Sotschi im „Belagerungszustand“

30.000 Sicherheitskräfte, das heißt: Ohne Kontrolle geht in Sotschi, wenn man mit seinem Auto überhaupt hinkommt, gar nichts mehr
In der Olympiastadt gelten ab sofort strengste und teils absurde Sicherheitsmaßnahmen

Den Einwohnern der Olympiastadt Sotschi brachte das Weihnachtsfest, das die russische orthodoxe Christenheit am Dienstag beging, wenig Freude. Denn an diesem Tag traten verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in Kraft, die erst am 21. März – eine Woche nach Ende der Para-Olympischen Spiele – wieder aufgehoben werden. Und die haben es in sich.

Autos mit fremden Kennzeichen werden bereits an der Grenze zur Region Krasnodar gestoppt, zu der auch Sotschi gehört. Passieren dürfen nur Fahrzeuge, die „für die Durchführung der Olympischen Winterspiele und die Aufrechterhaltung des städtischen Lebens“ gebraucht werden und eine Sondergenehmigung haben. Alle nicht akkreditierten Wagen müssen an zwei „Grenzpunkten“ abgestellt werden, die laut Lokalzeitung Westi mindestens hundert Kilometer vom Stadtkern von Sotschi entfernt liegen.

In erhöhte Alarmbereitschaft wurden auch paramilitärischen Einheiten des Ministeriums für Katastrophenschutz in der Region versetzt. Eigene Olympia-Spuren auf den Straßen sollen Sotschi auf kürzestem Wege mit den Clustern verbinden, in denen sich die Wettkampfstätten befinden. Wer sie unbefugt benutzt, zahlt bis zu 120 Euro.

Mehr als 30.000 Sicherheitskräfte werden in der „heißen Phase“ die Zugänge der Stadt kontrollieren. Dort wird es mehrere Sonderzonen geben, wo Einwohner und Gäste sich weiteren polizeilichen Kontrollen unterziehen müssen.

Einkäufe weggenommen

Alexander Walow, Chefredakteur des unabhängigen Internet-Portals BlogSochi.Ru sprach von „Belagerungszustand“. So wird berichtet, dass Ordnungskräfte einer Frau die auf dem Weg nach Hause gekauften Lebensmittel abnahmen, als sie auf dem Bahnhof in den Nahverkehrszug nach Adler einsteigen wollte. Dort liegen der internationale Flughafen und die Eissport-Arena, wo auch die Eröffnungs- und Abschlussfeier stattfinden. Die Fahrgäste eines Überlandbusses wiederum mussten an der Grenze zur Region aussteigen und auf eine Weiterfahrgelegenheit in Autos mit örtlichen Kennzeichen warten.

Angesichts von Anschlagsdrohungen gegen die Olympischen Winterspiele hat der Verband der US-Skifahrer einen Evakuierungsplan für seine Sportler aufgestellt. Eine private Sicherheitsfirma halte während der Spiele vom 7. bis 23. Februar bis zu fünf Flugzeuge bereit, mit denen die US-Delegation ausgeflogen werden könne, berichtet USA Today. „Das ist ein einzigartiger Fall“, sagte der Chef der beauftragten Firma Global Rescue, Dan Richards, der Zeitung. „Normalerweise gibt es keine Wettbewerbe an Orten wie Sotschi.“

Die Sorge vor Gewalttaten ist durch zwei Selbstmordanschläge im 700 Kilometer entfernten Wolgograd gestiegen. Durch sie wurden Ende Dezember 34 Menschen getötet. Russlands Staatsfeind Nummer eins, der islamistische Rebellenführer Doku Umarow, hatte gedroht, das Sportfest „mit allen Mitteln“ zu verhindern.

Was für die Wirtschaft gelte, muss auch für den Sport gelten: Bundeskanzler Werner Faymann hat am Mittwoch nach dem Ministerrat seine Entscheidung verteidigt, im Februar zu den Olympischen Spielen nach Sotschi zu reisen. In vielen Ländern der Welt würden Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit nicht im selben Ausmaß geachtet wie in Österreich oder der EU - deswegen zu Hause zu bleiben, lehnte Faymann aber ab. Der Kanzler verwies auf Wirtschaftsreisen in entsprechende Regionen, "daher gilt das erst recht für den Sport".

Seine Werthaltungen vertrete er als österreichischer Regierungschef bei Auslandsreisen ebenso wie im eigenen Land, betonte er. Neben Faymann wird auch Verteidigungs- und Sportminister Gerald Klug (SPÖ) in Sotschi vertreten sein. International verzichten einige Spitzenpolitiker auf eine Reise zu den Spielen nach Russland, das wegen Menschenrechtsverletzungen und insbesondere wegen seines Umgangs mit Homosexuellen in der Kritik steht - der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck etwa hat seine Reise abgesagt.

Grünen-Kritik

Bundesrat Marco Schreuder, Bundessprecher der Grünen Andersrum, fordert Faymann auf, seine geplante Sotschi-Reise "unverzüglich abzusagen". Die Entscheidungen von Bundeskanzler bis Sportminister, die eine Reise zu den olympischen Winterspielen von hohen Repräsentanten der Republik erwägen, seien angesichts der Menschenrechtssituation in Russland unverständlich.

"Damit richtet Österreich dem russischen Präsidenten aus, dass eh alles so weiter gehen kann wie bisher, egal wie sehr Russland die Menschenrechte, insbesondere von Lesben und Schwule, missachtet", kritisierte Schreuder am Mittwoch in einer Aussendung. Dass die österreichische Außenpolitik nur noch Wirtschaftsinteressen vertrete, aber keine Menschenrechtsfragen mehr im Fokus habe, sei ein "verheerender Zustand".

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