Olympische Spiele im Big-Brother-Container

Kontrollwahn: Willkommen im olympischen Hochsicherheitstrakt. Athleten, Sportstätten und Fans werden rund um die Uhr überwacht.
Drohnen, U-Boote, Kampfjets und 60.000 Uniformierte, die Fans schreckt das Szenario ab.

Für Spätentschlossene und all jene, die immer noch Feuer und Flamme sind, dass die Olympischen Winterspiele in Sotschi stattfinden: An den Hotelzimmern und Eintrittskarten würde es nicht scheitern. Zwölf Tage vor der Eröffnung ist es ein Kinderspiel, in Krasnaja Poljana, dem Hauptort in den Bergen oberhalb von Sotschi, eine Unterkunft zu bekommen. Bei www.booking.com gibt’s die Bleibe derzeit um 718 Euro – pro Nacht wohlgemerkt.

Olympische Spiele im Big-Brother-Container
Russian police perform security checks on a journalist at the entrance of church during Orthodox Epiphany celebrations in Sochi January 19, 2014. REUTERS/Alexander Demianchuk (RUSSIA - Tags: SPORT OLYMPICS MILITARY RELIGION)
Dabei ist dieser Tage bei Wintersport-Fans und Angehörigen vielerorts zu hören: Nicht einmal gratis würden sie zu den Olympischen Spielen nach Sotschi reisen. Geschweige einen Batzen Geld ausgeben, um dann die Olympischen Spiele in einem riesigen Big-Brother-Container zu erleben. „Ich kenne jedenfalls keinen einzigen Angehörigen oder Fan, der nach Sotschi fährt“, erklärt Ernst Vettori, der Nordische Sportdirektor beim Österreichischen Skiverband. Nachsatz: „Und ich kann das ganz gut nachvollziehen.“

Alarmstufe Rot

Olympische Spiele im Big-Brother-Container
People stand in front of a board with mugshots of wanted people in the Adler district of Sochi January 22, 2014. Sochi will host the 2014 Winter Olympic Games from February 7 to 23. REUTERS/Alexander Demianchuk (RUSSIA - Tags: SPORT OLYMPICS CIVIL UNREST CRIME LAW)
Wann immer in den letzten Wochen von Sotschi und den Olympischen Spielen die Rede war, drehte sich alles nur um eines: die Sicherheit. Der Sport verkommt angesichts der lauten Terrorwarnungen und schrillen Alarmglocken, die fast täglich zu vernehmen sind, beinahe zur unwichtigsten Nebensache der Welt. Jüngstes Beispiel: Die USA haben ihre Athleten gewarnt, außerhalb des olympischen Dorfes die Teamkleidung mit der US-Flagge zu tragen. Terrorgefahr könne so im Wortsinn angezogen werden.

„Es ist schon skurril, dass die Athleten eigentlich nicht gefragt werden, ob sie sich auf Olympia freuen, sondern mit wie viel Angst sie nach Sotschi fahren“, meint Ex-Kombinierer Felix Gottwald.

Wer tatsächlich zu den Spielen ans Schwarze Meer reist, der betritt einen Hochsicherheitstrakt. Mehr als eine Milliarde Euro investiert Wladimir Putin in die Sicherheit. Aufklärungssatelliten wurden über dem Kaukasus in Position gebracht, Drohnen schweben über den Sportstätten, Kriegsschiffe, Panzer, U-Boote und Kampfjets sind im Einsatz, 60.000 Uniformierte in Alarmbereitschaft. Dazu werden vom Geheimdienst für die Zeit der Spiele sämtliche eMails gelesen und alle Telefonate und Kurznachrichten überwacht. Die NSA lässt grüßen.

Mario Stecher hat sich längst damit abgefunden, dass er sich bei Olympia nicht mehr frei bewegen darf und kann. Der 36-jährige Kombinierer erlebt in Sotschi seine sechsten Winterspiele, und der aktuelle Kontroll-Wahn ist für ihn Sicherheitsbusiness as usual. „2002 in Salt Lake City hat alles angefangen, und sich alles verändert“, erinnert sich Stecher, „damals habe ich das erste Mal gespürt, dass man rund um die Uhr kontrolliert wird.“

Olympische Spiele im Big-Brother-Container
Russian Cossacks, who started regular patrols within the city in the wake of recent suicide attacks, line up in front of a policeman to receive instructions before patrolling streets in the southern Russian city of Volgograd, January 4, 2014. According to local media, over 400 Cossacks arrived at Sochi on January 9 to provide security for athletes, foreign delegations and tourists, following the two recent suicide bomb attacks in Volgograd. Cossacks, the descendants of settlers in Southern Russia and Siberia, help maintain law and order in Russian cities by assisting local police in patrols and checking of identification documents and luggage. Picture taken January 4, 2014. REUTERS/Vasily Fedosenko (RUSSIA - Tags: CRIME LAW SOCIETY SPORT OLYMPICS)
Die Winterspiele von Salt Lake City gelten als Zäsur in die olympische Geschichte. Wenige Monate nach dem 9. September 2001, nach den Terroranschlägen auf die Twin Towers in New York, wurde in den USA die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen. Seither gehören Scharfschützen, Luftraumüberwachung, Nacktscanner und Heerscharen von Sicherheitskräften bei Großereignissen notgedrungen zum Standard. „Schlimmer als damals in Salt Lake City kann es jetzt in Sotschi auch nicht werden“, meint Langlauf-Sportdirektor Markus Gandler.

Einen Vorgeschmack auf das, was die Olympia-Teilnehmer, Fans und Offiziellen in den nächsten Wochen erwartet, konnten einige Sportler bereits bei den Generalproben in Sotschi erleben.

Bodyguard

Kombinierer Wilhelm Denifl hatte beim Lokalaugenschein im russischen Kurort sogar einen eigenen Kur-Schatten. „Nach einem Tag ist mir aufgefallen, dass ständig ein Mann mit Anzug bei mir herumschwanzelt“, berichtet der Tiroler. Auch beim Langlaufen machte Denifl Bekanntschaft mit Putins Security-Garde. „Wenn du in den Wald gelaufen bist, war es richtig unheimlich: Da hat’s geraschelt, weil überall zwischen den Bäumen Sicherheitsleute gelegen sind.“

Abschreckung

Die Sport-Fans schrecken solche Geschichten genauso ab wie die vergangenen Terroranschläge in Wolgograd. Obwohl die Veranstalter die Zuschauerzahlen für die Bewerbe in der Bergregion aus Sicherheitsgründen halbiert haben, sind noch 30 Prozent der Eintrittskarten zu haben. Was auch mit den horrenden Preisen in der Region zu tun hat. „Wenn man alles einrechnet dann kommt man auf 3000 Euro am Tag“, meint Sportdirektor Ernst Vettori.

Dass bei den Rekordspielen in SotschiPräsident Putin lässt sich das Ereignis 37 Milliarden Euro kosten – wohl nicht mit einem Besucherrekord zu rechnen ist, weiß man auch beim Internationalen Olympischen Komitee. Wie meint doch gleich Gerhard Heiberg, der Chef der Marketing-Kommission des IOC: „Einige haben Angst, es kostet zu viel, andere haben Angst um ihre Sicherheit.“

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