auch für Malaysia. Und Österreich? Na ja.
Wir sind dafür eine Demokratie.
Man kann auch in einer Demokratie eine effiziente Verwaltung haben. Zum Vergleich: Wenn ich in Österreich ein Bürogebäude errichte, braucht es dafür zwei Jahre. Im chinesischen Congqing haben wir für ein Produktionsgebäude mit 60.000 Quadratmetern 16 Monate gebraucht, samt Infrastruktur.
Bereuen Sie die Großinvestition in Leoben?
Überhaupt nicht. Aber in Ostasien ist man Großprojekte gewöhnt. In Malysia hat man einen One-Stop-Shop. Also einen Ansprechpartner, der alle verwaltungstechnischen Angelegenheiten managt.
Leiterplatte: Die Leiterplatte ist der Träger, auf dem die verschiedenen Komponenten montiert werden. Eine klassische Leiterplatte ist das Motherboard des Computers. Leiterplatten finden sich aber in nahezu allen elektronischen Geräten in verschiedenen Größen und Formen.
IC-Substrate: Diese Schicht liegt zwischen der Leiterplatte und den Chips. Chips haben eine Nanometerstruktur, Leiterplatten eine Mikrometerstruktur. Die IC-Substrate fungieren als „Übersetzer“. Sie ersetzen die alte Verbindungsmethode, bei denen die Chips seitlich mit Drähten mit den Leiterbahnen der Leiterplatte verbunden wurden. Dadurch wird Platz gespart und Geräte können kleiner gebaut werden (Miniaturisierung).
Substrat-ähnliche Leiterplatten: Sind Leiterplatten, mit feineren Mikrometerstrukturen und mehr Anschlüssen als herkömmliche Leiterplatten. Sie ermöglichen „Packaging“ – das Zusammenfassen von Chips und anderer Komponenten in ein Gehäuse. Der kleinere Formfaktor wird etwa für Wearables und Internet-der-Dinge-Anwendungen genutzt.
Sie brauchen in Leoben 700 neue Leute und suchen dafür sogar auf den Philippinen. Wie gut oder schlecht ist die Facharbeiterausbildung in Österreich?
Das duale System ist eine Vorrangstellung, die wir nur in Österreich und Deutschland sehen. Die HTL ist überhaupt eine Erfolgsgeschichte. Dass die HTL-Ausbildung international kaum anerkannt wird, ist schade. Fazit: Wir können stolz auf unsere Ingenieurs-Ausbildung sein. Es gibt hier nur zu wenig davon.
Warum?
Weil man in der Gesellschaft nur etwas wert ist, wenn man die Matura und etwas studiert hat. Das ist ein Fehler. Wer eine praktische Begabung hat, soll eine Lehre machen.
AT&S zahlt Mitarbeitern 1.000 Euro, wenn sie neue Kollegen finden.
Dieses Modell ist international üblich. Warum also nicht?
Ist der Facharbeitermangel eine Wachstumsbremse.
Definitiv. Und zwar für ganz Europa.
Die Lösung?
Ist Migration. Also der Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften.
Dafür gibt es die Rot-Weiß-Rot-Karte.
Ja eh. Aber da entscheidet nicht das Unternehmen, ob der Mitarbeiter qualifiziert ist, sondern es entscheiden Politik und Verwaltung. Da ist ein Problem
Bis 2030 soll ein Fünftel aller Mikrochips aus Europa kommen, weshalb die EU-Kommission die lokale Industrie stärken will. Super?
Europa hat das Thema Mikroelektronik versäumt. Wir haben weder bei Datenspeicherung, Cloud-Services, Datenverarbeitung in Europa relevante Anteil. Aber endlich passiert etwas. Nur: Mit den budgetierten 43 Milliarden Euro für die Halbleiterindustrie werden wir in Europa da aber nicht autark werden. China investiert im Gegensatz dazu zwischen 150 und 300 Mrd. Euro. Trotzdem sind sie noch nicht wettbewerbsfähig im Bereich der Mikroprozessoren.
Man wird sich also auf bestimmte Bereiche fokussieren müssen. Worauf?
Ich hab dazu eine Meinung und glaube, dass etwa der Bereich Chip-Design und Packaging, hier geht es um Patente und Know How, gestärkt werden muss. Es kommt aber auch darauf an, wie sich die Regierung in Sachen Chip Act positioniert. Eine Idee hier wäre ein europäisches Kompetenzzentrum für Packaging in Österreich.
Ist Covid noch ein Thema?
Wir haben vor zwei Jahren sofort und umfassende Maßnahmen durchgeführt. Das hat in allen Werken die Krankheitsfälle bis heute stark minimiert und auch zu keinerlei Produktionsausfällen geführt.
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