Der ehemalige Skispringer Mika Kojonkoski hat als Trainer von 1997 bis 2000 in Österreich seine Spuren hinterlassen. Im November 2018 schickte man ihm Kinder aus China nach Kuopio. Dort sahen sie zum ersten Mal Schnee. Kojonkoski sollte sie zu Skispringern machen.
China hatte ein Problem: Winterspiele vor Augen, aber kaum konkurrenzfähige Sportler. Vor 20 Jahren gab es die ersten Olympischen Goldmedaillen im Winter. 2014 in Sotschi belegte China Platz zwölf im Medaillenspiegel mit neun Podestplätzen, darunter drei Goldene. 2018 rutschte die Volksrepublik auf Rang 16 ab, weil von den neun Podestplätzen nur einer golden war. Zum Selbstverständnis dieser Nation passt das nicht. Zumal die Spiele vier Jahre später im eigenen Land stattfinden sollten.
Eine Wintersportoffensive war nötig. Dass dafür Know-how ins eigene Land geholt wird, ist nichts Ungewöhnliches. Ein riesiges Programm wurde ins Leben gerufen, das ausländische Startrainer umsetzen sollten. Es wurde zum Clash der Kulturen. Mit Erfolgen, aber auch mit Tränen und Entlassungen.
Wie hoch und teilweise auch unrealistisch die Erwartungen waren, erklärt der Schweizer Alpin-Trainer Patrice Morisod. Der wurde von den Bossen des chinesischen Skiverbandes 2018 gefragt, wie viele Medaillen er den Athleten zutraue. Die Antwort des früheren Didier-Cuche-Trainers Morisod: "Vielleicht können diese Leute eines Tages als Skilehrer oder Trainer arbeiten. Aber sie werden sicher nie Edelmetall bei Welt-Titelkämpfen gewinnen." Das Ergebnis: Morisod bekam den Job nicht.
Kämpfer, Turner, Quereinsteiger
In manchen Sportarten ging es um Medaillen. In anderen darum, dass überhaupt ein Chinese am Start stehen wird. Trainer wie der Finne Kojonkoski (seine zukünftigen Skispringer kamen vor allem aus einer Kampfkunstschule) oder der frühere deutsche Skirennläufer Michael Brunner (dessen Aspiranten Turnen, Kung Fu, Tanz oder Leichtathletik betrieben) hatten es mit Quereinsteigern zu tun. Bekannte europäische Namen findet man auch im Bobsport, wo der beispielsweise vierfache deutsche Olympiasieger André Lange trainiert, oder im Biathlon, wo das norwegisch-weißrussische Ehepaar Ole Einar Bjørndalen und Darja Domratschewa tätig wurde.
Das eingekaufte Startrainer-Ensemble im Eisschnelllauf aus den Niederlanden und den USA musste immerhin nicht bei Null anfangen. Zehn der 13 Winter-Goldenen in Chinas Olympia-Geschichte wurden im Shorttrack geholt, eine im Eisschnelllauf, eine im Eiskunstlauf.
Am Freitag stand China nach etwa der Hälfte der Entscheidungen der aktuellen Olympischen Spiele in Peking bei sieben Medaillen, drei davon Gold.
Heimvorteil
Um ins Spitzenfeld zu kommen, versucht das Team China alles, was möglich ist. Im Eiskanal in Yanqing haben die Athleten des Gastgeberlandes – auch wegen der Coronapandemie – deutlich mehr Fahrten absolviert als die Konkurrenz. So hat Österreichs Skeleton-Star Janine Flock auf einmal neue Gegnerinnen im Kampf um die Medaillen. Im Training markierte Zhao Dan eine Bestzeit und war regelmäßig ganz vorne zu finden. "Die Chinesinnen haben hunderte Fahrten auf dieser Bahn gemacht. Ich habe ungefähr 40", sagt die Tirolerin.
Das chinesische Skeleton-Team hat mit Andy Schmidt einen Tiroler Cheftrainer. Und prompt fuhr Geng Wenqiang kürzlich in Igls den ersten Weltcup-Sieg eines chinesischen Skeletonpiloten ein. Doch Schmidt schickte zwei andere Piloten zu Olympia, die auf den Weltcup verzichtet hatten und stattdessen in den vergangenen Monaten permanent auf der Olympiabahn trainierten.
Die Partnerschaften mit den ausländischen Trainern mit den bekannten Namen sind oft nicht auf Dauer. Kojonkoskis Engagement endete 2021, Brunners 2020. Die Behörden hatten sich ins Ski-Training eingemischt. Brunner wurde durch den Österreicher Willi Zechner ersetzt, Kojonkoski durch einen Landsmann. Berater in Skisprungfragen ist nach wie vor der ehemalige FIS-Direktor aus Österreich, Walter Hofer.
Doch nicht nur das Know-how der Trainer, auch Athleten wurden für den Erfolg bei den Heimspielen importiert. Das bekannteste Beispiel ist die US-Amerikanerin Eileen Gu, deren Mutter aus China stammt - und die sich vor gut zwei Jahren entschieden hat für die Volksrepublik zu starten.
Anderen Team-China-Athleten fehlt der Bezug zum Reich der Mitte vollkommen. "Es ist einzigartig, ich habe einmal für die USA gespielt, jetzt habe ich gegen die USA gespielt", sagte der Torhüter des chinesischen Eishockeyteams am Donnerstag. Jeremy Smith hatte gerade unter dem Namen Shimisi Jieruimi 47 amerikanische Schüsse gestoppt. Von den 22 Spielern Chinas wurden 17 in Kanada und Nordamerika geboren, einer in Russland.
Teamkollege Jake Chelios, der Sohn der NHL-Legende Chris Chelios, heißt bei den Olympischen Spielen Kailiaosi Jieke. Er sagte: "Ich habe meinen US-Pass." Ein heikles Thema. Denn eigentlich erlaubt China keine doppelte Staatsbürgerschaft.
Im Eishockey der Frauen schoss Mi Le das erste Olympia-Tor für China seit zwölf Jahren, doch ihr amerikanischer Trainer Brian Idalski schwieg, als er nach ihrer Herkunft gefragt wurde: "Ich möchte das nicht beantworten." Möchte? Oder "darf"?
Was auch die offizielle Olympia-Homepage verschweigt: Die blonde 25-Jährige ist als Hannah Miller in Kanada geboren und spielte vor acht Jahren noch mit dem Ahornblatt auf der Brust bei der U18-WM. Jetzt ist sie eine von 13 Nordamerikanerinnen im Team, die das Niveau beim Weltranglisten-19. China deutlich angehoben haben.
Fallen gelassen
Zhu Yi hat den US-Pass aufgegeben. Sie heißt eigentlich Beverly und wurde in den USA geboren. Bei Olympia weinte die Eiskunstläuferin bittere Tränen, als sie im Kürfinale des Teamwettbewerbs mehrfach gestürzt war. Ein Shitstorm war die Folge, bei dem nicht nur die Leistung der 19-Jährigen kritisiert wurde, sondern auch ihre Herkunft und ihr schlechtes Mandarin.
Die Athleten im Shorttrack sind echte Chinesen. Auch Su Yiming, der knapp vor seinem 18. Geburtstag Silber im Snowboard-Slopestyle holte. Sein Coach: Yasuhiro Sato, ein Japaner. Seit Su 14 ist wird er auf das Ziel Olympia hingetrimmt, sein Idol kommt aus den USA – Shaun White.
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