„Meine Mom hatte Todesangst. Zwei oder drei Jahre war ich alt, als sie mich eines Sommers im Schwimmbad nicht mehr finden konnte. Ich kraxelte gerade die Stufen des Dreimeterbretts hoch und stand in Schwimmflügeln vorne an der Kante. Als sie mich fand, winkte ich ihr noch zu und sprang runter“, sagt Alex Hart.
Mittlerweile springt der Wiener unter den besten 20 seines Sports – ganz ohne Schwimmflügel. Bei der Weltmeisterschaft in Budapest startet der 23-Jährige ab heute im Einzelbewerb der Wasserspringer. Dort will Hart unbedingt seinen Lieblingssprung zeigen, den doppelten Wurf Axel (zweimal vorwärts gehechtet, mit zwei Schrauben, Anm.).
Teil 1: Der Anlauf
„Nur wenn Anlauf und Absprung passen, können schwierige Sprünge gelingen“, erklärt Hart beim Betreten des Wiener Stadthallenbads. Dort kennt er so gut wie jeden – und jeder kennt ihn. Ein Handshake hier, ein High Five da, ein paar Umarmungen und nette Worte dort. Seine Leichtigkeit überträgt sich wie ein Lauffeuer auf die Menschen um ihn herum.
„Alex ist sehr lustig und locker. Wir haben immer einen Schmäh laufen“, berichtet Synchronsprung-Partner Nikolaj Schaller (21). Er freut sich, „wieder mit einem Gleichaltrige zu trainieren“. Mit Anfang zwanzig sind die beiden die ältesten Wasserspringer im Nationalteam, „so klein ist unsere Sparte“, sagt Hart.
Eigentlich lebt und trainiert er in Amerika, für die WM-Vorbereitung steht er wieder dort, wo alles begann: in einem kleinen, hohen Raum in der hintersten Ecke des Schwimmbads. Dort werden Körper und Geist aufgewärmt mit Trockenübungen aus der Gymnastik und Akrobatik, vermischt mit Kraft, Koordination und mehr. Teils auf Matten, der Airtrackbahn, am Trampolin oder anderen Geräten.
„Turmspringer brauchen eine gute körperliche und mentale Disposition – und Spaß am Springen“, erklärt Nationaltrainer Aristide Brun mit Blick auf die vor ihm schwitzende Gruppe. „Er ist hier unser ,Heini‘ für alles“, sagt Hart und grinst. Brun erstellt Trainingspläne, filmt und analysiert die Sprünge und versucht, die jungen Athleten mental auf die Wettkämpfe vorzubereiten. Seit ein paar Wochen trainiert eine junge ukrainische Springerin mit, die beim Training für kurze Zeit die Welt ausblenden kann.
„Sobald du das Bad betrittst, bleiben all die Sorgen draußen“, erklärt Hart. Eine positive Einstellung steigert die Leistung von allen im Training.
„In den USA wirst du aus der Halle gekickt, wenn du negative Stimmung verbreitest. Wir mussten sogar ein Buch lesen (The five dysfunctions of a team), das wurde vom Trainer abgeprüft!“
Teil 2: Der Absprung
Überprüft wird im Training auch der Absprung. „Das ist beim Wasserspringen das Schwierigste, da es ja federt“, erläutert Hart und ergänzt, dass er das Brett nach dem ersten Reinspringen noch einmal im richtigen Rhythmus erwischen muss, um ganz hochzukommen. „Da spürt man dann schon, ob der Sprung gut wird.“
Nicht ganz so einfach war für Alex Hart und seine Familie der Sprung in die USA. „Es ist immer leichter für die Person, die weggeht, weil die in eine neue Welt, in ein neues Leben eintauchen kann. Für meine Eltern und meine Schwester ist es aber genau dasselbe Leben – nur ohne mich. Sie fehlen mir immer sehr.“
Vier Tage zu Weihnachten und zwei Monate im Sommer besucht Hart die Familie. Seit 2019 studiert er an der University of North Carolina (UNC) an der Ostküste Nordamerikas. „Damit hab ich den Jackpot geknackt!“ 60.000 Euro ist sein Vollstipendium an der UNC jährlich wert.
Teil 3: Die Flugphase
Die Möglichkeiten sind „unglaublich“. Elfmal pro Woche wird trainiert. In Österreich sechsmal. Wenig Zeit, um am perfekten Absprung zu feilen. „Wenn der aber sitzt, kommt’s nur darauf an, was du aus der Flugphase machst.“
An der Uni lassen sich Sport und Studium perfekt verbinden. „Professoren haben Verständnis, wenn du wegen Wettkämpfen Prüfungen verschieben musst“, sagt der angehende Bachelorabsolvent (Sports Administration).
„Das Leben ist wie in den Filmen. Es gibt den Campus mit 30.000 Studenten, ein Football- und Basketball-Team. Die Uni stellt dir das zur Verfügung, was du für Bestleistungen brauchst.“ Am Ende fehlt nur die „Konzentration und Spannung auf die Ausführung“ – sowohl für die Uni, als auch bei der Flugphase.
Teil 4: Das Eintauchen
Während des Sprungs orientiert er sich daran, „wie oft das Wasser vorbeikommt. Im Sommer, wenn wir draußen sind, ist das echt lustig, weil das Wasser und der Himmel dieselbe Farbe haben. Da kann es dich voll aufhauen, wenn du dich verschaust“, sagt Hart.
Für besseren Grip trocknen sich Athleten mit einem Tuch ab und schmieren sich Wachs auf die Schienbeine. Das Abtrocknen nach jedem Sprung ist wichtig, um „nicht auszukühlen und Wassertropfen wegzuwischen, die die Konzentration stören könnten“.
Der Drei-Meter-Spezialist freut sich, dass beim Eintauchen nach dem letzten Trainingssprung kaum Wasser spritzt. Denn das ist wichtig für die Punktevergabe (0 – 10) im Turnier. „Wasserspringen ist zu 90 Prozent mental. Körperlich schafft man es immer. Unter Druck werden oft die leichtesten Sprünge schwer“, betont Alex Hart. Mit Enthusiasmus und viel Elan startet er nun in die WM.
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