Vermögensforscher zur Becker-Pleite: "Für die Gesellschaft ganz gut"
Wolfgang Lauterbach ist Soziologe an der Universität Potsdam und einer von wenigen Vermögensforschern. In unzähligen wissenschaftlichen Interviews mit Millionären und Milliardären geht der Deutsche der Frage nach, was Reichtum überhaupt ist und was Vermögende antreibt und beschäftigt.
KURIER: Die Pleite des deutschen Sportidols Boris Becker und das Strafverfahren beschäftigt die Welt. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Reiche bankrottgehen?
Wolfgang Lauterbach: Eigentlich ist diese Tatsache ganz gut, weil es eine Mobilität von Vermögen ausdrückt. Aufstiege und Abstiege sind möglich, damit ist diese Gesellschaft keine erstarrte Gesellschaft. Denken Sie zurück: Sony-Ericsson und Nokia haben die besten Handys der Welt hergestellt. Und jeder hat gedacht, dass diese Unternehmen jahrzehntelang durch die Decke gehen werden. Und dann kam das iPhone. Wir sehen also, dass Reichtum von begrenzter Dauer sein kann. Dennoch hat das auch Schattenseiten.
Was meinen Sie damit?
Für ein Unternehmen oder eine Einzelperson, die ihr Vermögen verliert, sind solche Situationen hochdramatisch. Denn es hat Auswirkungen auf viele weitere Unternehmen und unzählige Menschen, beispielsweise Angestellte. Da darf man auch nicht zynisch urteilen.
Welche Rolle spielt dabei Neid?
Um reich zu werden, spielt Neid keine Rolle. Es gibt eine Studie, die Reiche in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA verglichen hat. Am geringsten ist Neid in den USA ausgeprägt, dann kommen die Briten. Das liegt auch daran, dass u.a. in den USA jeder Bürger zum Finanzamt gehen kann und gewisse Finanzdaten von jedem anderen Bürger abfragen kann. In vielen Ländern Europas sind Geld und das Einkommen komplett tabu. Die meisten Menschen kennen keine Reichen, distanzieren sich aber über Neid von ihnen. Man gönnt es diesen Personen nicht, weil man nicht glaubt, dass sie durch legale Tätigkeiten reich geworden sind.
Sind daher viele oft schadenfroh, wenn ein Reicher scheitert?
Das ist oft zu erkennen in unserer Gesellschaft. In den USA ist Scheitern viel akzeptierter. Der Schaden wird dort auch als Chance angesehen.
Ist es daher eine logische Folge, dass Reiche öffentlichkeitsscheu sind?
Es gibt diesen Habitus bei Reichen hierzulande, die ihren Reichtum eher verstecken und ganz bewusst bescheiden leben. Lieber deutsche Limousine anstatt Bentley. Der Luxusbegriff ist hierzulande außerdem ganz anders besetzt, als in Amerika oder Asien.
Was meinen Sie damit?
Schauen Sie mal in ein englischsprachiges und in ein deutschsprachiges Lexikon, was Luxury bzw. Luxus heißt. Im Deutschen wird dieser Begriff oft beschrieben mit etwas, das unnötig ist. Im Englischen ist es auf der semantischen Ebene verknüpft mit etwas Besonderen, das hohe Qualität besitzt. Es ist viel positiver besetzt.
Ist es wünschenswert, wenn eine Gesellschaft etwas mehr über seine Reichen weiß?
Es gibt diesen Satz: Die Reichen sind die kleinste Minderheit, über die man nichts weiß. Natürlich hinkt dieser Satz ein wenig, weil Reiche nicht als klassische Minderheit gelten dürfen, da sie in keiner Weise benachteiligt werden, sondern in der Regel die Profiteure des Systems sind.
Ist reichen Menschen bewusst, dass ihr Vermögen endlich sein kann?
Vor allem bei großen Familienunternehmen merkt man das. Einige von ihnen haben sich eigene, interne Satzungen gegeben, in denen steht, dass etwa eine monetäre Unterstützung entzogen werden kann, wenn Missbrauch damit betrieben wird, beispielsweise durch Drogenkonsum.
Kann ein Durchschnittsbürger verstehen, dass jemand 60 Millionen Euro Schulden bei seinen Gläubigern hat, wie es im Verfahren von Boris Becker heißt?
Eher nicht. Aber viele Menschen können auch nicht verstehen, wie man für 300.000 Euro urlauben kann. Auch das gibt es.
Noch surrealer müssen dann jene 44 Milliarden wirken, die Elon Musk gerade für Twitter bezahlt hat.
Geld ist sehr relativ. Das beginnt schon bei einer Million Euro. Dafür bekommt man in der Provinz ein schönes, großes Haus. In München oder Wien geht sich eher nur eine ordentliche Wohnung aus. Wir sollten uns daher fragen, woher der Wert von 44 Milliarden kommt. Der Markt legt ihn fest, doch all diese Berechnungsgrundlagen kennen Normalbürger gar nicht, weil es an Transparenz fehlt. Das Gleiche gilt für das Zustandekommen von Aktienkursen. Diese Information fehlt vielen Menschen. Da müssten Wissenschaft, Politik und auch Medien mehr Aufklärungsarbeit leisten. Ein bisschen transparenter und nachvollziehbarer wurde der Wertzuwachs eines Unternehmens während der Corona-Pandemie, als die Firma Biontech das Covid-Vakzin entwickelt hat. Plötzlich hatte die Bevölkerung mehr Verständnis für den sprunghaften Wertzuwachs eines Unternehmens.
Was bedeutet Reichtum überhaupt? Gibt es eine wissenschaftliche Definition?
Der Begriff Reichtum ist bis heute diffus. Das merkt man immer dann, wenn es in der öffentlichen Debatte etwa um die Besteuerung von Reichen geht: Welches Vermögen soll besteuert werden und wie berechnet man dies? Ist nur Privatvermögen zu besteuern oder auch Betriebsvermögen? Auch deshalb ist Forschung in diesem Bereich wichtig. Von Superreichtum sprechen wir in der Wissenschaft mittlerweile, wenn jemand mindestens über 30 Millionen Euro verfügt. Per Definition ist jemand reich, wenn er nicht mehr erwerbstätig sein muss.
Das kling nicht nach einer sehr homogenen Gruppe.
Stimmt. Es gibt nicht den Reichen. Es gibt Erben, Künstler, Sportstars, Familienunternehmer und Personen, die illegal reich geworden sind. Sie ahnen schon, wie unterschiedlich diese Personen sind in Sachen Charakter oder Wertvorstellungen. Wichtig ist auch: Ich maße mir nicht an, über Oligarchen sprechen zu können oder über Menschen, die mit illegalen Geschäften wie mit Drogenhandel zu Geld gekommen sind. Wir haben ausschließlich Personen getroffen und erforscht, die in unserer westlich-demokratischen Welt auf redliche Art und Weise vermögend geworden sind.
Eint all diese Personen dennoch etwas?
Ganz generell gesprochen, lassen sich schon ein paar andere Persönlichkeitszüge feststellen, verglichen mit der großen Masse. Bezogen auf die klassischen Persönlichkeitsmerkmale aus der Psychologie (BIG 5), lässt sich sagen, dass die meisten Reichen extrem zielorientiert, fokussiert, gewissenhaft sind. In der Regel sind sie extrovertierter und haben weniger Probleme, nach Außen etwas durchzusetzen. Ein gutes Beispiel dafür ist gerade Elon Musk. Und diese Personen sind offen, neue Dinge zu wagen. Das entspricht nicht unbedingt dem durchschnittlichen Menschen in Deutschland, dem Land der Versicherer.
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