Wie es ist, Superstar Simone Biles bei Olympia zu sehen
Am Ende hielt sie eine Kette in die Kameras, an der eine silberne Ziege hängt. G.O.A.T., the greatest of all time, wird sie genannt. Eine Zuschreibung, die Fans gerne jenen Sportlern und Sportlerinnen machen, die in ihrem Bereich so gut wie alles gewinnen, was es zu gewinnen gibt.
Simone Biles hat jetzt sechs olympische Goldmedaillen, einmal Silber und zweimal Bronze. Das macht sie zur besten US-Turnerin aller Zeiten.
Sie live zu sehen, das ist für viele das gegenwärtig Größte, was es zu erleben gibt. Bei ihren dritten und möglicherweise letzten Olympischen Spielen haben pro Turn-Bewerb rund 20.000 Fans die Chance, die 27-Jährige performen zu sehen.
An diesem Donnerstagabend waren mehr gekommen. Sie standen vor den Zäunen mit US-Flaggen und selbstgemalten Bildern, mit Cowboyhüten oder Stars-and-Stripes-Jacken. „Suche Ticket“, stand auf kleinen Zetteln, die sie hoffnungsvoll vor der Brust tragen.
Andere waren glücklicher und können die Absperrung schon passieren. Zwischen 125 und 690 Euro haben sie dafür gezahlt, heute hier zu sein.
Die Halle füllte sich, auch die Presseplätze waren randvoll – bis in den obersten Winkel der Bercy Arena von Paris. Unruhe im Saal, als dann zum ersten Mal die wohl größte 1,42m-Frau der Welt am Bildschirm auftauchte. Simone Biles, im dunkelblauen Turnanzug mit der Nummer 391.
Vor zwei Tagen hatte sie im Team Gold gewonnen. Unsterblich war sie bereits. Beweisen, sagte sie, müsse sie längst niemandem mehr etwas. Aber im Einzel-Mehrkampf an diesem Donnerstag ihr sechstes Olympia-Gold gewinnen, das wäre schon etwas.
Turn-Fans, Schaulustige und Promis
Die Stimmung in der Halle – irgendwo zwischen Anspannung, Freude, Historischem.
Als die Deutsche Sarah Voss am Boden den Wettkampf eröffnete, füllten sich langsam die Plätze. Applaus bei gelungenen Elementen. Man merkte, dass die Schaulustigen im Publikum in der Unterzahl waren, hier saßen Tausende wahre Turn-Experten. In der Überzahl: US-Amerikanerinnen.
Schon als Biles sich bereit machte, ging ein Raunen durch die Menge. Mit leichtem Wackeln stand sie den nach ihr benannten Sprung „Biles II“, ging lächelnd von der Matte und holte ihr Handtuch. Während die Britin Georgia Mae Fenton ihre Choreografie am Boden turnte, erschienen die ersten Punkte für Biles auf dem Bildschirm. 15.766, ein Topscore, der die Führung bedeutete. Lauter Jubel. Ob sich Fenton davon ablenken ließ? Andererseits dürfte sie den Hype um ihre Athletenkollegin gewohnt sein. Sie turnte unbekümmert weiter.
Unter Biles Fans in der Arena befanden sich nicht nur Abertausende junge Turnerinnen aus der ganzen Welt, sondern auch Promis und Spitzensportler wie NBA-Stars Stephen Curry und Tony Parker oder Ex-Weltfußballer Zinedine Zidane. Kendall Jenner war gekommen, Bill Gates und noch viele andere.
Doch sie alle waren einfache Zuschauer. Der einzige Megastar an diesem Abend ist Simone Biles. Wenn sie auf der Matte stand, ist es noch einmal um ein Vielfaches lauter als bei den anderen Turnerinnen.
Saß Simone Biles zwischen ihren Auftritten auf der Bank, war immer eine Handvoll Kameras auf sie gerichtet. Stand sie auf, ging ein Raunen durch die Menge, wechselte sie den Standort, folgten ihr Kameras und Kabelträgerinnen. Die 27-Jährige blieb locker, scherzte mit Gegnerinnen und tauschte sich mit Trainerinnen aus. Diese Weltbühne ist seit Jahren ihr Wohnzimmer.
Dass es der Trubel und der Druck, die Größte sein zu müssen, überfordern kann, hat Biles bei den letzten Sommerspielen in Tokio gezeigt. Die „Twisties“ habe sie gehabt, aus mentalen Gründen die Orientierung in der Luft verloren. Ihr Rückzug mitten in den Olympischen Spielen 2021 hat sie noch populärer gemacht. Erst im Vorjahr kam sie zurück.
