Aufregung um dubiosen Drohbrief an Sport-Stars

Der Verfasser kündigte an, Skistar Bernadette Schild und Skeleton-Ass Janine Flock zu entführen.

Harsch ist mit im Gepäck. Er sollte ursprünglich nur Glück bringen, nun darf er auch beschützen. Harsch ist ein Stofftier, eine Mischung aus Hase und Hirsch, und flog am Dienstag im Rucksack von Skeleton-Europameisterin Janine Flock mit nach Sotschi. Es wurde gedroht, dass sie bei den Olympischen Spielen in Sotschi entführt werde.

Aufregung um dubiosen Drohbrief an Sport-Stars
APA16786510 - 04022014 - SCHWECHAT - ÖSTERREICH: Die Skeleton-Athletin Janine Flock am Dienstag, 04. Februar 2014, vor ihrem Abflug nach Sotchi am Flughafen Wien-Schwechat APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Ist das nun ein schlechter Scherz oder doch ernst zu nehmen? Zumindest die dienstägige Farce war ein schlechter Scherz. Denn als zweite bedrohte Sportlerin wurde der Name Marlies Schild kolportiert. Wie sich später herausstellte, handelt es sich aber um deren Schwester Bernadette.

"Es ist richtig, dass ein Brief eingegangen ist. Er war gestern im Briefkasten. Wir haben sofort das Bundeskriminalamt eingeschaltet, das die Erhebungen macht", erklärte am Vormittag Peter Mennel, der Generalsekretär des ÖOC.

Das ÖOC war offensichtlich um Beruhigung bemüht, sickerten doch erst kurz nach dem Abflug einiger Funktionäre und Sportler die Information von der Drohung durch. Im Flieger saßen Mennel und Flock. "Ich habe vor dem Abflug mit der Janine ein Gespräch geführt." Kurz nach Mittag meldete sich Marlies Schild, die erst in zwei Wochen nach Sotschi fliegt, zu Wort. "Das ist nicht lustig und nicht okay, dass man nicht zuerst mich informiert hat." Sie war gar nicht betroffen. Mennel: "Die Bernadette Schild wurde bedroht, aber nicht die Marlies Schild. Und die Bernadette Schild haben wir informiert."

Nach der Landung in Sotschi sagte Janine Flock: "Ich denke nicht groß über die Sache nach. Ich bin hier, um mich auf den Sport zu konzentrieren."

Schild verstört

Aufregung um dubiosen Drohbrief an Sport-Stars
Der bittere Beigeschmack bleibt: Warum wusste ein Medium schon von der Existenz des Drohbriefs, noch bevor die richtigen Betroffenen informiert worden waren? Mennel: "Wir verurteilen aufs Schärfste, dass wir dem Innenministerium und dem Bundeskriminalamt eine derartige Mitteilung machen, die dann innerhalb von einigen Stunden an die Öffentlichkeit kommt."

Der Brief war nicht die erste Drohung: Bereits am 20. Jänner ging ein eMail ein, in dem mit Anschlägen in Sotschi gedroht wurde. "Das war ein Fake von einem Absender aus Israel. Ein Trittbrettfahrer, der seit einigen Jahren mit diversen Drohungen aktiv ist", sagte ÖOC-Pressesprecher Wolfgang Eichler damals.

Den Brief vom Montag nimmt man ernster. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) untersucht derzeit das Schreiben, das in einwandfreiem Deutsch verfasst und in einem unverschlossenen Kuvert in den Briefkasten geworfen wurde.

320 Österreicher

Was nicht unbedingt für tschetschenische Terroristen spricht und die allgemeine Hysterie etwas relativierte. Trotzdem wurden auch die russischen Behörden informiert. Denn für die Sicherheit bei den Spielen sind das Organisationskomitee und das Veranstalterland verantwortlich, auch für das rund 320 Personen umfassende österreichische Aufgebot.

