Toni Innauer: "Die Corona-Pandemie kann eine Chance für Olympia sein"
Anton Innauer ist ein olympischer Held. Der Vorarlberger gewann Silber und Gold im Skisprung, seit den Heimspielen 1976 in Innsbruck war "der Toni" nur bei zwei Winterspielen nicht persönlich vor Ort (Calgary/1988, Sotschi/2014). Für das ZDF reist der 63-Jährige als TV-Experte kommende Woche nach Peking.
KURIER: Herr Innauer, was sind die ersten Erinnerungen, die Sie mit Olympia verbinden?
Anton Innauer: Druck. Zumindest wenn ich an 1976 in Innsbruck denke. Ich war 17 bei meinen ersten Spielen und dann gleich der Goldfavorit in der Heimat. Dem war ich nicht gewachsen. Die Silbermedaille damals war eine Enttäuschung, nachdem ich, überlegen in Führung liegend, Gold verloren habe. Mit Abstand betrachtet, bedeutet mir die Silberne heute sehr viel. Es gab obendrein Dinge, die ich als Skispringer aus dem Bregenzerwald so nicht kannte. Es war die Hochphase der Terrorgruppe RAF, Drohungen schwebten auch über Olympia, und sogar über Ingemar Stenmark und mir. Die Geheimpolizei war unsichtbar, aber allgegenwärtig. Ich fühlte mich wie ein schlecht gebriefter Hauptdarsteller in einem Krimi.
1980 wurden Sie Olympiasieger. Was war anders?
Fast alles. Am Bergisel hatten wir 60.000 Fans, in Lake Placid bestenfalls ein paar tausend. Dafür waren das die ersten richtigen Spiele für das Fernsehen. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, war dort viel einfacher. Aber eines merkt man immer bei Olympischen Spielen.
Was denn?
Dass sie noch einmal etwas anderes sind als etwa Weltmeisterschaften. Es beschäftigt einfach mehr Menschen auf der Welt. Olympia ist komplexer und exklusiver.
Das hat einen Preis. Olympia wurde immer größer, skurriler. Hat man es übertrieben?
Als Sportler oder Trainer bekommst du die Dimension gar nicht mit, weil du nur an einem Ort und nur mit deiner Sache beschäftigt bist. Erst als ZDF-Experte habe ich erkannt, welche seltsamen Auswüchse das Ganze angenommen hat. Vor vier Jahren in Pyeongchang wurden Tausende Menschen aus Schulen und Militärzentren hingebracht, um so etwas wie eine Kulisse zu erzeugen, und zwar für einen Sport wie Skispringen, der in Südkorea keine Rolle spielt, und zu einer Tageszeit, zu der im Gastgeberland alle schlafen, weil es die TV-Stationen so vorgeben für den europäischen und den US-Markt.
Wann haben Sie das erstmals bemerkt, dass sich die olympische Idee in eine falsche Richtung bewegen könnte?
In Sarajevo 1984, wo ich für den Internationalen Skiverband tätig gewesen bin. Wir waren an einem Ort, wo der Skisport nicht zuhause war. Das kommunistische System im damaligen Jugoslawien hat ebenfalls nicht zur Aufheiterung beigetragen. Heute dienen die Sportstätten mit den Einschusslöchern bestenfalls noch als Mahnmal und Erinnerung an den Krieg (siehe Video unten). Dort war für mich zu erkennen, dass es stärkere Kräfte gibt, als den olympischen Geist.
Was muss sich ändern?
Man merkt, dass Olympia etwas ist, dass nicht mehr nur dem IOC gehört. Und zwar vor allem dort, wo die Spiele abgelehnt werden. Es ist noch immer ein wahnsinnig tolles Produkt, das man zuletzt aber fast nur mehr dort an den Mann gebracht hat, wo Regierungen und Systeme weder Rücksicht auf Menschenrechte noch auf Umweltschutz nehmen müssen. In vielen Ländern ist es Olympia nicht gelungen, sein Image als korruptes Monstrum, das nur geschäftliche und politische Interessen verfolgt, abzulegen. Um einen totalen Ausfall zu verhindern, hatten die Macher kaum eine andere Wahl, als mit den exotischen und sportlich fragwürdigen Ausrichtern gemeinsame Sache zu machen. Daher freue ich mich mal auf die Sommerspiele 2024 in Paris.
Auch dort wird kräftig Geld verdient werden.
Was ja nicht verboten sein soll. Aber die größten Kritikpunkte sind ja die Bauvorhaben und -kosten sowie die Umwelteingriffe. Das sollte in Paris im Vergleich zu Peking überschaubarer bleiben.
Was erwarten Sie von den Winterspielen in China?
Ich fahre mit einer selbst verordneten Portion Flexibilität und Abenteuergeist hin. Es könnten diese zwei Wochen sehr ungewohnt werden nach westlichen Maßstäben. Ich hatte bei ähnlichen Reisen immer ein Leitmotiv: Wir müssen uns an die Kultur der Gastgeber anpassen, und nicht umgekehrt. Mir ist bewusst, dass wir extrem abgeschottet sein werden und keinen Eindruck von China bekommen werden, der über die Retorten-Sportstätten hinausgeht. Wir haben uns verpflichtet, nichts von all dem zu besichtigen, was China so interessant und einzigartig macht.