War das ein Fehler am Stufenbarren?
Jeder Schritt, jeder Schluck aus der Wasserflasche, wird in der Arena von Paris von Kameras begleitet. Wenn sie dehnt, oder ein paar Schritte auf die Seite geht, ein paar Linsen sind ihr immer auf den Fersen.
Das zweite Gerät, an dem Biles an diesem Tag ihre Leistung bringen musste, war der Stufenbarren. Ihre „schlechteste“ Disziplin. Als sie an der Reihe ist – zuerst Jubel, dann kurz ein Raunen ... War das ein Fehler? Der nicht turn-erprobte Zuseher konnte keinen erkennen, die Expertinnen schon. Biles blieb ruhig, landete souverän, ließ sich nichts anmerken. Für den Score von 13.733 fiel der Jubel diesmal kleiner aus.
Biles wurde ruhiger, ging in sich. Fünf Kameras waren auf sie gerichtet, als sie im Schneidersitz auf der Bank saß. Sie fiel auf Rang drei zurück, wirkte leicht unzufrieden, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen, dehnte Füße und Nacken.
Doch am Schwebebalken kam sie imposant zurück und bewies damit Nervenstärke. Rückwärtssalto, Drehung, Vorwärtssalto. Sie hat es Hunderte Male gemacht. Das sieht man. Noch drei Rückwärtssaltos. Solide. Dann ein leichtes Wackeln, doch der Abgang sensationell.
Biles sah begeistert aus. Küsschen ins Publikum, breites Grinsen im Gesicht. Anerkennendes Klatschen bei den Gegnerinnen, Kolleginnen und Trainern. Alle scheinen hinter ihr zu stehen, die diesen Sport so populär gemacht hat. Gegnerinnen sind Freundinnen und Unterstützerinnen, Trainer bewundern ihre Größe. Fans sind außer sich.
Weltklasse-Gegnerinnen und Freundinnen
Mit dem Score von 14.566 lag Biles nun vor der letzten Einheit mit 0.166 nur ganz knapp vor der Brasilianerin Rebeca Andrade, die an diesem Abend ebenfalls ihre Klasse zeigt. Was sie mit ihr sprach, als beide herzlich lachen müssen, würden die Zuschauer gerne wissen. Die Bilder gehen um die Welt, der Ton bleibt ein Geheimnis.
Vor der letzten Rotation wurde es immer stiller in der Halle. Die Athletinnen waren fokussiert. Andrade gähnte, Biles kehrte immer weiter in sich. Die Spannung stieg. Die Reihenfolge der Turnerinnen wurde gestürzt, Biles war ganz zum Schluss an der Reihe.
Die Olympiasiegerin von Tokio, US-Teamkollegin Sunisa Lee, legte vor und ging in Führung, Andrade war vor Biles an der Reihe. Viele Brasilianer waren in die Halle gekommen. Auch die anderen jubelten ihr zu. Ihre souveräne Choreografie brachte sie in Führung.
Simone Biles - von einem anderen Stern
Biles musste nun abliefern, aber das kann sie. Sie weiß, wenn sie ihre Performance mit hohem Schwierigkeitsgrad auf den Boden bringt, hat sie Gold.
Um ein Vielfaches lauter wurde die Menge, als Biles die Matte betrat. Tausende Handys waren gezückt, auch jenes von Stephen Curry. Selbst Volunteers, die zum Einweisen der Plätze im Stadion waren, filmten mit. Jedes geschaffte Element der US-Amerikanerin wurde frenetisch bejubelt.
Auch der Laie merkt: Das hier ist ein anderes Level. Standing Ovations am Ende der Performance, in die sie zwei der eigenen Elemente eingebaut hat. Ein breites Grinsen bei Biles, die Umarmung für Teamkollegin Lee. Biles ging von der Matte und lehnte sich an die Bühne, sichtlich erleichtert. Ekstase, Jubel und Tränen im Publikum, „U-S-A“- Rufe.
Längst wussten alle, dass es gereicht hat. Fehlt nur noch die Punktzahl. Nach zweieinhalb Stunden war die Show vorbei. 15.066 bedeuteten eine Gesamtwertung von 59.131, der Vorsprung am Boden auf Andrade war gewachsen. In drei von vier Wertungen hatte Biles den höchsten Schwierigkeitsgrad von allen 24 Turnerinnen gewählt, in drei von vier Wertungen die meisten Punkte kassiert.
Die Anerkennung der Fans, der Promis, aber vor allem der Gegnerinnen und von deren Trainern sagt alles. Simone Biles ist die Größte. Die GOAT-Kette ist nur eine Untermauerung davon.
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