Doping-Razzia: ÖSV bei Heim-WM in Seefeld in "Schockstarre"
- Am Mittwochvormittag kursierten erste Gerüchte über eine Polizeiaktion bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld.
- Gegen 13:30 Uhr erklärte das Bundeskriminalamt, dass zwei ÖSV-Langläufer festgenommen wurden.
- Um 14:00 Uhr wurde die Identität der beiden Sportler bekannt, es handelt sich um Dominik Baldauf und Max Hauke.
- Österreichische und deutsche Behörden gaben bekannt, in einer koordinierten Aktion mit dem Namen "Operation Aderlass" im Zusammenhang mit einem international agierenden Dopingnetzwerk bei 16 Hausdurchsuchungen neun Personen festgenommen zu haben.
- Bei einer Pressekonferenz in Innsbruck wurden Details zur Aktion verraten.
- ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel poltert
- Langlauf-Chef Gandler muss gehen
- Keine Teilnahme an der Herren-Staffel am Freitag
Doping-Skandal: Langläufer sind Polizeisportler
Teile des österreichischen Langlauf-Teams sind wie schon bei den Olympischen Spielen 2006 und 2014 in einen Dopingskandal verwickelt. Dominik Baldauf und Max Hauke sind am Mittwoch unter Verdacht auf Eigenblutdoping vom Bundeskriminalamt (BK) festgenommen worden. Betroffen ist aber nicht nur das Duo, heimische und deutsche Behörden haben ein internationales Netzwerk ausgeforscht.
Im Zuge der koordinierten Aktion mit dem Namen "Operation Aderlass" wurden insgesamt 16 Hausdurchsuchungen durchgeführt und neun Personen festgenommen, teilte das BK am Mittwoch mit. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Unter den Festgenommenen befinden sich neben Hauke und Baldauf auch ein deutscher Sportmediziner als mutmaßliches Mitglied einer kriminellen Gruppierung sowie ein kasachischer und zwei estnische Spitzensportler.
Gandler muss gehen
Der auch schon bei der folgenschweren Polizeirazzia bei Olympia 2006 in Turin und beim Dopingfall Johannes Dürr 2014 in Sotschi amtierende ÖSV-Langlaufchef Markus Gandler zeigte sich tief betroffen. "Das ist ein harter Schlag für den Langlauf im allgemeinen. Ich stehe unter Schockstarre", sagte der Tiroler. Aussagen von Dürr vor einigen Wochen in einer TV-Dokumentation über Blutdopingpraktiken sind laut der Münchner Staatsanwaltschaft ein Mitauslöser für die aktuellen Ermittlungen gewesen.
Gandler gab an, dass ihm bis dato nie etwas im Zusammenhang mit Dopingvergehen bei Baldauf und Hauke aufgefallen war. Man könne sie aber nicht ständig überwachen. "Das sind freie Leute, sie haben genügend Freizeit, um so einen Blödsinn zu machen." Über Details der Ermittlungen und der Vorwürfe habe er keine Kenntnis, ergänzte Gandler.
ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel erklärte am Abend: "Wir werden uns von ÖSV-Langlaufchef Markus Gandler trennen, er macht die WM noch fertig. Das ist keine Schuldzuweisung, aber er hat die politische Verantwortung." Der Ton des Präsidenten verschärfte sich, Baldauf und Hauke, die seit vielen Jahren eine Freundschaft verbindet, bezeichnete er als "Trottln", die gedankenlos großen Schaden anrichten würden. "Soviel Dummheit wie diese zwei Burschen darfst du gar nicht haben, das gehört verboten. Zwei solche Trottln, die so etwas machen. Ich habe keine Worte, der lügt alle an, was sind das für Menschen."
"Dümmer geht es nicht mehr"
Auch Gandlers ehemaliger WM-Goldstaffelkollege Alois Stadlober war ebenfalls erschüttert. "Dümmer geht es nicht mehr, und tiefer kann man gar nicht mehr fallen. Ich glaube, wir waren mit dem österreichischen Langlauf schon tief, dann sind wir noch tiefer gefallen, und ich weiß gar nicht, wie tief es noch hinuntergeht", sagte Stadlober, dessen Kinder Teresa und Luis an der WM teilnehmen.
Die mutmaßlichen Vergehen von Baldauf und Hauke seien "nicht nachvollziehbar, man kennt die betroffenen Sportler. Sie wissen, was auf einen einstürzt, was auf einen Johannes Dürr eingestürzt ist, was der alles verloren hat."