Das Innenministerium hat zwei Verbindungsbeamte und zwei unbewaffnete Beamte des Einsatzkommandos Cobra nach Sotschi geschickt. Sie werden dort mit den russischen Behörden in Kontakt stehen. Ein Verbindungsbeamter ist in Sotschi, der andere in den Bergen, wo auch die Cobra-Beamten sind.

Österreichs Olympia-Teilnehmer:

Es muss am 5. Februar 1972 gewesen sein: Der von Olympia ausgeschlossene Karl Schranz befand sich gerade auf dem Flug von Sapporo nach Tokio, als ein Unbekannter in Wien bei mir, dem Nachtredakteur, ins Telefon schrie, er werde vor dem KURIER-Haus eine Bombe zünden. Am selben Abend drohte ein anderer, er werde den Reporter, der „unseren Karli “ zu wenig unterstützt und das „IOC-Pack“ zu wenig attackiert habe, eigenhändig umbringen.

Schon damals lautete die quälende Frage: gefährlicher Choleriker oder perverser Spaßvogel? Alarm schlagen oder ignorieren?

Inzwischen sind die Vorsichtsmaßnahmen professioneller. Inzwischen haben jedoch auch unberechenbare Typen viel mehr Möglichkeiten, um ihre irren Spielchen zu realisieren oder sie zumindest medienwirksam zu platzieren.

Eines jedenfalls hat jene Person (oder Gruppe), die via Post ans ÖOC vor einer Entführung von Bernadette Schild und Skeleton-Europameisterin Janine Flock warnte, schon erreicht:

lautes Echo. Wobei quer durch Online- und andere Foren trotz gleich bescheidenem Informationsstand auf das Wildeste spekuliert wird. So, als gäbe es auch für Exklusivberichte Medaillen. Dass in ersten offiziellen Meldungen Marlies mit Bernadette verwechselt wurde, entpuppte sich obendrein als Schildbürgerstreich.

Den Athleten kann man’s jedenfalls nicht verübeln, wenn sie sich abkapseln. Oder wenn sie Äußerungen in der Öffentlichkeit über umstrittene Gesetze und politische Ungereimtheiten vermeiden. Marlies Schild galt diesbezüglich stets als die personifizierte Vorsicht. Als eine, die jedes Wort auf die Waagschale legt. Und anfänglich bei Interviews Schwester Bernadette ermahnte, wenn die jüngere Schild unbekümmert Rede und Antwort stand.

Wie seine Langzeitfreundin Marlies lässt sich auch Benjamin Raich selten bis nie zu kühnen Meldungen vor Mikrofonen hinreißen. Ein Jahrzehnt lang war Raich Österreichs vielseitigster und erfolgreichster Skirennläufer. Nur hat ihm sein Fleiß nebst vielen Medaillen auch hartnäckige Rückenschmerzen beschert.

In Sotschi wird er deshalb nicht im Kombi-Bewerb antreten (obwohl er Österreichs aussichtsreichster Kandidat wäre) und damit dem Österreichischen Skiverband auch einen Kniefall vor der FIS ersparen, zumal Raich aufgrund einer neuen, kuriosen FIS-Regel die automatische Starterlaubnis für Olympia (wegen zu weniger Abfahrtsresultate) fehlt.

Raich wird sich nach seinem Kombi-Nein eine verfrühte Anreise ersparen und daher bei der Eröffnungszeremonie (die statt im ORF bei ATV zu sehen ist) am Freitag auch nicht – wie ursprünglich geplant – die österreichische Fahne tragen.

Der 36-Jährige wird bei seinen vierten und letzten Spielen in Riesentorlauf und Slalom starten. Die Torläufe finden bei Herren wie Damen nach den Speed- und Kombi-Bewerben statt.

Raich wird deshalb ebenso wie die Schild-Schwestern erst in der zweiten Woche nach Sotschi fliegen.

Dann, wenn hoffentlich der Sport wieder die Sportseiten dominiert.