Finden Sie gar nichts Positives an Winterspielen in Peking?
Ein Teilaspekt ist spannend. Nämlich, wenn es darum geht, Wintersport in Gegenden zu bringen, in denen er noch nicht so populär ist. Dennoch lehrt der Blick zurück eines: Dieser Anspruch hat selten funktioniert. Aber China ist dafür ein besonders großer Markt. Man muss es daher wohl probieren, um zu sehen, ob es funktionieren kann. Meine Erwartungen sind dennoch gedämpft.
Trauern Sie Winterspielen in Europa nach?
Ich finde es schade, weil ich Olympia nicht nur als kommerzielles Ereignis verstehe, sondern als etwas, das auch eine andere Kraft entwickeln kann. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass wir so etwas noch einmal in Innsbruck auf den Weg bringen. Aber es war rasch klar, dass es aufgrund der Stimmung innerhalb der Bevölkerung schwierig werden wird. Vielleicht eröffnet gerade die Pandemie neue Perspektiven und Chancen?
Das müssen Sie erklären!
Vielleicht erkennt die junge Generation an diesem Gefühl der Einschränkungen, an dem Umstand, nicht mehr überall zu jeder Zeit hinreisen zu können, einen neuen Wert an einem Event wie Olympia. Die Jugend erlebt gerade eine Phase des Entzugs, was das Miteinander betrifft. Olympische Spiele haben das Potenzial, Menschen und Kulturen auf einzigartige Weise zusammen zu bringen. Vielleicht wollen viele das zukünftig wieder selbst erleben in ihrer Nähe. Sollte diese Entwicklung eintreten, könnte die Stimmung auch in der gesamten Bevölkerung in Richtung Offenheit kippen. Die letzte Abstimmung in Tirol war geprägt von einer diffusen aber tiefsitzenden emotionalen Ablehnung, die von den Gegnern geschickt bespielt wurde. Das muss nicht so bleiben.
Anton „Toni“ Innauer (*1. April 1958 im Bregenzerwald) ist einer der bekanntesten Skispringer des Landes, obwohl er seine Sportlerlaufbahn mit nur 22 Jahren beendete. Er gewann bei Olympia, das damals auch noch als Weltmeisterschaft zählte, Silber (1976) und Gold (1980). Danach war er Trainer und Sportdirektor beim ÖSV sowie in verschiedenen Rollen beim Weltverband tätig. Der dreifache Familienvater ist Autor, Unternehmer und TV-Experte.
Hat Olympia überhaupt noch einen Mehrwert für eine Gesellschaft?
Für die Sportler ist und bleibt Olympia etwas Außergewöhnliches. Sehen Sie sich nur Tennisprofi Alexander Zverev an, ein Multimillionär und Star der Sportszene. Aber wie er sich über Olympia-Gold in Tokio gefreut hat und noch heute mit dem Team-Deutschland-Trikots zu sehen ist, sagt alles über den Stellenwert. Das hat mich persönlich berührt, weil diese Leute merken, was der Kern der olympischen Idee war und ist.
Welche Momente sind Ihnen in Erinnerungen geblieben abseits vom Sportlichen?
Die große Dankbarkeit nach dem Sieg, und dass mir, als frischgebackenem Olympiasieger 1980, in der Disco gleich mal das Olympia-Outfit gestohlen wurde. Ich wurde aber entschädigt mit einem Konzert von John Denver in einem kleinen Lokal, in das wir zufällig gestolpert sind. Und dann saß ich 1980 auch noch im Publikum beim Eishockey-Finale zwischen den USA und der Sowjetunion, das als „Miracle on Ice“ Sportgeschichte schreiben sollte. Olympia hat mir ermöglicht, ein Zeitzeuge zu sein. Dafür muss ich dankbar sein.
Wie begeistert man die Jugend für Olympia? Reicht es, einfach neue und spektakuläre Sportarten einzuführen?
Wenn das IOC nichts getan hätte, wäre die Gefahr groß, als verstaubte Institution, die den Anschluss verpasst hat, auf der Strecke zu bleiben. Man versucht zumindest, die Jugend früh davon zu begeistern, die Jugendspiele sind ein guter Ansatz, bei denen man am Puls der Zeit bleibt und etwas ausprobieren kann. Aber Vorsicht! Ich bin kein Fan davon, wenn es künftig haufenweise 16-jährige Olympiasieger gibt. Hochleistungssport lebt von der Steigerungsmöglichkeit – und wo sind die dann noch? Ein positives Beispiel für Olympia hat der Skisprung-Sport geliefert.
Was meinen Sie damit?
Der Frauenskisprung-Sport hat olympische Akzeptanz hart erkämpft, aber der Bewegung und dem Skispringen selbst neuen Schwung gebracht. Man hat ein gesellschaftlich relevantes Thema aufgenommen und musste dafür nichts neu erfinden oder künstlich herstellen.
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