Stadlober: "Wie kann man nur so hinterhältig sein"
Luis Stadlober, der am klassischen 15-km-Lauf am Mittwoch teilnahm, war überrumpelt von den Ereignissen. "Das ist natürlich eine sehr schwierige Situation. Wir wohnen im Zimmer gegenüber. Dann ist der Chef von unserem Hotel gekommen und sie haben die zwei gesucht. Dann war das BKA da und mir ist die Lade runtergefallen", sagte Stadlober, der sich die Vergehen seiner Kollegen nicht erklären kann: "Warum macht man so was, wie schafft man es, dass man jeden anlügt? Wie kann man nur so hinterhältig sein und dem österreichischen Sport das Messer hinten reinstechen?"
Monatelange Ermittlungen
Der mutmaßliche Kopf des kriminellen Dopingnetzwerkes ist ein Sportmediziner aus Erfurt, der sich mit einem Komplizen ebenfalls unter den Festgenommenen befindet. Im Nachbarland fanden ebenfalls mehrere Hausdurchsuchungen statt.
Die Behörden ermitteln seit mehreren Monaten "wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Sportbetruges sowie der Anwendung von unerlaubten Wirkstoffen und Methoden zu Dopingzwecken". Die Gruppierung in Erfurt sei dringend verdächtig, "seit Jahren Blutdoping an Spitzensportlern durchzuführen, um deren Leistung bei nationalen und internationalen Wettkämpfen zu steigern und dadurch illegale Einkünfte zu lukrieren", hieß es weiter.
"Er wurde mit einer Bluttransfusion im Arm aufgegriffen"
Die Ermittler in der Doping-Causa gaben im Rahmen einer Pressekonferenz in Innsbruck neue Details bekannt. Einer der fünf festgenommenen Sportler wurde in seiner Unterkunft in Seefeld "auf frischer Tat" ertappt, sagte Dieter Csefan vom Bundeskriminalamt.
"Er wurde mit einer Bluttransfusion im Arm aufgegriffen", so Csefan. Um welche Sportler es sich dabei handelte, wollte der Ermittler unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht sagen. Bestätigt wurde indes, dass es sich bei den Athleten um zwei Österreicher, zwei Esten und einen Kasachen handelte. Namen oder nähere Details zu den Identitäten wurde nicht genannt. Die Sportler sollen mit Eigenblut gedopt haben, so der Vorwurf.
Vorerst standen Einvernahmen der Verdächtigen an. Innerhalb von 48 Stunden müsse dann entscheiden werden, ob über sie die Untersuchungshaft verhängt wird, erklärte der Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr. Der Mediziner und seine Komplizen hätten eine "kriminelle Organisation" gebildet. Die Sportler selbst seien nicht Teil dieser Organisation gewesen, stünden aber in Verdacht, sich mit Blutdoping behandelt haben zu lassen.
"Geschlossene Indizienkette"
Die Ermittler in Deutschland hätten Hinweise gehabt, dass der Sportmediziner nach Seefeld habe reisen wollen, um dort die Sportler "auf illegale Weise zu behandeln", so Mayr. Den Verdächtigen wird Eigenblutdoping vorgeworfen. Anschließend habe es ein Rechtshilfeersuchen der deutschen Behörden gegeben und in Folge hätten Überwachungen stattgefunden. Dabei habe sich der Verdacht bestätigt. Vorher war laut den Ermittlern nicht bekannt, welche Sportler sich von dem Arzt behandeln ließen. Schlussendlich sei es in Deutschland und Österreich zu den Zugriffen bzw. Hausdurchsuchungen gekommen - unter Beteiligung des Sondereinsatzkommandos Cobra.
BKA sowie Staatsanwaltschaft Innsbruck schlossen nicht aus, dass weitere Personen betroffen sein könnten. Zunächst müsse man aber die Vernehmungen der Beschuldigten abwarten. Sie sprachen von einer "geschlossenen Indizienkette". So sei etwa in Erfurt ein komplettes Dopinglabor inklusive Equipment wie Blutkonserven und Zentrifugen ausgehoben worden, das dem Sportmediziner zugerechnet wird.
Die Dopingcausa dürfte indes über den Langlaufsport hinaus Kreise ziehen. "Es sind sicher auch noch andere Sportarten betroffen", erklärte Csefan. Die "kriminelle Organisation" sei jedenfalls seit mehr als fünf Jahren weltweit tätig. Bestätigt wurde auch von den österreichischen Ermittlungsbehörden, dass die Aussagen des Skilangläufers Johannes Dürr in einer ARD-Dokumentation "ausschlaggebend" für die Doping-Ermittlungen und die Razzien in Seefeld und Erfurt waren.
Estland fordert Aufklärung
Der estnische Kulturminister Indrek Saar dringt nach der Doping-Razzia mit sieben Festnahmen bei der Nordischen Ski-WM auf eine vollständige Aufklärung. „Die österreichischen Behörden müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Wahrheit herauszufinden - was passiert ist und wer beteiligt ist“, erklärte der auch für Sport zuständige Minister am Mittwoch in Tallinn.
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