Da soll noch irgendeiner behaupten, in Sotschi werde kein Wert auf den Umweltschutz gelegt. Und wie bei diesen Olympischen Spielen auf die Umwelt geachtet wird. Zugegeben, die Natur hat in den letzten Jahren augenscheinlich unter dem russischen Größenwahn leiden müssen, aber auf den zweiten Blick sind die Spiele von Sotschi so grün, dass man vor lauter Sicherheitsleuten in Tarnuniform beinahe den Wald nicht mehr sieht.

Der Weg vom Flughafen Adler nach Krasnaja Poljana ist gesäumt von Militär-Stellungen. In den Wäldern im Tal der Mzymta haben sich während Olympia Tausende Soldaten verschanzt. Sie verbringen die Winterspiele in Zelten und unter kleinen Planen und haben sich große Mühe gemacht, ihre Behausungen professionell zu tarnen – ein Umwelt-Schutz der etwas anderen Art.

Die Polizisten treten dafür umso mehr in Erscheinung. Am Ufer der Mzymta hat alle hundert Meter einer von ihnen Position bezogen, wobei dabei nicht immer klar wird, was oder wen die vielen Sicherheitskräfte da tatsächlich beschützen.

Kontrollwahn

Die richtig strengen Kontrollen finden an den neuralgischen Punkten statt. Wer zwischen Krasnaja Poljana und Sotschi einen Bahnhof betreten will, muss durch eine Sicherheitsschleuse; in den Zügen patrouillieren Polizisten. Und jeder, der vor Ort einen olympischen Wettkampf verfolgt, muss zumindest einmal durch den Scanner – auch den Athleten bleibt dieses Procedere nicht erspart.

Ähnlich penibel wird in den großen Hotels kontrolliert. Beim Eingang wartet nicht der Portier, sondern ein Sicherheitsmann mit Metalldetektor, Scanner haben die Hotelpforten ersetzt. In der Region wurden in den letzten Monaten 5500 Überwachungskameras installiert.

Insgesamt machen weit mehr als 60.000 Uniformierte die Schwarzmeerregion zu einer Hochsicherheitszone mit Totalüberwachung. Kremlchef Wladimir Putin, der selbst einst den Inlandsgeheimdienst FSB führte, will in Sachen Sicherheit nichts dem Zufall überlassen, seit der Islamisten-Führer Doku Umarow mit Anschlägen drohte. Er wolle Olympia mit "allen Mitteln, die Allah erlaubt" verhindern.

Krisenregion

Verstärkt wurde die Angst durch die Terroranschläge in Wolgograd Ende Dezember. Mehr als 30 Menschen starben, die Selbstmordattentäter haben auch Sotschi im Blick. Die Männer stammten vermutlich aus der russischen Teilrepublik Dagestan. Das islamistisch geprägte Konfliktgebiet im Nordkaukasus liegt nicht weit von Sotschi entfernt.

Angesichts der Drohungen entsandte das US-Pentagon zwei Kriegsschiffe vor die Küste von Sotschi. Der russische Geheimdienst FSB will mit dem technischen System SORM nicht nur Mobilfunktelefonate und eMails überwachen, sondern auch Chatrooms im Internet.

Eine kleine Auswahl jener Zelte, die entlang der Bahnlinie von Adler hinauf in den Mountain Cluster um Krasnaja Poljana stehen:

Nach dem Drohbrief, den das ÖOC am Montag erhalten hat, äußerte sich ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel nach seiner Ankunft in Sotschi gegenüber der APA.

Es sind heute sehr unerfreuliche Nachrichten bekannt geworden. Hat es große Unruhe im Flugzeug gegeben oder wie stellt sich die Situation dar?
Peter Mennel: Es gab im Flugzeug keine Unruhe, das muss ich bestreiten. Ich habe vor dem Abflug mit der Janine ein Gespräch geführt. Ich habe ihr den Stand der Ermittlungen bisher mitgeteilt und sie hat gesagt, sie hat kein Problem, sie fühlt sich sicher und sie ist überzeugt, dass das ÖOC die richtigen Maßnahmen setzt. Wir wissen, es ist derzeit keine akute Bedrohung.

Ist die Quelle die gleiche wie jene Drohung vor etwa zwei Wochen als sie eine Droh-E-Mail bekommen haben?
Ich kann zur Quelle keinerlei Auskünfte geben. Es wird derzeit vom Innenministerium untersucht und da habe ich noch keine Nachricht.

War es ein Brief oder eine E-Mail?
Es war ein Brief in einem unverschlossenen Kuvert bei uns im Briefkasten.

Es gibt also auch keinerlei Briefmarken oder ähnliche Hinweise, die darauf schließen lassen, woher das kommt?
Nein.

Marlies Schild wurde auch bedroht in diesem Brief...
Nein. Marlies Schild wurde nicht bedroht.

Also es ist nur die Janine Flock bedroht worden?
Nein, die Bernadette Schild wurde bedroht, aber nicht die Marlies Schild. Und die Bernadette Schild haben wir informiert.

Was hat Bernadette Schild dazu gesagt?
Sie fühlt sich auch sicher. Ich habe sie über den derzeitigen Ermittlungsstand informiert und ihr gesagt, dass es im Moment, das seitens des Innenministeriums erklärt wurde, dass es keine akute Bedrohung gibt.

Wie erklärt sich das ÖOC, das so eine Nachricht überhaupt nach draußen gelangt, wenn es sie gestern bekommen hat?
Das ist für uns äußerst bedauerlich und verurteilen wir aufs Schärfste, dass wir dem Innenministerium und dem Bundeskriminalamt eine derartige Mitteilung machen, die dann innerhalb von einigen Stunden an die Öffentlichkeit kommt.

Sie schließen aus, dass das aus dem ÖOC gekommen ist?
Ja, das kann ich mit hundertprozentiger oder tausendprozentiger - soferne es tausendprozentig gibt - Sicherheit ausschließen.

Darf ich trotzdem die Frage stellen, wie viele Menschen im ÖOC davon gewusst haben?
Im ÖOC haben vier Menschen davon gewusst.

Was bedeutet das jetzt für die Gesamtsituation? Es hat vorher schon Drohungen gegeben.
Wir nehmen das sehr ernst. Es ist eine akute Sache, die wir als ÖOC sehr ernst nehmen, das ist keine Frage. Darum sind wir auch da mit dem Innenministerium klar in Kontakt und versuchen, alles Mögliche zu tun.

Haben Sie jetzt die Gelegenheit beim Anflug auf Sotschi genützt, um mit den Sportlern über diese Thematik zu reden?
Natürlich. Ich habe alle Athleten und alle Betreuer, die im Flugzeug waren, auch darüber aufgeklärt, dass wir diesen Brief erhalten haben und auch die beiden Personen genannt, die bedroht wurden. Ich bin der Meinung, das steht den Athleten auch zu.

Geht man so weit, dass man sagt, man muss die Sicherheitsmaßnahmen jetzt hier vor Ort verstärken oder sind sie gut genug?
Wir haben bereits Sicherheitsmaßnahmen hier, wir haben ja üblicherweise bei den Olympischen Spielen immer Sicherheitsbeamte vor Ort. Es ist in London so gewesen, das war in Vancouver so. Wir haben hier noch zusätzlich für das Österreich-Haus zwei Cobra-Beamte und wenn es erforderlich sein wird, werden wir die zu einem zusätzlichen Schutz mit einbauen.

Wie werden Sie verhindern, dass dieses Thema jetzt die ganze Zeit über der Veranstaltung schwebt?
Wir bedauern es, dass es solche Leute gibt, die solche Briefe schreiben. Egal, ob sie sich bewusst damit auseinandersetzen oder nicht.

(Das Gespräch führte Gerald Widhalm/APA am Flughafen in Sotschi)

Kommentare